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Streikwelle in Portugal
Regierung in Lissabon unter Druck

Es vergeht derzeit kaum ein Tag in Portugal, an dem die Angestellten in Schulen, in Krankenhäusern und in der öffentlichen Verwaltung nicht für höhere Gehälter streiken. Die sozialistische Minderheitsregierung steckt in der Klemme – wenige Monate vor den nächsten Parlamentswahlen.

Von Tilo Wagner | 01.04.2019
Krankenschwestern und Pfleger stehen vor dem Santa Maria Krankenhaus in Lissabon im Streik und halten Plakate hoch - am 8. Februar 2019
Fordern mehr Geld: Krankenschwestern und Pfleger gehen aus Protest auf die Straße (Archiv) (AFP/Patricia de Melo Moreira)
Vor einem kleinen Café in Sintra, rund 20 Kilometer westlich von Lissabon, sitzen ein paar Grundschüler mit ihren Eltern am Tisch. Normalerweise hätten sie an diesem Vormittag Unterricht. Weil aber an der Schule wieder einmal gestreikt wird, bleiben sie heute bei ihren Eltern – und das gefällt manchen Erwachsenen, die eigentlich arbeiten müssten, überhaupt nicht: "Wenn die Lehrer streiken, liegen sie doch den ganzen Tag nur im Bett", sagt eine junge Frau. Und ein Mann fügt hinzu: "Ich habe noch nie gestreikt. Trotzdem sollten Arbeiter, die sich schlecht behandelt fühlen, das Recht dazu haben. Aber dann sollen sie auch vor der Schule stehen und demonstrieren. Und das passiert nicht."
Kleine Linksparteien wollen sich profilieren
Seit Beginn des Jahres wurde in Portugal häufiger gestreikt, als im gesamten Jahr 2015. Damals war noch eine konservative Regierung an der Macht, die in der Staatschuldenkrise den harten Sparkurs der Troika umgesetzt und sich den Unmut vieler Portugiesen zugezogen hatte. Mittlerweile regiert eine sozialistische Minderheitsregierung, die von kleineren Linksparteien wie den Kommunisten und dem "Bloco Esquerda" unterstützt wird. Zu Beginn der Legislaturperiode hatte das zum sozialen Frieden beigetragen. Doch gerade diese kleineren Parteien kritisieren jetzt die Sozialisten. Luís Fazenda, einer der Gründungsväter und Präsidiumsmitglied des Linksblocks, wirft der Regierung vor, blind an der Sparpolitik festzuhalten:
"Ich finde es ganz normal, dass die Streikwelle insbesondere im öffentlichen Dienst weitergeht. Wir unterstützen die Streikenden. Schließlich haben sie unter der Troika am stärksten gelitten. Die Regierung verfügt über die nötigen Mittel im Haushalt, um einen großen Teil der Forderungen der Streikenden umzusetzen. Aber der sozialistischen Regierung ist es wichtiger, in Brüssel und Frankfurt zu zeigen, dass das Haushaltsdefizit nur noch sehr gering ist. Die Regierung setzt das bei den europäischen Institutionen als politisches Propagandamittel ein."
Angestellten wollen vom Boom profitieren
Im vergangenen Jahr betrug das portugiesische Defizit nur noch 0,5 Prozent; die Staatsschuldenquote ging auf 121,5 Prozent der Wirtschaftsleistung zurück - das ist der beste Wert seit 2011. Die treibende Kraft hinter diesem Konsolidierungskurs ist Finanzminister und Eurogruppenchef Mário Centeno, der seine ganze Macht einsetzt, um die öffentlichen Ausgaben streng zu kontrollieren.
Dagegen wehren sich die Gewerkschaften. Insbesondere die Lehrer fordern, dass die Regierung neuneinhalb Jahre Dienst in den Laufbahnen der rund 100.000 Lehrer anerkennt und sich das auf ihre Gehälter auswirkt - eine Maßnahme, die den Staat jährlich 600 Millionen Euro kosten würde. Doch die Sozialisten wollen nur einen Teil der Ansprüche erfüllen und verweisen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes: Der große Boom scheint auch in Portugal vorbei, im laufenden Jahr soll die portugiesische Wirtschaft nur noch um 1,7 Prozent wachsen. Trotz dieser Zwänge gibt der Politikwissenschaftler André Alves von der Katholischen Universität in Lissabon der Regierung eine Mitschuld an der derzeitigen Situation. Schließlich, so André Alves, haben die Sozialisten selbst den Eindruck erweckt, dass Portugal die Krise weit hinter sich gelassen hätte:
"Die Regierung hat seit 2015 immer wieder vom Ende des Sparkurses und vom Beginn eines neuen Zyklus' gesprochen. Nun, wenn alles so viel besser sein soll, aber es mir persönlich gar nicht so viel besser geht, dann will ich jetzt auch meinen Teil abbekommen. Dieses Denken versteckt sich hinter den Protesten der Lehrer, der Krankenpfleger und anderer Berufsgruppen. Ihre Erwartungen sind so groß, weil die Sozialisten selbst die Idee verbreitet haben, dass der Sparkurs angeblich vorbei sein sollte. Tatsächlich geht das Wirtschaftswachstum jedoch wieder zurück und die Regierung hat fast keinen Spielraum im Haushalt. Deshalb hat sie so große Schwierigkeiten, die Konflikte politisch zu lösen."