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Strategien gegen Desinformation
EU-Rechnungshof sieht noch viele Schwachstellen

Das Problem der gezielten Desinformation betrifft alle Mitgliedsstaaten der EU. Der Versuch, die öffentliche Meinung zu untergraben, nimmt immer größere Ausmaße an. Häufig ist Russland der Absender. Nach Ansicht des EU-Rechnungshofes in Luxemburg unternehmen die EU-Staaten dagegen nicht genug.

Von Bettina Klein | 04.06.2021
Schild Der europäische Rechnungshof EuRH in verschiedenen Sprachen steht am Eingang
Erst seit 2014 ist Desinformation als Thema auf der Tagesordnung des EU-Rechnungshofs (Imago /Horst Galuschka)
"Desinformation ist seit Menschengedenken und der Bildung organisierter Gesellschaften Bestandteil der menschlichen Kommunikation." So beginnt der Bericht des Europäischen Rechnungshofes. Um dann mit dem entscheidenden Unterschied im Vergleich zu früher fortzufahren:
"Verändert haben sich in den letzten Jahren jedoch ihr gewaltiges Ausmaß und die Geschwindigkeit, mit der falsche oder irreführende Informationen über soziale Medien und neue Technologien ihre jeweils anvisierte Zielgruppe sowie auch nicht intendierte Zielgruppen erreichen. Dies kann öffentlichen Schaden anrichten."
"Der Sonderbericht des Europäischen Rechnungshofes ist extrem hilfreich und in Grunde die erste komprimierte Analyse zu der Frage, was hat eigentlich der EU Aktionsplan zu Desinformation von 2018 bislang gebracht", sagt Viola von Cramon, die sich für die Grünen im Europäischen Parlament unter anderem mit diesem Thema beschäftigt: "Was hat die EU an Instrumenten eingesetzt? Wie wirksam waren die, wie gut laufen die Abstimmungen innerhalb der EU? Reicht die Finanzierung aus für die Planungssicherheit, und hat die EU alle Kapazitäten, die sie braucht, um diese Herausforderungen zu meistern?"
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Seit Jahren ist Europa Zielscheibe russischer Desinformationskampagnen. Eine EU-Taskforce versucht, das Problem zu bekämpfen. Denn dahinter stehe der Versuch, die Gesellschaft weiter zu polarisieren, sagte Lutz Güllner, der Leiter der Taskforce, im Dlf.

EU muss sich mehr anstrengen

Die kurze Antwort lautet: Problem erkannt, aber nicht gebannt. Die EU muss mehr tun im Kampf gegen Desinformation. Zu ihrer Verteidigung sei angeführt, dass das Thema erst seit 2014 auf die Tagesordnung kam mit der massiven Desinformationskampagne aus staatlichen russischen, kremlnahen oder kremlfinanzierten Quellen, die die Annexion der Krim und den Krieg in der Ukraine medial begleitete. 2015 beschlossen die Staats- und Regierungschefs daher die Task Force East Stratcom im Auswärtigen Dienst der EU einzusetzen.
"Aus unserer Sicht ist das ein wirklich sehr wichtiger Bericht, da er die Bedeutung des Themas noch mal unterstreicht", sagt Lutz Güllner, der Leiter der Task Force East Stratcom, "und letztlich auch dazu aufruft, noch mehr zu tun, mehr zu investieren in diesem Bereich, und da richtet er sich an die EU-Institutionen und an die Mitgliedstaaten."
Mehr tun, mehr investieren, dies wünschen sich die Verantwortlichen schon lange. Zwar hat sich die finanzielle Ausstattung im Vergleich zum Beginn vervierfacht, doch es mangelt an einer stabilen Finanzierung, was ihre Nachhaltigkeit gefährden könnte, beklagt der Rechnungshof. Die Bedeutung ausreichender Ressourcen werde bei zahlreichen Gelegenheiten betont – doch gehen die Meinungen bei den Mitgliedstaaten über die Prioritäten auseinander.

Bessere Koordination nötig

Die einen wollen mehr Mittel, um die Quellen und Akteure der Desinformation besser zu analysieren, die anderen mehr Mittel für positive Kommunikation, wie es heißt. Ein weiteres Beispiel. Mangelnde Abstimmung und Koordination innerhalb der EU. Viola von Cramon: "Wir haben ein Vier-Säulen-Prinzip bei dem Aktionsplan, und alle vier Säulen sind in unterschiedlichen Kommissionen angesiedelt, was die Kommunikation untereinander deutlich erschwert. Wir haben keine gute Abstimmung mit den Mitgliedstaaten – auch das ist sehr stochastisch, zufällig, wer da gerade mit wem kommuniziert. Es gibt da keine systematische Information seitens der EU, das muss dringend verbessert werden."
Viele weitere Beispiele führt der Bericht auf. Schade findet Lutz Güllner, dass der Rechnungshof nicht die Entwicklung der vergangenen Monate mitberücksichtigt hat: "Zum Beispiel, dass wir neue Regeln geschaffen haben für die Plattformen, wie sie mit Desinformation umgehen müssen. Wir haben unsere Analysefähigkeit geschärft. Wir haben uns auf neue Akteure, auf neue Bedrohungsszenarios eingestellt. Das kommt leider ein bisschen zu kurz."

Aktuelle Beispiele für Desinformation in EU-Datenbank

Einen heiklen Punkt spricht der Bericht an, der ebenfalls noch nicht ausdiskutiert ist. Auf der Webseite EUvsDisinfo wird wöchentlich ein Bericht mit aktuellen Beispielen von Desinformation veröffentlicht. Die Datenbank habe als wichtigstes Produkt der Task Force East Stratcom dazu beigetragen, das Bewusstsein für von Russland ausgehende Desinformation zu schärfen.
Doch die Unabhängigkeit des Projekts und seine Ziele würden in Zweifel gezogen, weil man den Eindruck gewinnen könne, dass es die offizielle Linie der EU vertritt. Auf der Webseite der Datenbank selbst findet sich jedoch der Zusatz: keine offizielle EU Position. Weshalb eigentlich? fragt Felix Kartte, der bis zum vergangenen Jahr selbst ebenfalls in der Task Force gearbeitet hat und nun in Berlin die Initiative RESET leitet, die sich für die digitale Demokratie einsetzt.
"Demokratische Gesellschaften dürfen und müssen sich gegen Einflussversuche autoritärer Staaten zur Wehr setzen. Der Kreml fährt seit Jahren eine massive Desinformationskampagne gegen Europa und gegen Deutschland. Das muss die EU erkennen, benennen und eventuell auch betrafen."
Das Ziel dieser Desinformation ist es, das Vertrauen in demokratische Institutionen zu schwächen. Jedes Zögern der EU wird hier als Einladung verstanden. Spätestens mit Blick auf die kommende Bundestagswahl, meint Felix Kartte, sollte das auch in Deutschland jedem bewusst sein.