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Streit über Qualität der Kita-Betreuung
Viel Masse, wenig Klasse

2014 versprach Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig, die zum Teil erheblichen Qualitätsunterschiede in Kitas aufzuheben. Helfen sollte dabei ein Bundesqualitätsgesetz. Passiert ist seitdem nichts. Studie bescheinigten der frühkindliche Bildung in vielen Kitas höchstens Mittelmaß. Jetzt gibt es einen neuen Anlauf für ein Kita-Gesetz.

Von Benjamin Dierks | 03.09.2016
    Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund
    Erzieher und Kinder in einer Kindertagesstätte in Dortmund (Imago)
    "Machst du Frühstück? Und was gibt es heute zum Frühstück?" - "Eier." - "Spiegeleier?"
    In der Kita Waldhäuschen in Berlin-Lichtenberg räumen drei Mädchen Geschirr aus einem Regal in der Spielküche. In ihrer Mitte sitzt die Erzieherin Irene und reicht ihnen kleine Plastiktassen.
    "Ganz viele kleine Tässchen, schau mal. Jetzt muss unser Tee erst mal warm werden, stimmt's? Probiere mal."
    Die dreijährige Vivienne hält eine kleine Pfanne in der Hand. Sie verbringt erst ihren zweiten Morgen hier in der Kita. Ihre Mutter sitzt ganz in der Nähe. Sie ist geblieben, damit ihrer Tochter die Eingewöhnung leichter fällt. Aber Vivienne ist schon ganz ins Spiel vertieft.
    "Irene bezieht sie jetzt ins Rollenspiel mit ein, damit sie gleich ins Spiel mit den anderen findet."
    Liebevolle und persönliche Betreuung, das ist der Anspruch
    Die Kita-Leiterin Carola Gliesche beobachtet die Szene zufrieden. Sie legt viel Wert darauf, dass neuen Kindern der Einstieg ins Kita-Leben so leicht wie möglich fällt. Deswegen kümmern sich die Erzieherinnen besonders intensiv um sie. Die Aufmerksamkeit für jedes Kind soll aber auch dann nicht aufhören, wenn es schon länger in der Kita ist. Das fängt bei der morgendlichen Begrüßung an.
    "Wir sprechen jedes Kind mit dem Namen oder mit dem Kosenamen an, wir schauen das Kind dabei an. Wir gehen auf die Ebene des Kindes, also entweder wir beugen uns hinunter oder, wenn das Kind noch nicht laufen kann, geben es uns die Eltern von Arm zu Arm."
    Liebevolle und persönliche Betreuung statt anonymer Verwahrung, das ist der Anspruch der Erzieherinnen. Wenn es so läuft wie im Waldhäuschen, macht eine Kita aus Sicht von Bildungsfachleuten schon viel richtig.
    "Da fängt es an, vom ersten Moment der herzlichen Begrüßung, eines kurzen Wortwechsels mit den Eltern, passt alles, muss ich irgendwas wissen, bis hin zu dem Moment, wo das Kind wieder abgeholt wird."
    Eine ganze Woche nicht ein einziges Mal individuell angesprochen
    Fabienne Becker-Stoll ist die Direktorin des Staatsinstituts für Frühpädagogik in München. Die Entwicklungspsychologin hat bundesweit die Qualität der Kindertagesbetreuung untersucht. Und sie hat oft erlebt, dass eine Einstellung wie die von Carola Gliesche und ihrem Team im Waldhäuschen alles andere als selbstverständlich ist in deutschen Kindertagesstätten.
    Kinder im Kindergarten, hier im Kinderhaus "Blauer Elefant" in Essen
    Kinder im Kindergarten, hier im Kinderhaus "Blauer Elefant" in Essen ( picture alliance / dpa)
    "Wir haben kleine Feldexperimente gemacht, wo wir festgestellt haben, dass es Kindergartenkinder gibt, die eine ganze Woche lang nicht ein einziges Mal individuell angesprochen werden, Begrüßungen und Verabschiedungen eingeschlossen."
    Fachleute wie Fabienne Becker-Stoll beklagen, dass zahlreiche Kindertagesstätten grundlegende Qualitätsstandards unterschritten. Die Zahl der Einrichtungen, in denen es besonders gut läuft, ist ihrer Beobachtung nach kleiner als die, in denen es an Qualität mangelt.
    "Circa unter zehn Prozent sind so hervorragend, dass wir sagen würden, die sind genauso, wie sie sein sollten. Und bis zu über 20 Prozent, je nach Altersspreizung der Kinder, die betreut werden, erfüllen nicht einmal die Mindestanforderungen."
    Bindung zwischen Erziehern und Kind soll entstehen
    Zu den Mindestanforderungen der Pädagogen gehört zum Beispiel, dass Kinder wahrgenommen werden, dass eine Bindung entsteht zwischen Erzieherin und Kind und dass das Personal auf die Bedürfnisse der Kinder eingeht. Insgesamt sei die frühkindliche Bildung in Deutschland höchstens mittelmäßig, schließt Becker-Stoll.
    "Der Grund dafür ist die rasante Steigerung der Anforderungen an das, was Kindertageseinrichtungen leisten sollen und an das, was die pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen Einrichtungen leisten sollen. Der Auftrag an die Kindertageseinrichtungen hat sich dramatisch verändert. Denken Sie daran, wie viele sehr junge Kinder heute in Kindertageseinrichtungen sehr viele Stunden pro Tag pro Woche betreut werden. Und auch die Erkenntnisse, dass Bildung nicht erst mit Schuleintritt zu beginnen hat von staatlicher Seite."
    Der Wohnort ist entscheidend
    Viel hängt für Eltern und Kinder davon ab, in welchem Bundesland sie wohnen. Denn Länder und Kommunen sind für die Kitas verantwortlich. Sie legen etwa fest, wie viele Kinder durch eine Betreuerin beaufsichtigt werden können, wie viel Platz es in den Kitas gibt und ob sich ausschließlich Erzieherinnen um die Kinder kümmern oder auch geringer qualifiziertes Personal.
    Die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD)
    Bisher gibt es keine bundeseinheitlichen Standards für frühkindliche Bildung. (imago stock & people)
    Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wollte die teils erheblichen Unterschiede zwischen den Bundesländern vor zwei Jahren aufheben. Ein Qualitätsgesetz sollte für alle Länder gleiche Standards setzen. Mit dieser Zusage war die Sozialdemokratin als Ministerin angetreten. Doch die Länder und Kommunen machten ihr einen Strich durch die Rechnung. Sie wollten sich in ihre Hoheit über die Kitas nicht hineinreden lassen – und vor allem nicht auf den Kosten für die höhere Qualität sitzenbleiben. Nun will Schwesig einen neuen Anlauf nehmen, um bundesweite Standards durchzusetzen – allerdings etwas behutsamer.
    "Das ist auch dem Umstand geschuldet, dass wir ja auch die eigenständigen Interessen der Länder respektieren. Bundesweit - und zwar gemeinsam mit den Ländern - lässt sich feststellen, was gute Qualität in der Kindertagesbetreuung ist. Das betrifft Dinge wie den Fachkraft-Kind-Schlüssel, also wie viele Fachkräfte in einer Kita tätig sein sollen. Das betrifft aber auch die Frage der Leitungsspanne in einer Kita. Das betrifft aber auch solche Fragen wie Beitragsfreiheit, ja oder nein?" sagt Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesfamilienministerium.
    "Ich würde nie davon sprechen, dass der Bund jetzt alleine Qualitätskriterien festlegt, an denen die Länder sich dann orientieren müssen. So ein verbindlicher rechtlicher Rahmen muss ja auch berücksichtigen, dass es in den Ländern ganz unterschiedliche Bedingungen und Voraussetzungen gibt."
    Bisher kein gemeinsames politisches Verständnis
    Seit zwei Jahren sprechen Vertreter von Bund, Ländern und Kommunen in einer Arbeitsgruppe darüber, was genau sie unter "Qualität in der frühkindlichen Bildung" verstehen. Eine Verlegenheitslösung. Denn nach Schwesigs erstem Vorstoß kamen die Regierungschefs der Länder mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Dezember 2014 überein, dass es, so wörtlich, "keiner bundesweiten Standards bedarf".
    "Wir haben hier eine Situation vorgefunden, die schon dadurch geprägt war, dass Bund und Länder sich in dieser Frage fast zerstritten haben, was nicht an den Ländern lag. Es gab gegenseitige Vorhaltungen darüber, ob Ziele erreicht wurden oder nicht erreicht wurden, aber es gab kein gemeinsames politisches Verständnis. Und dieses Verständnis darüber, wie sich die Qualität in der Kindertagesbetreuung in Deutschland entwickeln soll, das haben wir jetzt."
    Im November wird die Bund-Länder-Arbeitsgruppe einen Zwischenbericht vorlegen. Darin soll dieses gemeinsame Verständnis zum Ausdruck kommen – in Form konkreter Ziele. Das Bundesfamilienministerium will darin auch ein eigenes Gesetz ankündigen, das "Bundesqualitätsentwicklungsgesetz". Das soll einerseits für ganz Deutschland gültige Qualitätsziele festlegen. Wie und wann diese erreicht werden, ist dann aber Verhandlungssache zwischen dem Bund und jedem einzelnen Bundesland.
    "Wenn sich der Bund daran auch nennenswert beteiligt, dann kann man das in einem Gesetz gut vereinbaren. Wir sind der Ansicht, dass die Verbesserung der Qualität schon auch davon abhängt, dass sich der Bund stärker engagiert, auch finanziell stärker engagiert."
    Spielplatz in einer Kita
    Spielplatz in der 24-Stunden-Kita in Schwerin (Sabine Demmer/Deutschlandradio)
    Das heißt, der Bund finanziert großzügig mit und die Länder akzeptieren die gemeinsamen Standards. Von dieser "nennenswerten Beteiligung" des Bundes hängt viel ab. 4,8 Milliarden Euro würde es nach Berechnungen der Bertelsmann Stiftung allein kosten, die Kitas mit zusätzlich 107.000 Fachkräften auszustatten. Die sind nach Ansicht der Stiftung nötig, um die Kinder angemessen betreuen zu können.
    "Solange es dort keine Finanzzusagen gibt vom Bund, wird man nicht wirklich gemeinsame Standards hinbekommen, sondern immer solche Zwischenmogelwege, wo man sagt, man redet jetzt mit jedem mal so ein bisschen, wo er besser werden kann."
    Kraftakt für die Familienpolitik
    Franziska Brantner ist die familienpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag. Sie hat kein großes Vertrauen in das, was die Bund-Länder-Arbeitsgruppe leisten kann. Familienministerin Schwesig müsste sich Brantners Meinung nach zunächst für mehr Geld vom Bund einsetzen.
    "Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz und wir wollen, dass es einen Rechtsanspruch auf einen guten Kitaplatz gibt."
    Der Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz war ein Kraftakt für die Familienpolitik in Deutschland, besonders für die Kommunen, die in wenigen Jahren Hunderttausende neue Betreuungsplätze schaffen mussten. Und er verschaffte der Branche einen gewaltigen Schub. Seit rund drei Jahren haben Eltern einen gesetzlichen Anspruch darauf, auch ihre Kinder, die noch keine drei Jahre alt sind, in einer Kita betreuen zu lassen.
    Länder und Kommunen klagten in der Folge über die Belastung. Umgehen ließ sich die Ausweitung des Betreuungsangebots aber nicht, denn den Rechtsanspruch schrieb ein Bundesgesetz vor. Allerdings übernahm der Bund auch rund ein Drittel der Kosten. Nach dem Ausbau des Betreuungsangebots ist nun die Frage, wie Deutschland den nächsten großen Schritt für die Kinderbetreuung meistert: den Ausbau der Qualität. Dass es um sie nicht immer gut bestellt ist, zeigen oft schon die Zahlen – insbesondere die Zahl der Erzieherinnen und anderer Fachkräfte, die für die Kinder bereitstehen.
    Eine Bundesfreiwillige arbeitet in einer Kindertagesstätte mit einem Kind
    Eine Bundesfreiwillige in einer Kindertagesstätte (dpa/picture alliance/Robert B. Fishman)
    "In vielen Ländern wurden die Personalschlüssel verbessert. Trotz dieser Investition haben allerdings weiterhin die wenigsten Bundesländer Personalschlüssel, die kindgerecht sind und eine gute Bildung und Betreuung von allen Kindern ermöglichen. Zudem bestehen enorme Unterschiede zwischen den Bundesländern, besonders auffallend ist da das starke Ost-West-Gefälle."
    Annette Stein gibt bei der Bertelsmann Stiftung den jährlich aktualisierten Ländermonitor heraus. Der vergleicht von Bundesland zu Bundesland, wie viele Kinder von einer Fachkraft betreut werden. Die Stiftung empfiehlt wie auch viele Bildungsforscher, dass eine Erzieherin sich um höchstens drei Kinder im Alter unter drei Jahren oder um siebeneinhalb Kindergartenkinder über drei Jahren kümmern sollte. An diesen Schnitt kommt aber nur Baden-Württemberg heran. Bundesweit kommt jede Erzieherin durchschnittlich auf 4,4 zu betreuende Kinder unter drei Jahren, in Ostdeutschland auf gut sechs Kinder. Obwohl der Trend insgesamt positiv sei, glaubt Annette Stein nicht, dass ein kindgerechter Schlüssel ohne bundesweite Vorgaben zu erreichen ist.
    "Allerdings scheint es, nach dem, was wir bislang hören, wenig Bereitschaft zu geben, sich auf gemeinsame Standards einzulassen, sondern wahrscheinlich sich eher über sehr allgemeine Rahmenbedingungen zu verständigen, die notwendig sind für Qualität. Das wäre bedauerlich, denn die Untersuchungen, die wir seit Jahren durchführen, zeigen ja, dass die Schere zwischen den Bundesländern in den letzten Jahren sogar leicht auseinandergeht."
    Gesetzliche Regelungen alleine reichen nicht
    Wie konkret ist also das, was in der Bund-Länder-Gruppe verhandelt wurde? Ein Haken ist zunächst, dass es vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr kein Gesetz mehr geben wird. Es kommt also darauf an, was die nächste Regierung aus dem macht, was jetzt vereinbart wird.
    Die Nachfrage bei den zuständigen Fachministerien der Bundesländer ergibt ein gemischtes Bild. Einige bestätigen, dass die Länder sich mit dem Bund auf gemeinsame Standards geeinigt hätten. Andere signalisieren inoffiziell Zustimmung zu einem Bundesgesetz – unter der Voraussetzung, dass mit den Ländern tatsächlich einzeln verhandelt wird. Einige andere nennen ein Gesetz hingegen unrealistisch oder lehnen es rundherum ab. Ein Beispiel ist Bayerns Sozialministerin Emilia Müller von der CSU:
    "Verbesserungen lassen sich allein durch gesetzliche Regeln überhaupt nicht herbeiführen. Dazu sind die Ausgangssituationen in den Ländern viel zu unterschiedlich. Und es würde auch keinen Sinn machen, sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Wir wollen Qualität und die Länder wissen am besten, was sie brauchen. Und wenn uns der Bund helfen will, dann mit einer höheren finanziellen Beteiligung."
    Gesetz allein kann Qualität nicht sichern
    Dass ein möglicher kleinster gemeinsamer Nenner die Qualität sogar gefährden könne, ist ein Argument, das von vielen Ländern gegen ein Bundesgesetz vorgebracht wird. Und es ist Experten zufolge nicht ganz unberechtigt. Sollten die vom Bund gesetzten Regeln bereits bestehende Standards der Länder unterschreiten, könnten die Familienpolitiker unter Rechtfertigungsdruck gegenüber der eigenen Landesregierung kommen. Das ist für die Bildungsfachleute allerdings kein Argument gegen ein Gesetz, sondern stattdessen für besonders hohe Standards darin.
    Sprachförderung in einer Kindertagesstätte.
    Sprachförderung in einer Kindertagesstätte. (Imago / Joker / Petra Steuer)
    "Ich war eine der Expertinnen bei der Anhörung im Bundestag zu dem Thema, brauchen wir ein Kitaqualitätsgesetz. Ich bin absolut dafür, obwohl das nicht die Meinung der bayrischen Staatsregierung ist", sagt Fabienne Becker-Stoll vom bayrischen Staatsinstitut für Frühpädagogik. Sie warnt allerdings auch vor der Illusion, dass das derzeit debattierte Gesetz allein Qualität sichern könne. Es gehe dabei in erster Linie um den Erzieherinnen-Kind-Schlüssel und andere Rahmenbedingungen wie etwa die Raumgröße oder die Ausbildung des Personals. Gute strukturelle Voraussetzungen seien notwendig, aber als Qualitätsgarantie nicht hinreichend, sagt Becker-Stoll.
    "Ich habe Einrichtungen besucht, die doppelt so viel Personal hatten, wie es in Bayern gesetzlich vorgeschrieben ist. Und dieses Personal war auch noch auf einem deutlich höheren Ausbildungsniveau, als es gesetzlich vorgeschrieben ist. Ich habe da entsetzlichste Kindeswohlgefährdungen gesehen. Und ich habe Kindergartenkinder gesehen, die ihre Eltern morgens auf Knien weinend angefleht haben, dort nicht rein zu müssen."
    Was sich nicht an Zahlen ablesen lässt: Wie gut sind die Bindungen zwischen Kindern und Erzieherinnen? Und wie gehen die Betreuerinnen auf die Bedürfnisse der Kinder ein? Wird gewickelt, gegessen und getrunken nach Zeitplan oder wenn die Kinder es brauchen? Welchem pädagogischen Leitbild folgt eine Kita? Wird Wissen eingetrichtert oder arbeiten Kinder an ihrer Entwicklung mit und welche Erfahrungen können sie machen?
    Beratung für Kita-Beschäftigte
    "Dass Kinder in ihrer Entwicklung so begleitet werden, dass sie ihre eigenen Kompetenzen entwickeln können und daran Freude haben. Das ist Bildungsbegleitung, nur anders ausgedrückt, und zwar nach den Interessen der Kinder, nicht nach dem, was jemand sich ausgedacht hat, dass das Kind es lernen muss."
    All das lässt sich nur beobachten. Bayern hat dafür im vergangenen Jahr einen Modellversuch begonnen, unter Leitung von Fabienne Becker-Stoll. Besonders geschulte Fachleute gehen dafür in Kitas, die freiwillig teilnehmen können, und begleiten Erzieherinnen und Kinder im Alltag. Sie beobachten und beraten die Beschäftigten der Kita dann, wie sie ihre Arbeit verbessern können. Becker-Stoll kommt es vor allem auf die Beziehung des Fachpersonals zu den Kindern an.
    "Die Aufmerksamkeit auf die Kinder und die Aufmerksamkeit auf die Qualität der Interaktionen, denn das ist der Part, den man beobachten und verändern kann, der die Beziehungsqualität abbildet. Da wo sich Kinder und Eltern wahrgenommen, wertgeschätzt und feinfühlig und herzlich begleitet fühlen, da gehen sie gerne hin, da fühlen sie sich wohl und da lernen sie auch was."
    Kleiderhaken mit Namen von Kindern in einer Kita in Berlin.
    Kleiderhaken mit Namen von Kindern in einer Kita in Berlin. (picture alliance / dpa / Volkmar Heinz)
    "Ist nicht schlimm, das trocknet."
    In der Kita Waldhäuschen sind die Kinder mittlerweile in den Garten gegangen. Simon, Florian und Said sind auf einen kleinen Hügel geklettert und haben sich die Wasserpumpe vorgenommen. Unten haben ihre Freunde ein Loch gegraben und stauen das hinabfließende Wasser.
    Mit viel Engagement Bildung vermitteln
    "So, jetzt kommt die Flut, okay?" "Ja, die Flut!" Leiterin Carola Gliesche ist stolz auf den großen Garten, der ihr frei stehendes Kitagebäude umschließt. "Die sehen hier also das Wasser laufen. Die erleben jetzt hier einmal die unterschiedlichen Konsistenzen und gleichzeitig auch Statik, also da unten finden auch Mathematik und Naturwissenschaften statt.
    Wenn die da unten einen Staudamm bauen wollen, müssen sie natürlich mit dem Kind sprechen, das hier oben pumpt. Damit haben sie wieder Kommunikation drin. Also in unserem Garten sind ganz viele Bildungsbereiche zu erleben."
    Jahrelang haben Gliesche und ihre Kolleginnen den Garten geplant. Wie alles andere in der Kita ist er Teil eines ausgeklügelten Konzepts, an das sich alle Erzieherinnen halten. Wenn eine Kita trotz Personalmangels und anderer Widrigkeiten gut funktioniert, liegt das häufig an dem außergewöhnlichen Engagement von Leitung und Mitarbeitern. Und oft auch daran, dass sie sich Hilfe holen. Carola Gliesche lässt sich seit fast 15 Jahren von Wolfgang Tietze beraten. Der ehemalige Professor für Kleinkindpädagogik an der Freien Universität Berlin evaluiert heute mit dem Forschungs- und Entwicklungsinstituts PädQUIS die Qualität in Kitas.
    "Wir haben in der Öffentlichkeit die Vorstellung, unsere Bildungseinrichtungen, na, sie sind schon irgendwie gut. Aber letztlich weiß keiner genau, wie gut sie sind. Wie wird mit den Kindern tatsächlich umgegangen? Welche Erfahrungen können sie machen, welche gezielten Entwicklungsanregungen bekommen sie.
    Kein Träger, kein Jugendamt und kein Landesministerium weiß wirklich aufgrund von verlässlichen Daten, was passiert eigentlich genau in den Einrichtungen."
    Fehlende Anreize
    Tietze will ein Angebot machen, das die Verwaltung seiner Ansicht nach vernachlässigt. "Was wir aber brauchen, auch damit sich das Feld entwickelt in Richtung Qualität: gute Standards, die Orientierung an guter Qualität. Und dann auch ein wichtiger Punkt: Anreizsysteme bereitzustellen, dass es zu guter Qualität kommt. Wenn Sie das mal heute betrachten, eine Kita, die gute Qualität macht, wird genauso bezuschusst, wie eine Kita, die weniger gute Qualität macht.
    Es gibt letztlich außer dem Willen und dem Einsatz und dem Engagement der beteiligten Fachkräfte, gibt es aber kein Anreizsystem, warum ich gute Qualität machen sollte." Für besonders gute Qualität verleiht Tietze den Einrichtungen, die sein Angebot in Anspruch nehmen, das Kindergartengütesiegel. Das gilt für je drei Jahre und Kitas können es sich als Metallplakette an die Eingangstür heften. Bei Carola Gliesche hängen schon drei davon. "Dieser Prozess der Qualitätsentwicklung, der hat nie aufgehört und wird auch nie aufhören. Man muss immer wieder überprüfen, stimmt das noch, was wir abgesprochen haben, ist das heute noch gut für die Kinder, brauchen die Kinder jetzt nach zehn Jahren vielleicht was anderes, was hat sich verändert?"
    Qualität muss keine Frage des Wohnorts sein
    Wie schwer es ist, Qualitätskriterien für ganz Deutschland durchzusetzen, hat Wolfgang Tietze übrigens schon vor längerer Zeit erlebt. 2003 gab er mit Kollegen einen Leitfaden für die pädagogische Qualität in Kitas heraus. Und weil er für die Recherche im ganzen Land mit allen möglichen Menschen und Organisationen sprach, die mit frühkindlicher Bildung befasst sind, verpasste er dem Buch den Untertitel "Ein nationaler Kriterienkatalog".
    Eine Anmaßung sei das, schimpften Vertreter von Trägerorganisationen, Kommunen und Ländern. Schließlich wüssten sie alle selbst am besten, was die Kinder brauchen. Die Antwort von Tietze und seinen Kollegen: "Kinder haben gemeinsame Bedürfnisse. Und wenn Ihr uns verdeutlicht, dass ein Kind in Flensburg andere Bedürfnisse hat als ein Kind in Füssen, und das gut belegt, dann sind wir gerne bereit, Abstand von der Bezeichnung "nationaler Kriterienkatalog" zu nehmen."
    Den Beweis blieben die Kritiker schuldig. So trägt das Buch den Untertitel weiterhin und Wolfgang Tietze ist nach wie vor überzeugt, dass Qualität keine Frage des Wohnorts ist.