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Straßenbahn in Naumburg
Neue Strecke für die "Wilde Zicke"

Bänke aus Holz, der Fahrer verkauft die Fahrscheine persönlich: In der Straßenbahn in Naumburg fühlt man sich fast wie in einer Filmkulisse. Doch die Bahn ist regulärer Teil des Nahverkehrs und ihre Strecke wurde gerade sogar erweitert. Dahinter steht eine ganz besondere Form des Bürgerengagements.

Von Christoph Richter | 01.12.2017
    Die historische Straßenbahn "Wilde Zicke" fährt am 18.11.2016 durch Naumburg (Sachsen-Anhalt). Die Strecke der kleinsten Straßenbahn Deutschlands soll verlängert werden. Nach Stilllegung Anfang der 1990er Jahre und privatem Wiederbetrieb ist die Bahn seit 2007 wieder regulär unterwegs.
    Mehr als Nostalgie: Mit der Streckenerweiterung der historischen Straßenbahn in Naumburg wird ein weiteres Stadtviertel angeschlossen (picture alliance / dpa / Peter Gercke)
    Es quietscht und ruckelt, die Sitz-Bänke der alten DDR-Triebwagen der Naumburger Straßenbahn sind aus hartem Holz. Die Fahrscheine werden vom Fahrer verkauft. Man fühlt sich fast wie in einer Filmkulisse. In Naumburg Teil des öffentlichen Nahverkehrs.
    "Ich sage mal, man kennt fast jeden Fahrgast. Das hier ist alles mechanisch, Sie hören es ja. Alte Technik. Ich sage immer, ein Tröpfchen Öl an die richtige Stelle und die läuft noch weitere hundert Jahre."
    Der Fahrer grüßt beim Einsteigen
    Das Cockpit ist aus der Zeit gefallen: Neben Kippschaltern, bunten Lämpchen, gibt es eine massive schwarze Drehkurbel, mit der man Gas gibt und bremst. Straßenbahn-Fahrer Mario Wiesner nennt es Straßenbahn fahren wie früher. So sieht es auch der aus Bern stammende Andreas Messerli. Geschäftsführer der Naumburger Straßenbahn.
    "Man kann bei uns nicht in die Straßenbahn einsteigen, ohne ein Wort zu sagen. Der Fahrer begrüßt einen nämlich, fragt nach dem Fahrschein. Und wenn man keinen hat, dann kauft man ihn nicht am Automaten, wo man mühsam erst das System verstehen muss, sondern man spricht mit dem Fahrer."
    "Hier ist die Bahn noch so was wie der Dorfplatz, wo der neueste Tratsch kursiert und weitergegeben wird, während der Triebwagen - quietschend - die engen Kurven nimmt. Eine Tageskarte kostet 3,20 Euro.
    Rettung der historischen Straßenbahn
    Mit einer einzigen Linie von gerademal knapp drei Kilometern ist die Naumburger Tram, der kleinste Straßenbahnbetrieb Deutschlands. Heute wird die Strecke um 440 Meter verlängert. Auch das ist bundesweit einzigartig: Denn sie wurde zum beträchtlichen Teil von den Bürgern Naumburgs selbst gezahlt.
    "Wir haben 2013 ein Fest an der künftigen Endhaltestelle Salztor gefeiert, um darauf aufmerksam zu machen, dass die Bahn wieder bis hierher verlängert werden soll. Und haben scherzhaft gesagt, die Maste und Schwellen kann man kaufen. 70 Euro für eine Schwelle, 1.400 Euro für einen Mast."
    War sofort ein echter Renner, denn die Schwellen und Lichtmasten wurden binnen kürzester Zeit verkauft. 100.000 Euro hat der ungewöhnliche Verkauf erbracht. Ganz allein zahlen die Menschen in Naumburg die Verlängerung ihrer Bahnlinie natürlich nicht, auch die Kommune und das Land Sachsen-Anhalt beteiligen sich. Gesamtkosten eine Million Euro rechnet Andreas Messerli vor. Eigentlich ist er Lehrer, seit 2007 Chef der Naumburger Straßenbahn. Vorher war er bei der Schweizerischen Bundesbahn, in Bern hat er den Nachtbus organisiert. Jetzt gilt er als der Retter der historischen Naumburger Straßenbahn, nachdem sie 1991 bereits stillgelegt wurde.
    "Da sind viele Bürgerinnen und Bürger, die noch Erinnerungen haben an die Ringbahn früher. Die sich freuen, dass die Ringbahn wieder fährt, auch wenn nur der halbe Ring in Betrieb ist denn früher führte sie einmal rund um die mittelalterliche Dom-Stadt Naumburg."
    Es geht nicht um Nostalgie
    Blumenhändlerin Manuela Steffen hat für die Streckenerweiterung auch ins Portemonnaie gegriffen. In der Naumburger Bahnhofstraße hat sie ihr Geschäft. Direkt vor der Ladentür liegt die Endhaltestelle.
    "Da habe ich gar nicht überlegt weiter. Und habe eine Schwelle mit spendiert."
    Um den Kindern und Enkeln später noch zeigen zu können, wie es früher mal war, das Straßenbahnfahren. Gerne würde sie ihren Namen auf der Schwelle eingraviert sehen.
    "Ja eigentlich schon. So als Erinnerung, als kleines Denkmal."250 Spender gab es insgesamt, die meisten Namen werden demnächst auf einer Tafel an der Endhaltestelle verewigt.
    Bei dem Ausbau der Strecke um 440 Meter geht es aber nicht um Nostalgie, unterstreicht Messerli, sondern um wirtschaftliche Argumente. Denn mit der Streckenerweiterung wird ein weiteres Stadtviertel an die Bahn angeschlossen.
    "Es gibt da, nebst dem Wohngebiet, zwei Schulen, ein Familienbildungszentrum, verschiedene andere öffentliche Einrichtungen, Arztpraxen."
    Spitzname "Wilde Zicke"
    2016 hat man 134.000 zahlende Fahrgäste gezählt, 2018 rechnet man mit einer weiteren Steigerung von 15 Prozent und kalkuliert mit 160.000 Menschen, die sich ruckelnd und zuckelnd durch die engen Straßen Naumburgs fahren lassen. Vielleicht auch ein Grund, warum man der Tram irgendwann den Spitznamen Wilde Zicke gegeben hat.
    "Die Bahn ist sehr pünktlich, anders als der Bus. Kommt auf die Minute. Wenn sie kaputt ist, da kommt ein Auto und fährt einen."
    "Sind die besten Fahrer. Wenn die in anderen Bahnen auch so freundlich wären … stimmt doch."
    Einen Wermutstropfen gibt es doch, denn barrierefrei ist die alte Bahn nicht. Rollstuhlfahrer kommen nur schwer in die Bahn, denn in den Waggon kommt man nur über zwei steile Stufen, die man fast hochklettern muss. Aber die Fahrer helfen gern.
    "Das sind die besten Fahrer, die es gibt."
    Die nächsten Ausbau-Pläne liegen schon auf dem Tisch, erzählt Andreas Messerli. Denn nächstes Jahr soll die Naumburger Oldtimer-Bahn, die jeden Tag regulär zwischen fünf und 20 Uhr im Einsatz ist, so wie früher, wieder bis zum Bahnhofsvorplatz fahren.