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Streik-Ende der GDL
"Eine faustdicke Überraschung"

Er sei froh über das Ende des Lokführerstreiks, sagte Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee im DLF. Jetzt sei es Aufgabe der beiden Schlichter, einen eigenständigen Tarifvertrag der GDL auszuhandeln. Wenn das Tarifeinheitsgesetz aber bald verabschiedet werde, gehe der Streit um Zuständigkeiten weiter, gab der SPD-Politiker zu bedenken.

Wolfgang Tiefensee im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.05.2015
    Wolfgang Tiefensee, Wirtschaftsminister von Thüringen
    Wolfgang Tiefensee, Wirtschaftsminister von Thüringen (imago stock & people)
    Mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow für die Lokführer-Gewerkschaft und dem ehemaligen Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Matthias Platzeck, für die Bahn habe man es mit zwei moderaten Schlichtern zu tun. "Die Beiden können sich gut zusammensetzen, die werden das schaffen", sagte Tiefensee.
    Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt scheidet in den Augen von Tiefensee eindeutig als möglicher Vermittler aus. Er habe sich zu früh positioniert und auf die Seite der Bahn geschlagen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es ist die Meldung des Morgens: Die Bahnstreiks sollen beendet werden. Millionen Reisende könnten dann aufatmen. Seit Dienstagmorgen saßen die Vertreter der Bahn und der GDL zusammen. Schlichtung hieß das nicht, sondern Rechtsgespräch. Moderiert wurde das von Klaus Bepler, dem pensionierten vorsitzenden Richter des Bundesarbeitsgerichtes. Mitgehört am Telefon hat Wolfgang Tiefensee von der SPD. Er ist Wirtschaftsminister in Thüringen und im Jahr 2007 hat er damals noch als Verkehrsminister zwischen dem damaligen Chef der Lokführergewerkschaft GDL, nämlich Manfred Schell, und dem damaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn vermittelt. Guten Morgen, Herr Tiefensee.
    Wolfgang Tiefensee: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Hätten Sie das erwartet?
    Tiefensee: Nein. Das ist tatsächlich eine faustdicke Überraschung und ich bin sehr, sehr froh, dass die Parteien doch ganz am Ende zu einer Lösung gefunden haben und dass jetzt wohl eine Schlichtung ansteht.
    Kaess: Und Sie glauben auch, die Gespräche haben geholfen, oder war der Druck von außen letztendlich doch zu hoch?
    Tiefensee: Ich denke, beides spielt eine Rolle. Wir wissen ja, dass der Streik in der Wirtschaft ziemlich gravierende Folgen hat. Wir wissen, dass die Bahnreisenden zu Millionen auf den Bahnsteigen stehen. Und wir wissen, dass die Diskussionen insgesamt, ist das nun eine Art politischer Streik oder nicht, dazu geführt haben, dass man sich geeinigt hat.
    Kaess: Es scheint ja so, dass die Bahn nachgegeben hat. Wir haben es gerade gehört von unserem Korrespondenten, dass die GDL ihre Forderung durchgesetzt hat, dass sie einen eigenen Tarifvertrag bekommt für alle, für die sie verhandeln will, auch wenn dieser abweicht zum Beispiel von einem Tarifvertrag mit der EVG, der anderen Gewerkschaft im Unternehmen. Kann die Bahn es eigentlich dabei belassen, oder muss sie da tatsächlich jetzt um den Betriebsfrieden fürchten, wenn das so kommen sollte?
    "... dass für eine Beschäftigtengruppe ein Tarifvertrag gilt"
    Tiefensee: Ich denke, das müssen wir nun wieder auf dem Hintergrund des Tarifvertrages, der nach dem Tarifvertragseinheitsgesetz entstehen soll, sehen. Ich denke schon... Wenn dieses Gesetz verabschiedet wird, gilt: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag. So wie das ja bis zum Urteil 2010 gegolten hat, und es wird am Ende darauf hinauslaufen müssen, dass für eine Beschäftigtengruppe ein Tarifvertrag gilt, ganz egal wer von den beiden Gewerkschaften das ausgehandelt hat.
    Kaess: Langfristig wird es nicht so sein, wie es jetzt im Moment scheint, dass die GDL einfach das Maximale jetzt für sich herausgeschlagen hat, sondern dieser Konflikt geht eigentlich in eine neue Runde, spätestens wenn das Gesetz in Kraft tritt.
    Tiefensee: Ich schätze ein, wenn das Gesetz so verabschiedet wird, wie Andrea Nahles es vorgelegt hat, dass am Ende herauskommt, dass die sogenannten Tarifkollisionen nicht weiter entstehen. Das heißt, dass verschiedene Gewerkschaften für dieselbe Beschäftigtengruppe eines Betriebes unterschiedliche Regelungen mit der Arbeitgeberseite vereinbaren. Sollte das jetzt vor Verabschiedung des Gesetzes Fakt sein, dann, denke ich, wird man sicherlich noch mal nachverhandeln müssen.
    Kaess: Also der Streit um die Zuständigkeit wird wahrscheinlich weitergehen. Es soll ja jetzt auch eigentlich nur der Beginn einer Schlichtung sein. Hätten Sie Lust, noch einmal zu vermitteln?
    Tiefensee: Nein. Das waren andere Zeiten und es gibt berufene Menschen, die das können. Wir haben gerade gehört, dass der Schlichter es geschafft hat, der Quasi-Schlichter, die beiden Streitparteien auf den Kern des Konfliktes zurückzuführen, und offensichtlich die Frage zunächst einmal abgeräumt hat, die ja von Seiten der GDL einer Schlichtung entgegenstand, nämlich die Grundsatzfrage, welche Gewerkschaft darf nun eigentlich für welche Berufsgruppe Tarifverträge abschließen. Und ich denke, es werden Persönlichkeiten gefunden, die dann in der Lage sind, die verhärteten Positionen zusammenzuführen. Das war ja damals auch mein Bestreben, zunächst einmal mit den beiden Verhandlungsführern, nämlich mit Herrn Schell und Herrn Mehdorn, dafür zu sorgen, dass klar wird: Worum geht es eigentlich? Um welche Beträge geht es? Und steht eine Forderung der GDL, damals durch Herrn Schell repräsentiert, in einem Verhältnis zu dem, was ein Streik kostet und was der volkswirtschaftliche Schaden ist? Und nachdem das klar auf dem Tisch lag und man festgestellt hat, die Positionen stehen eigentlich nicht so fest, die Positionen liegen so weit nicht auseinander, war es mir möglich, zur Quasi-Schlichtung beizutragen und den Streik damals zu verhindern.
    Kaess: Sie sagen, das waren andere Zeiten. Aber 2007 war die Konstellation insofern gleich, dass die GDL als Spartengewerkschaft bei der Bahn sehr hohe Forderungen gestellt hat. Die hat sie ja auch letztlich dann ein Stück weit bekommen: Eigener Vertrag und elf Prozent mehr Geld war das damals. Sind damals die Grundlagen für den Konflikt heute gelegt worden?
    Platzeck und Ramelow als Schlichter - "...beide Persönlichkeiten sind gut geeignet"
    Tiefensee: Ja, ich denke schon, dass in der damaligen Zeit, vor allen Dingen was die Härte anbetrifft, die Dauer des Streiks, die Ankündigungen, die damals im Raum standen, dass das schon der Beginn der Auseinandersetzung war, dessen Ende oder nächste Etappe wir gerade erleben. Es ist immer wieder einmal die Grundsatzfrage, die wir besprochen haben, und zum anderen natürlich auch das, was faktisch bei einer Tarifverhandlung herauskommen soll. Und ich denke, ein Schlichter wird jetzt neben dieser Grundsatzfrage die Aufgabe haben, noch einmal zu klären auf der einen Seite: Was sind die Forderungen der GDL beziehungsweise der EVG? Was kosten die die Bahn? Und das muss in Relation gesetzt werden zu den Verlusten, die durch Streiks entstehen, und dann muss man sich einigen.
    Kaess: Es kommt gerade die Meldung, Herr Tiefensee, die möchte ich noch mit reinnehmen, dass es zwei externe Schlichter geben soll: Der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (der war ja auch schon bereits im Gespräch) für die Deutsche Bahn und der thüringische Regierungschef Bodo Ramelow. Wer hätte das gedacht.
    Tiefensee: Ja. Ich denke, beide Persönlichkeiten sind gut geeignet, hier voranzukommen und zu helfen. Ich kenne Matthias Platzeck sehr gut als einen sehr moderaten, aber auch prinzipienfesten, klugen und guten Mann und Politiker. Und auf der anderen Seite der Ministerpräsident, der ja eine gewerkschaftliche Vergangenheit hat und sich in Arbeitskämpfen, in Tarifverhandlungen sehr, sehr gut auskennt. Ich denke, die beiden können sich gut zusammensetzen. Sie sind moderat, sie werden das hoffentlich schaffen, so dass wir um einen Streik in der nächsten Zeit herumkommen.
    Kaess: Sollten diese beiden nicht weiterkommen, wann ist der Punkt erreicht, wo sich Ihr Nachfolger als Verkehrsminister, Alexander Dobrindt, einmischen muss?
    Tiefensee: Ich denke, der Punkt ist überschritten. In dem Moment, wo der Verkehrsminister Dobrindt sich auf eine Seite und definitiv auf eine Seite geschlagen hat, ist er letztlich nicht mehr in der Lage, zwischen den beiden Parteien zu vermitteln.
    Kaess: Sie meinen gegen die GDL. Er hat sich gegen die GDL positioniert.
    "Dobrindt hat sich zu früh positioniert"
    Tiefensee: Richtig. Er hat sich gegen die GDL positioniert, ganz klar also auf eine Seite geschlagen. Das ist eine schlechte Voraussetzung, um zwei Parteien an den Tisch zu holen. Ich muss immer wieder betonen: Auf der einen Seite haben Gewerkschaften das Recht, für ihre Beschäftigten insgesamt, für bestimmte Beschäftigtengruppen die Tarifverträge auszuhandeln, möglicherweise auch streitig. Der Streik gehört dazu als Instrument. Auf der anderen Seite hat der Arbeitgeber das Recht, seine Forderungen durchzusetzen. Beide Seiten müssen gehört werden, beide Seiten muss man verstehen, will man tatsächlich als ein Vermittler neutral und ergebnisoffen in solche Verhandlungen gehen, und das kann der Verkehrsminister nicht mehr.
    Kaess: Da hat Herr Dobrindt einen Fehler gemacht?
    Tiefensee: Ich denke, er hat sich zu früh positioniert. Zumindest hätte er immer auch die Belange der Gewerkschaft mit kommunizieren müssen und hätte deutlich machen müssen, dass er ein Verständnis hat, zum Beispiel dafür, dass die GDL Lohnforderungen hat, die durchaus auch ihre Berechtigung haben.
    Kaess: Aber Sie sagen, er ist zu weit gegangen, er hat sich zu früh positioniert. Muss er auf der anderen Seite, weil die Bahn ein Bundesunternehmen ist, nicht doch versuchen, ab einem gewissen Punkt dann wieder ins Spiel zu kommen?
    Tiefensee: Zunächst haben wir eine ganz klare Tarifautonomie. Das ist das, was Deutschland stark gemacht hat, dass die Tarifpartner für sich autonom verhandeln können und dass sich Politik nicht einmischt. Wir haben hier allerdings den Sonderfall, dass die Bahn 100 Prozent in der Eigentümerschaft der Bundesrepublik steht, und von daher kann man sich einmischen, wenn Sie das Wort schon so gebrauchen, abseits einer Schlichtung. Man kann versuchen beizutragen, die verhärteten Positionen aufzulösen, dann, wenn es sich verhakt hat, zu helfen. Aber das ist momentan nicht mehr möglich.
    Kaess: ... sagt Wolfgang Tiefensee von der SPD. Er ist Wirtschaftsminister in Thüringen und hat schon einmal selbst im Streit bei der Bahn vermittelt. Wir sprachen mit ihm darüber und darüber, dass die Bahnstreiks beendet werden. Danke schön!
    Tiefensee: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.