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Streit im Anti-Doping
USA wollen WADA durch Drohungen zur Reform bewegen

Washington droht der WADA mit Geldentzug, wenn sie sich nicht grundlegend ändert. Zugleich versucht die Welt-Anti-Doping-Agentur ein neues und scharfes Anti-Dopinggesetz in den USA zu verhindern. Es geht auch darum, wer im Anti-Doping-Kampf das Sagen hat.

Von Tom Mustroph | 12.07.2020
Im polnischen Kattowitz fand Anfang die 5. Konferenz der Welt-Anti-Doping-Agentur statt.
Die WADA ist gegen das neue Antidopinggesetz in den USA. (Alexey Vitvitsky / Sputnik/dpa)
Es ist ein Konflikt der besonderen Art. Das Büro für Nationale Drogenkontrollpolitik der US-Regierung, ONDCP, will der Welt-Antidoping-Agentur WADA die Mittel kürzen.
"Am Dienstag hat das Repräsentantenhaus dem ONDCP die erbetene Vollmacht erteilt, die finanziellen Zuwendungen an die WADA zu kürzen oder komplett einzustellen, sollten die Reformen nicht erfolgen", sagt Travis Tygart, Präsident der Antidopingagentur der USA. Es geht um jährlich 2,7 Millionen Dollar, die die USA an die WADA zahlen. Diese 2,7 Millionen Dollar werden noch vom IOC um die gleiche Summe aufgestockt. Ein Zahlungsausfall würde also ein Loch von 5,4 Millionen ins WADA-Budget reißen. Das beträgt gegenwärtig 37,4 Millionen US-Dollar.
NADAs fordern Stimmrecht für Sportlerinnen und Sportler
Hintergrund der Drohung sind verschleppte Reformen. Seit 2016 fordern verschiedene Nationale Anti-Dopingagenturen die WADA auf, Sportlerinnen und Sportlern Stimmrechte in den WADA-Gremien zu gewähren und die Organisation selbst unabhängiger vom Sport zu machen.
Auf die Drohung des Geldentzugs reagierte die WADA erschrocken. Sie betonte, dass der Reformprozess bereits eingeleitet sei. Für die USA, und auch für deren obersten Dopingjäger Tygart, sind diese Ankündigungen aber zu wenig.
Tygart: WADA muss sich unabhängig machen
"Wir alle wollen zwar mehr Geld, aber nicht unter den gegenwärtigen Umständen. Sie müssen die Versprechen einhalten, sich unabhängig machen. Denn wir alle wissen, der Fuchs kann nicht den Hühnerstall bewachen, das ist nicht effektiv. Und die Sportler müssen mit an den Tisch."
Tygart ist der weltweit wohl erfolgreichste Dopingjäger. Seine Ermittler überführten unter anderem Radsportstar Lance Armstrong, die Sprinterriege um Marion Jones. Sie deckten auch die Praktiken im Nike Oregon Project auf.
Rodshenkov Act: US-Ermittler sollen außerhalb des Landes ermitteln dürfen
Ein zweiter Konfliktherd in der Auseinandersetzung zwischen den USA und der WADA ist das neue Antidopinggesetz aus Washington. Es ist der sogenannte Rodshenkov Act, benannt nach dem Kronzeugen im russischen Dopingskandal. Es ermächtigt US-Ermittler, auch außerhalb der Landesgrenzen bei Dopingverstößen zu ermitteln. Bedingung ist, dass Geld aus den USA die Veranstaltung finanziert und mindestens ein US-amerikanischer Athlet oder eine Athletin teilnehmen.
Die WADA ist dagegen. Eine Sprecherin teilte dem Deutschlandfunk mit: "Der Rodshenkov Act droht das erfolgreiche globale Antidopingsystem zu unterminieren. Das Gesetz würde das juristische Chaos wieder einführen, das bis zu Gründung der WADA im Jahre 1999 existierte."
WADA lobbyierte gegen das Gesetz
Damals gab es in den einzelnen Ländern entweder keine oder voneinander abweichende Gesetzgebungen für Dopingverstöße. Im Strafrecht wurden oft Paragrafen aus den Bereichen Betäubungsmittel und Arzneimittel benutzt. Die Gründung der WADA stellte 1999 tatsächlich einen Fortschritt dar. Im Rahmen der aktuellen Gesetzesinitiative in den USA setzte die WADA allerdings aus ihren knappen Mitteln 250.000 Dollar für Lobbyarbeit gegen dieses Gesetz ein.
"Sie heuerten ein Lobbyunternehmen an und der WADA-Generalsekretär und ein anderer Mitarbeiter kamen hierher und erklärten, warum das Gesetz nicht nötig sei", erzählt Tygart.
Als dies im November 2019 bekannt wurde, setzte ein mittleres Beben im in der Anti-Doping-Welt ein. Denn hier wurde Geld, das zum Teil von den Regierungen kam, eingesetzt, um Gesetze, die eben diese Regierungen erlassen wollen, zu verhindern. WADA-Generalsekretär Olivier Niggli wehrte sich gegen Vorwürfe des Lobbying. Gespräche mit US-Entscheidern musste er aber eingestehen.
Auch Funktionären kann es an den Kragen gehen
Kritiker der WADA fürchten, dass Hintergrund des Widerstands weniger die Sorge um eine Harmonisierung der Antidoping-Gesetzgebung ist. Sondern die Angst, dass es jetzt zum ersten Mal auch korrupten Sportfunktionären an den Kragen gehen kann. Travis Tygart erläutert dies am Beispiel des jüngsten Dopingskandals im Gewichtheben. Tamas Ajan führte 45 Jahre lang den Internationalen Gewichtheberverband, erst als Generalsekretär, dann als Präsident.
"Er unterschlug zehn Millionen Dollar, vertuschte 40 Dopingfälle. Da sind noch nicht einmal die Fälle enthalten, die er verzögerte. Er wurde dann überführt. Und er geht einfach in den Ruhestand."
Kein Strafverfahren gegen ihn. Die WADA setzte zwar ihren Sonderermittler Richard McLaren ein. Aber Entschädigungszahlungen oder gar eine Gefängnisstrafe muss Ajan nicht fürchten. Pikant im Falle Ajan ist noch, dass der Ungar ein extrem hochrangiger Sportfunktionär war.
WADA soll vom IOC unter Druck gesetzt worden sein
"Tamas Ajan war Mitglied des IOC, er saß von 1999 bis 2017 im Stiftungsrat der WADA - in einer Zeit, über die der Report sagte, es sei das düsterste Kapitel in der Geschichte des Gewichthebens." Der Rodshenkov Act könnte diesen Zustand der Straflosigkeit beenden. Die Kritik der WADA an dem Gesetzentwurf erscheint nun in einem neuen Licht.
"Ich habe erfahren, dass die WADA extrem vom IOC unter Druck gesetzt wurde, um alles zu tun, um den Rodshenkov Act zu verhindern. Sie wollen, dass Spitzenfunktionäre weiterhin nicht zur Verantwortung gezogen werden können."
Dopingvertuscher im Sport können strafrechtlich belangt werden
Offiziell begrüßt das IOC die Gesetzesinitiative. Sie sei, so hieß es in einem IOC-Statement, "absolut auf der Linie der Politik des IOC, denn wir sehen, dass ein geheimes Netzwerk rings um den Athleten in den meisten Dopingfällen beteiligt ist." Als Netzwerk-Beteiligte führte das IOC neben Trainern, Ärzten und Managern Vertreter von Regierungen und Sportverbänden auf. Offenbar muss das IOC seine offizielle Linie noch mit der inoffiziellen Linie in Einklang bringen.
Klar ist: Nur wenn dieses Gesetz durchkommt, können erstmals auch Dopingvertuscher in den Verbandsspitzen strafrechtlich belangt werden. Doping-Netzwerkern drohen bis zu zehn Jahren Gefängnis und einer Million Dollar Strafe. Noch in diesem Jahr will der US-Kongress über das Gesetz abstimmen.