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Straubhaar: Euro-Länder könnten slowakischen Rettungsanteil übernehmen

Das vorläufige Nein der Slowakei zum Rettungsschirm muss nicht dessen Ende bedeuten: Thomas Straubhaar vom Hamburger Weltwirtschaftsinstitut bringt eine Verkleinerung des Schirms ins Spiel - den slowakischen Anteil könnten stärkere Länder übernehmen.

Thomas Straubhaar im Gespräch mit Dirk Müller | 12.10.2011
    Dirk Müller: Noch ist nicht alles verloren, denn die Slowaken wollen es noch einmal versuchen mit dem möglichen Ja zum Euro-Rettungsschirm. Gestern hatte dies ja nicht geklappt in Bratislava. Zugleich warnt der scheidende Präsident der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet, endlich schnell zu handeln.

    O-Ton Jean-Claude Trichet: ”Die Krise hat eine systemische Dimension bekommen. Die Schuldenkrise in den kleineren Staaten hat jetzt auch einige größere Länder erreicht und ich möchte erneut betonen, dass wir dringend gemeinsam alles unternehmen müssen, um die Finanzstabilität zu wahren."
    Müller: Jean-Claude Trichet. – Die Troika hat indes grünes Licht gegeben für die nächsten Hilfszahlungen an Athen und die Banken geraten jedoch immer mehr in den Abwärtsstrudel der Schuldenkrise. – Am Telefon ist nun Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts HWWI. Guten Morgen!

    Thomas Straubhaar: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Straubhaar, hätten Sie gestern in Bratislava auch gegen den Rettungsschirm gestimmt?

    Straubhaar: Ich kann mindestens gut verstehen, dass die Slowaken gestern dagegen gestimmt haben, weil, das ist ein armes Land, was vergleichsweise gut gehaushaltet hat, vergleichsweise seine Staatshaushalte in Ordnung gehalten hat und jetzt eben nicht verstehen kann, wieso es als wirklich sehr armes Land ein vergleichsweise besser dastehendes Land, wenn man die Pro-Kopf-Einkommen anguckt, unterstützen soll.

    Müller: Aber das haben ja selbst viele in Deutschland nicht verstanden.

    Straubhaar: In Deutschland, würde ich sagen, sieht die Situation natürlich völlig anders aus, weil Deutschland ist das größte und wichtigste und stärkste Euro-Land. Deutschland hat auch ganz andere Interessen an einer Stabilität des Euros und in dem Sinne hat Deutschland als großes Land eine andere Verantwortung als ein kleines Land wie die Slowakei.

    Müller: Dann bleiben wir noch mal bei der Slowakei, Herr Straubhaar. Sie haben gesagt, Sie haben Verständnis dafür, dass es gestern ein Nein gegeben hat. Sie wollen aber auch ein Ja?

    Straubhaar: Also ich denke, es wird dieses Ja wohl geben, das sagen uns die Politikwissenschaftler. Aber selbst wenn es dieses Ja nicht geben würde, heißt das ja erstens nicht, dass es jetzt mit Griechenland sozusagen schlagartig eine neue Situation gibt. Griechenland läuft ja gar noch nicht unter diesem Rettungsschirm, sondern unter einem anderen Hilfsprogramm. Zweitens ist ja durchaus möglich, dass diese Erweiterung auch ohne Slowakei stattfindet. Es kann entweder passieren, dass der Rettungsschirm nicht um ganz so viel erweitert wird, wie es geplant war, sondern ganz leicht reduziert um einige wenige Milliarden, oder dass andere stärkere Euro-Länder diese Last von den Slowaken übernehmen.

    Müller: Meinen Sie, wir brauchen den Rettungsschirm?

    Straubhaar: Das ist noch mal eine ganz andere Frage. Ich glaube, was wir gelernt haben die letzten Tage ganz generell und auch, was Sie eben durch Herrn Juncker und Herrn Trichet noch mal angespielt haben, ist doch, dass eigentlich keinen Weg mehr daran vorbei führt an einem Schuldenschnitt, an einer Umschuldung, und ich glaube, der entscheidende Punkt, den man in Deutschland lange vielleicht anders gesehen hat, war, dass man in Deutschland "Entweder oder" gespielt hat, das heißt, entweder ein Land muss raus aus dem Euro, um dann umzuschulden, und ich denke, die neue Erkenntnis ist, dass es auch möglich ist, innerhalb des Euro-Raumes umzuschulden. Das heißt, ein Land wie Griechenland kann drin bleiben, muss aber einen Schuldenschnitt erleiden. Und dann ist es die Frage, wie können wir die Folgen dieses Schuldenschnitts abfedern.

    Müller: Jetzt haben wir in der deutschen Politik, vor allem in der deutschen Politik, Herr Straubhaar, in den vergangenen Wochen und Monaten ja immer wieder gehört, ein Schuldenschnitt kommt nicht infrage, oder wir wollen das definitiv ausschließen. Dann hat sich das binnen weniger Tage zumindest in der Öffentlichkeit rhetorisch geändert. Die Kanzlerin sowie auch Wolfgang Schäuble haben eingeräumt, na ja, der Schuldenschnitt wird vermutlich nicht mehr abzuwenden sein. Wie teuer kommt dieser Schuldenschnitt?

    Straubhaar: Das ist völlig richtig, dass auch ein Schuldenschnitt weder kostenlos ist, er ist auch nicht problemlos und er ist auch nicht risikolos. Das Problem, um vielleicht damit zu beginnen, besteht darin, dass es natürlich eine sehr elegante Art und Weise für einen hoch überschuldeten Staat ist, sich seiner Schulden zu entledigen, weil im Prinzip heißt ein Schuldenschnitt ja nichts anderes, als dass Verbindlichkeiten plötzlich nicht mehr gültig sind, und das könnte natürlich – und das ist dann das Risiko – auch auf andere Länder attraktiv wirken, ein Land wie Portugal oder wie vielleicht sogar eben im dramatischen Fall Italien oder Spanien könnte auf diese Art und Weise wieder Luft kriegen. Aber das würde dann eben die Kosten für diejenigen, die bis jetzt in dem Sinne Gläubiger waren, die bis jetzt gegenüber diesen Ländern Forderungen hatten, unendlich in die Höhe treiben und damit ist dann eben der Steuerzahler wohl gefordert, nicht mehr Staaten zu retten, sondern Banken, Banken in nationalen Ländern, die durch diese Staatsschuldenkrise dann eben ihrerseits in Probleme geraten, wie wir das ja gerade bei Dexia, einem französisch-belgischen Finanzinstitut, gesehen haben.

    Müller: Die Frage, Herr Straubhaar, ist in den vergangenen Wochen auch oft gestellt worden. Ich möchte Sie das dennoch auch heute Morgen noch einmal fragen. Ist der Rettungsschirm in Wirklichkeit für die Banken da?

    Straubhaar: Das, glaube ich, muss man mittlerweile so sagen, und ich denke, dass es auch bei vielen, vielen schlechten Lösungen immer noch die beste ist, dass man eben Banken statt Staaten rettet, dass man Gläubiger schützt, statt Schuldner unterstützt, und von daher gesehen haben Sie völlig recht mit Ihrer Frage, und ich glaube, das ist die große Schwierigkeit jetzt für die Politik zu erläutern, dass man nach 2008, als man versprochen hat, das soll eine Einzel- und Einmalaktion sein, jetzt wieder Banken wird retten müssen, wobei eben der Punkt darin besteht – und das ist ein kleiner, ein minimaler Hoffnungsschimmer -, dass man erstens dadurch Stabilität und in dem Sinne Planbarkeit zurück erhält, und zweitens soll das ja nicht ohne Gegenleistung erfolgen, diese Hilfe, diese staatliche Hilfe, diese Hilfe des Steuerzahlers, sondern der Steuerzahler kriegt im Prinzip dann Ansprüche und Anteile an den geretteten Banken, wie das 2008 bei der Commerzbank beispielsweise der Fall gewesen ist. Die müssen verzinst werden, die können zurückgegeben werden, wenn es den Banken besser geht, und somit hat man wenigstens ein Pfand in der Hand. Vielleicht ist es irgendeines Tages nicht viel wert, aber mindestens kann man die Hoffnung haben, dass es so wird, wie das bei der Commerzbank ja geklappt hat.

    Müller: Wenn wir bei dem Schuldenschnitt bleiben – ich muss da noch einmal nachhaken, weil ich Sie das eben schon gefragt hatte -, gibt es bei den Wirtschaftsexperten, bei den Ökonomen quantitative Vorstellungen, wie teuer ein Schuldenschnitt in Griechenland, gehen wir mal von Italien, Spanien als potenzielle Nachfolgekandidaten weg, wie teuer ein Schuldenschnitt in Griechenland kommen würde?

    Straubhaar: Ja gut, das kann man so Handgelenk mal Daumen natürlich überschlagen. Griechenland ist mit weit über 100 Milliarden verschuldet bei anderen Ländern und das heißt, Herr Juncker hat ja gesagt, 50 bis 60 Prozent der Schuldenschnitt, das heißt, das würde eine Abschreibung von 50, 60 Milliarden im griechischen Fall betragen. Bei Portugal ist es deutlich mehr und dann wirklich hohe Dimensionen macht es in Spanien, in Italien aus. Spanien ist mit 600 Milliarden verschuldet, Italien mit 800 Milliarden. Das sind Größenvorstellungen, glaube ich, die sich ein normaler Zuhörer gar nicht mehr vorstellen kann, und in dem Sinne sind das wirklich Dimensionen, die auch die Möglichkeiten sogenannter gesunder Banken weit übersteigen würden. Da werden dann auch gesunde Banken über verschiedene Mechanismen mit in den Strudel einer Staatsverschuldungskrise reingerissen.

    Müller: Das heißt, auch wenn sie die anderen Länder mit einbeziehen, das würde im Grunde in der praktischen Politik dann auch gar nicht mehr gehen?

    Straubhaar: So ist es, und deshalb ist der entscheidende Fall schon lange nicht mehr Griechenland. Griechenland ist von seiner Dimension her durchaus handelbar, durchaus zu tragen für die Gläubigerländer, also für die Gläubigerbanken. Es ist wirklich die Frage: wenn es zu einer Ansteckung kommt, dann kriegt das eine Eigendynamik, eine eigene Kraft, die im Prinzip eben sehr schwer zu kalkulieren ist, sehr schwer zu bremsen ist und sehr kostspielig werden kann für alle.

    Müller: Wenn Sie sagen, es gibt diese Ansteckungsgefahr, ist es nicht dann klüger, cleverer, auf den Schuldenschnitt in Griechenland zu verzichten, weil man dann eben kein Beispiel hat?

    Straubhaar: Das ist ja genau die Hoffnung der Politik. Darauf hat sie lange gesetzt, dass man auf Zeit gespielt hat, um genau diesen schlechten Fall des Schuldenschnittes vermeiden zu können, der in der Tat dann eben nicht mehr rückgängig zu machen ist. Wenn das mal ausgelöst ist, dann hat es eine Eigendynamik. Aber ich denke, die letzten Tage haben erstens gezeigt, dass in der Öffentlichkeit die Akzeptanz für Rettungsschirme, die immer breiter werden, immer geringer wird, und zweitens, dass eben diese Rettungsschirme mittlerweile eine Dimension haben, die dann möglicherweise auch die Retter selber gefährden und nicht mehr tragen können, und deshalb müssen private Gläubiger in der einen oder anderen Form stärker mit ins Boot geholt werden, als das bisher angedacht war, und ein Schuldenschnitt ist eine Möglichkeit, private Gläubiger mit stärker ins Boot zu holen.

    Müller: Letzte Frage. Haben Sie noch Vertrauen in die Kompetenz der handelnden Politiker?

    Straubhaar: Ja natürlich! Ich denke, das ist eine außerordentlich schwierige Situation und ich beneide niemand, der in verantwortungsvoller Stellung hier jetzt wirklich unter Unsicherheit und in sehr kurzer Zeit entscheiden muss. Ich behalte das Vertrauen. Das ist schwierig, aber es ist machbar.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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