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Streit mit Kanada
Der aggressive Modernisierungskurs Saudi-Arabiens

Saudi-Arabien hat harsch auf die Kritik der kanadischen Außenministerin reagiert. Der Politikwissenschaftler Volker Perthes hält das für eine kalkulierte Überreaktion des saudischen Kronprinzen im Zuge seines Modernisierungskurses. Der Westen solle sich davon jedoch nicht einschüchtern lassen, sagte Perthes im Dlf.

Volker Perthes im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.08.2018
    Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman im November 2016.
    Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman will sein Land modernisieren - verbindet dies aber mit einem neuen, aggressiven Nationalismus (picture alliance / AFP / Fayez Nureldine)
    Tobias Armbrüster: Was passiert da gerade zwischen Saudi-Arabien und Kanada, zwischen zwei Ländern, die geografisch, aber auch politisch-gesellschaftlich Tausende von Kilometern weit auseinanderliegen? Beide Länder liefern sich seit Tagen einen diplomatischen Schlagabtausch. Saudi-Arabien hat bereits den kanadischen Botschafter ausgewiesen, die staatliche Fluggesellschaft hat alle Verbindungen nach Toronto ausgesetzt. Angefangen hat das alles mit einer kritischen Äußerung der kanadischen Außenministerin. Ein Streit also, der täglich weiter eskaliert und in dem sich interessanterweise der große Nachbar Kanadas, die USA, erstaunlich zurückhält.
    Thilo Kößler über den eskalierenden diplomatischen Streit zwischen Saudi-Arabien und Kanada. Und mitgehört hat der Politikwissenschaftler Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik, das ist ein Thinktank, der unter anderem auch Bundestag und Bundesregierung berät. Schönen guten Morgen!
    Volker Perthes: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Herr Perthes, lassen Sie uns zunächst auf den Grund dieses Konflikts noch einmal schauen. Warum reagiert die Führung in Saudi-Arabien so gereizt?
    Perthes: Die Führung in Saudi-Arabien reagiert insgesamt gereizt, nicht nur auf Kanada, sondern auf jede Kritik von außen an ihrem Kurs. Und das hat etwas mit ihrem Veränderungskurs, Modernisierungskurs im Inneren zu tun, der ist relativ radikal. Da gibt es Opposition von den traditionellen religiösen Autoritäten und von konservativen Kreisen. Es ist aber auch ein Kurs, der aggressiv nach außen ist. Das sehen wir im Verhalten gegenüber Katar, gegenüber Jemen, das sehen wir aber auch in den Beziehungen zu traditionellen europäischen und westlichen Partnern wie Deutschland im letzten Jahr, vorletzten Jahr und jetzt eben auch Kanada. Wir haben hier eine sehr dünnhäutige, aggressiv modernisierende, aber auch aggressiv nach außen agierende Führung.
    "Kurs einer aggressiven Modernisierung"
    Armbrüster: Diesen Kurs müssen Sie uns noch etwas genauer beschreiben. Wir haben ja in diesem Jahr da auch etwas anderes aus Saudi-Arabien erfahren, dass sich da eben gerade eine Menge auch ändert. Frauen zum Beispiel dürfen seit Kurzem Autofahren. Das ist für saudische Verhältnisse schon eine Revolution. Wie müssen wir das jetzt einschätzen, ist dieses Land in irgendeiner Weise dabei, sich zu öffnen, oder ist es das nicht?
    Perthes: Es ist dabei, sich zu modernisieren, und das ist das, was ich aggressive Modernisierung genannt habe. Der Kronprinz, der De-facto-Herrscher dieses Landes ist, hat erkannt, zu Recht erkannt, dass das Land in seiner sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung hinter seinen Potenzialen zurück ist, also zum Beispiel dass Frauen nicht angemessen beteiligt sind am öffentlichen Leben, auch am wirtschaftlichen Leben. Dazu gehört, dass Frauen Auto fahren dürfen mittlerweile, aber auch viele andere Dinge. Er hat erkannt, dass das religiöse Establishment zu viel Einfluss hat, und er drängt die Konservativen zurück und versucht gleichzeitig, die Gesellschaft zu öffnen. Aber er will das selbst machen, er will keine Kritik von außen haben, und er verbindet das mit einem aggressiven neuen Nationalismus. Die jungen Saudis sollen stolz sein auf ihr Land, auf das Militär des Landes, das Krieg führt im Jemen. Man wehrt sich gegen Kritiker im eigenen Umfeld und gegen Abweichler vom saudischen regionalpolitischen Kurs. Das bekommt Katar vor allem zu spüren. Und wenn Staaten, mit denen man gute Wirtschaftsbeziehungen hat, wie eben Deutschland oder Kanada, sich in Anführungsstrichen anmaßen, etwas gegen die innere Politik, die innere Lage oder die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien zu sagen, dann tritt man eben auch diesen Staaten gegenüber aggressiv auf, zieht etwa den Botschafter aus Deutschland zurück oder beschließt jetzt eine Reihe von Maßnahmen gegenüber Kanada, die völlig unangemessen erscheinen, die aber in gewisser Weise eine kalkulierte Überreaktion sind, wo es offensichtlich auch Unterstützung bei einigen der aggressiven jungen Anhänger des Kronprinzen gibt.
    Armbrüster: Wie passt denn in diese saudische Modernisierungspolitik überhaupt, dass, wie wieder jüngst geschehen, Menschenrechtsaktivistinnen verhaftet werden. Wäre es da nicht eigentlich ein Zeichen gewesen zu sagen, wir in Saudi-Arabien erlauben jetzt auch eine solche Form des Protests?
    Perthes: Das ist, wie wir uns das heute vorstellen, nachdem wir 150 Jahre auch sagen wir mal sehr unterschiedlicher Modernisierung durchgegangen sind. Ich denke, Mohammed bin Salman, der Kronprinz orientiert sich da eher an Bismarck als an Merkel, um das mal so zu sagen. In der Geschichte europäischer Nationalstaaten oder auch amerikanischer Nationalstaaten wie der USA und Kanada ist ja eine gewisse Aggressivität mit der die Nation-, Staatwerdung und Modernisierung, der Ausbildung des modernen Nationalstaates durchaus auch einhergegangen, nach innen und nach außen. Insofern ist das historisch nicht ganz ungewöhnlich, nur wir erinnern uns vielleicht nicht mehr an unsere eigenen Modernisierungsprozesse.
    Armbrüster: Kann man denn sagen, die kanadische Außenministerin, die kanadische Regierung insgesamt möglicherweise hat das völlig falsch eingeschätzt?
    "Internationales Klima autoritärer Machtpolitik"
    Perthes: Ich glaube, sie hat das nicht völlig falsch eingeschätzt, sondern sie tut etwas, was für Kanada steht und auch da innenpolitisch wichtig ist. Sie besteht auf die Werte, auf die Wertegrundlage, die Werteorientierung liberaler westlicher Staaten. Dazu kommt, dass der konkrete Fall, an dem sich der Streit jetzt entzündet hat, eine innenpolitische Bedeutung hat, weil es sich um die Verwandte einer kanadischen Staatsangehörigen handelt, die hier verhaftet worden ist. Und das einzige, was die kanadische Außenministerin vielleicht nicht erkannt hat oder bereit ist, auszutesten und einfach gegenzuhalten, ist, dass wir zurzeit ein Klima haben international, wo diese Art von aggressiver Verteidigung der eigenen Souveränität nach außen sozusagen unter dem Stichwort "Hört auf, uns über Menschenrechte zu belehren, kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten und macht wirtschaftliche Kontakte mit uns, aber mehr auch nicht", dass diese Haltung international bei einigen großen autoritären Staaten sehr gut ankommt. Man denke an Russland und China, an deren Methoden sich der saudische Kronprinz ja auch ein Stück weit orientiert. Und dass es eben keine ganz große westliche Macht mehr gibt, die dem entgegenhält. Die USA, wir haben das auch eben in ihrem Bericht gehört, unterschreiben eben nicht mehr auf der Basis von Werten oder von inneren Strukturen, Demokratie oder Autokratie, wenn sie mit anderen Staaten umgehen. Das ist ein Klima, in dem Mohammed bin Salman, aber auch andere Führer mittlerer Mächte mit ihrem inneren Autoritarismus ganz gut ankommen in der Welt und durchkommen.
    "Wir sollten unsere Werte verteidigen"
    Armbrüster: Was würden Sie denn dann als Kenner der internationalen Diplomatie, was würden Sie als sagen wir mal Tipp geben an westliche Regierungen. Wie sollen sie mit solchen diplomatischen Streitereien umgehen? Soll man das einfach vermeiden, so etwas gar nicht mehr ansprechen, oder was kann man tun?
    Perthes: Es gibt hier tatsächlich eine ganz feine Linie, die nicht immer so leicht zu finden ist. Auf der einen Seite sehr deutlich zu machen, was unsere Wertegrundlage ist und dass wir die auch für richtig halten und dass wir sie verteidigen. Also ein deutscher Politiker, ein deutscher Außenminister würde sicherlich nie sagen, dass Kanada und Saudi-Arabien Verbündete oder Freunde auf der gleichen Ebene sind, sondern wir würden da einen Unterschied machen und sagen, Saudi-Arabien ist ein wichtiger Partner, es hat eine wichtige strategische Funktion am Persischen Golf. Aber gleichzeitig gehört es eben nicht zur westlichen liberalen Staatengemeinschaft. Da sollten wir unsere Werte verteidigen. Auf der anderen Seite akzeptieren, dass wir Staaten wie Saudi-Arabien nicht von außen ändern können. Wir können unserer Besorgnis Ausdruck geben, wir können auch im Gespräch mit Saudis, und es geht nicht nur um Saudi-Arabien, es geht auch um andere Staaten ähnlicher Orientierung, wir sollten im Gespräch mit Bürgern, mit Politikern, mit Entscheidungsträgern in diesen Staaten sehr deutlich machen, warum wir überzeugt sind, dass unsere Werte letztlich auch besser sind für die wirtschaftliche und kulturelle und soziale Entwicklung dieser Staaten.
    Armbrüster: Aber wir können wahrscheinlich auch festhalten, dass Staaten, die wie Saudi-Arabien ihre Interessen nach außen durchaus auch mit einer leichten Aggressivität vertreten, dass solche Staaten zurzeit die Oberhand haben.
    Perthes: Saudi-Arabien hat nicht an sich die Oberhand, und einzelne autoritäre Staaten nicht. Aber es gibt sozusagen ein internationales Klima der Machtpolitik, der Orientierung an Großmachtinteressen, wo liberale Werte unter die Räder geraten. Und solange wir in der westlichen Staatengemeinschaft hier nicht wieder eine gemeinsame Grundlage der Politik hinbekommen, die deutlich eintritt für Demokratie und Menschenrechte und auch unterscheidet, ob Staaten zum liberalen Wertekonsens gehören oder nicht - was ja nicht heißt, dass man nicht mit ihnen zusammenarbeitet -, so lange haben Demokratie und Menschenrechte relativ schlechte Karten in der Welt, ja.
    Armbrüster: Der aktuelle Streit zwischen Saudi-Arabien und Kanada, und welche Lektion wir daraus lernen können. Volker Perthes war das, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Zeit heute Morgen!
    Perthes: Sehr gern, Herr Armbrüster!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.