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Streit um Autoabgase
Umweltmedizinerin widerspricht Lungenärzten

Unter Fachärzten ist eine Debatte darüber entbrannt, wie schädlich Dieselabgase sind. Nach Ansicht der Umweltmedizinerin Barbara Hoffman gibt es eine überwältigende Beweislage zur Wirkung von Feinstaub und Stickstoffdioxid. Die Belastungen hätten eine große Zahl an zusätzlichen Erkrankungen zur Folge.

Barbara Hoffmann im Gespräch mit Jule Reimer | 23.01.2019
    Dichter Verkehr schiebt sich über den Mittleren Ring in München. Am Fahrbahnrand weist ein Verkehrsschild auf eine Höchstgeschwindigkeit von 50 Kilometern in der Stunde zur Luftreinhaltung hin.
    "Wir haben umfassende Studien, die zweifelsfrei darlegen, dass Feinstäube und auch Stickoxide gesundheitsschädlich sind", sagt Umweltmedizinerin Barbara Hoffmann (dpa-Bildfunk / Matthias Balk)
    Jule Reimer: "Alles Lüge mit dem Diesel-Feinstaub", titelt heute die "Bild"-Zeitung und propagiert den Aufstand der Ärzte gegen die Feinstaub-Hysterie. Auch die Grenzwerte für Stickoxid, die Ursache für die Fahrverbote in bestimmten Bereichen von Großstädten wie Stuttgart oder Hamburg, werden in diesem Artikel infrage gestellt. Die Ärzte, das sind in diesem Fall laut "Bild" 107 Lungenärzte, die sich hinter den emeritierten Professor und Lungenspezialisten Dieter Köhler gestellt haben. Der kritisiert derzeit in vielen Medien, am 14. Dezember auch bei uns im Deutschlandfunk, die Grenzwerte für Stickstoff-Dioxid, also NO2, aus Diesel-Autoabgasen.
    Kurz vor dieser Sendung sprach ich mit der Umweltmedizinerin Barbara Hoffmann, die als Professorin für Epidemiologie an der Uni Düsseldorf die medizinischen Wirkungen, die gesundheitlichen Wirkungen von Autoabgasen erforscht. Ich fragte sie als erstes, wie und wo Feinstaub und Stickoxide entstehen.
    Barbara Hoffmann: Feinstaub entsteht bei ganz vielen verschiedenen Prozessen – unter anderem in der Industrie, bei der Energieerzeugung, im Verkehr, in der Landwirtschaft. Stickstoff-Dioxid entsteht bei allen Verbrennungsprozessen. Das heißt, die Quellen von Feinstaub und Stickstoff-Dioxid sind sehr ähnlich. Das Besondere beim Stickstoff-Dioxid ist außerdem noch, dass Stickstoff-Dioxid eine Vorläufersubstanz von Feinstaub ist.
    "Es ist richtig, dass Feinstäube und Stickoxide gesundheitsschädlich sind"
    Reimer: Das Umweltbundesamt sagt, dass Feinstaub als auch Stickstoff-Dioxid verantwortlich sind für zahlreiche Diabetes-Erkrankungen, 14 Prozent der Asthma-Erkrankungen jetzt im Fall von Stickstoff-Dioxid, 6.000 Herz-Kreislauf-Tote pro Jahr. Professor Köhler, der ja Lungenspezialist gewesen ist in seinem beruflichen Leben, sagt, er habe noch keinen einzigen Menschen gesehen, der an Stickoxiden gestorben ist.
    Hoffmann: Erst mal: Es ist richtig, dass Feinstäube und Stickoxide gesundheitsschädlich sind. Das wird eigentlich gar nicht in Frage gestellt. Ich weiß auch nicht, wieso Herr Köhler das in Frage stellt, weil wir dazu wirklich umfassende Studien mit ganz unterschiedlichen Methoden haben, die zweifelsfrei darlegen, dass Feinstäube und auch Stickoxide gesundheitsschädlich sind.
    Jetzt zu dem Kommentar, dass Herr Köhler noch keine Stickstoff-Dioxid-Toten gesehen hat. Ja, das ist richtig. Aber man sieht auch keine Cholesterin-Toten oder Rauch-Toten, obwohl wir wissen, dass diese Faktoren auch sehr gefährlich sind. Menschen sterben nicht an Risikofaktoren, sondern Menschen sterben an Erkrankungen, und für diese Erkrankungen gibt es bestimmte Risikofaktoren. Das heißt, zum Beispiel ein Raucher hat ein höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu bekommen, aber nicht jeder Raucher bekommt einen Herzinfarkt.
    Typische Zusammenhänge zwischen Dosis und Wirkung
    Reimer: Bleiben wir mal beim Raucher. Auch da sagt Professor Köhler, ein Raucher mit einer Packung am Tag, der erreicht locker Stickstoff-Dioxid-Werte von 10.000 bis 20.000 Mikrogramm pro Tag. Wenn Stickstoff-Dioxide so gefährlich sind, oder Stickoxide so gefährlich sind, dann müssen die doch eigentlich alle umfallen?
    Hoffmann: Das ist eine falsche Aussage. Herr Köhler ignoriert oder weiß vielleicht nicht, dass es in der Biologie ganz typische Zusammenhänge zwischen Dosis und Wirkung gibt, wo eine zunehmende Dosis nicht linear mit einer zunehmenden Wirkung verbunden ist. Das heißt, ob ich zum Beispiel fünf oder 20 Zigaretten rauche, obwohl die Dosis sehr, sehr unterschiedlich ist, macht das auf mein Herzinfarkt-Risiko fast überhaupt keinen Unterschied. Beide haben im Vergleich zu einem Nichtraucher ein ungefähr 100 Prozent höheres Risiko, einen Herzinfarkt zu bekommen, egal ob sie fünf oder 20 oder 30 Zigaretten rauchen. Es macht aber sehr wohl einen Unterschied, ob ich zum Beispiel nicht rauche oder passiv rauche. Obwohl die Belastung beim passiv rauchen viel, viel geringer ist, kann ich da einen deutlichen Unterschied merken, nämlich das Risiko eines Passivrauchers ist ungefähr um 50 Prozent erhöht. Das heißt, im Niedrigdosis-Bereich habe ich pro zusätzlicher Dosis eine deutlich stärkere Wirkung als im Hochdosis-Bereich, fünf oder 30 Zigaretten. Das wird komplett ignoriert bei der Argumentation von Herrn Köhler. Er sagt, jede zusätzliche Dosis hat die gleiche Wirkung, und das ist wie gesagt nicht richtig. In der Biologie haben wir es ganz häufig mit solchen Kurven, Dosis-Wirkungs-Beziehungen zu tun, wo im oberen Dosisbereich die Wirkung pro zusätzlicher Dosis immer geringer wird.
    Außerdem ignoriert er natürlich mit dieser Aussage auch die wirklich überwältigende Beweislage, die wir haben aus kontrollierten Studien, wo man wirklich ganz kontrolliert die Probanden nur mit Feinstaub oder nur mit Stickstoff-Dioxid belastet hat für kurze Zeit und dann biologische Veränderungen im Körper gemessen hat. Das lässt sich nicht wegdiskutieren. Diese biologischen Auswirkungen im Niedrigdosis-Bereich, die kennen wir und die sind vielfach untersucht.
    Messungen draußen und drinnen sind nicht vergleichbar
    Reimer: Jetzt hat eine ARD-Reportage vorgeführt, dass allein eine Kerze in einem geschlossenen Raum binnen kurzer Zeit deutlich den Grenzwert für den Verkehr, also von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter übersteigt, der für Städte im Durchschnitt für ein ganzes Jahr gilt. Da will ich gar nicht davon reden, wenn ich auf einem Gasherd koche. Was heißt denn das von der Belastung her? Warum haben wir da nicht andere Grenzwerte oder Warnungen?
    Hoffmann: Man muss natürlich schon mal auseinanderhalten. Das eine ist ein Jahres-Mittelwert. Das was wir draußen in der Luft messen, das ist ein Jahres-Mittelwert. Der darf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter nicht überschreiten. Das kann sehr gut möglich sein, dass da stundenweise die Belastung deutlich höher ist. Was im Innenraum gemessen wurde, war so eine ganz kurzfristige Erhöhung. Das ist richtig, wenn man Kerzen anmacht oder wenn der Gasherd an ist oder eine Gastherme. Die führen alle auch zu einer Erhöhung der Stickstoff-Dioxid-Belastung. Wir können allerdings auch in Experimenten sehen, dass sich dann im Körper leichte Veränderungen abspielen. Das kann man nach einer zweistündigen Belastung bei Kerzen-Abbrand im Körper messen. Das heißt, auch diese Belastungen führen tatsächlich zu Wirkungen. Die machen jetzt einem gesunden Menschen nichts aus. Aber wir können messen, dass sie was im Körper verursachen.
    Was aber beim Jahres-Mittelwert draußen natürlich ganz anders ist. Dieser Stickstoff-Dioxid-Wert draußen, der wirkt ja nicht nur mal stundenweise ein, sondern das ganze Jahr über auf alle Menschen, auch Ungeborene, Säuglinge, Kinder mit Asthma, kranke Leute. Und was man auch nicht vergessen darf: Der Stickstoff-Dioxid-Wert draußen ist insofern nicht vergleichbar mit dem Wert, den wir drinnen messen, als dass draußen Stickstoff-Dioxid, der vom Verkehr kommt, außerdem noch ein Anzeiger ist für eine Vielzahl von anderen Substanzen, die auch im Straßenverkehr entstehen, andere Abgase aus dem Verkehr, die wir gar nicht messen, für die aber das Stickstoff-Dioxid ein sehr guter Anzeiger ist. Die Wirkung, die wir draußen messen pro Mikrogramm Stickstoff-Dioxid, ist dann auch immer zum Teil eine Wirkung all dieser anderen Substanzen, die auch in den Abgasen vorkommen, die wir aber nicht selbst messen.
    Erhebliche Zahl an zusätzlichen Erkrankungen
    Reimer: Jetzt wird aber nur punktuell in wenigen schluchtartigen Straßenzügen diese Überschreitung dieses 40 Mikrogramm Grenzwertes festgestellt. Schwangere werden sich wohl kaum den ganzen Tag hier aufhalten. Das heißt, es werden Fahrverbote ausgesprochen, die eine sehr große Gruppe, nämlich die Diesel-Autofahrer betreffen, um eine Gruppe zu schützen, wo man das Gefühl hat, na ja, die sind wahrscheinlich gar nicht die ganze Zeit an dieser stark befahrenen Straße.
    Hoffmann: Ja. Erst mal: Wo die Mess-Stationen stehen, das ist genau vorgeschrieben. Das sind auch explizit nicht jetzt nur wirklich Extremsituationen. Das mag an der einen oder anderen Stelle vielleicht mal vorkommen. Aber das Gesetz schreibt vor, dass die Mess-Stationen da hingestellt werden, wo sie repräsentativ sind für die Region, in der sie jetzt aufgestellt werden. Wenn ich zum Beispiel in der Stadt Düsseldorf die Belastung von Menschen, die an verkehrsreichen Straßen wohnen, messen möchte, dann stelle ich die Station zum Beispiel, wie es in Düsseldorf ist, an der Corneliusstraße auf. Das ist keine Schlucht, wie Sie gerade gesagt haben, sondern das ist einfach eine breite, vielbefahrene innerstädtische Straße, wie es sie ganz viele in Düsseldorf und auch in anderen deutschen Städten gibt, und man kann damit repräsentativ die Belastung von Menschen erfassen, die an stark befahrenen Straßen wohnen. Damit kann man dann insgesamt die Belastung gegenüber Verkehrsabgasen sehr gut erfassen.
    Der zweite Punkt, den Sie gesagt haben: Wie viele Menschen sind denn jetzt tatsächlich betroffen? – Das kann man ausrechnen. Ich glaube, für Deutschland wurde es abgeschätzt, dass ungefähr zehn Prozent der städtischen Bevölkerung in Regionen leben, die regelmäßig oberhalb des Grenzwertes belastet sind. Bei den bekannten Wirkungen, die die Luftschadstoffe haben, wird damit eine ganz erhebliche Krankheitslast in der Bevölkerung ausgelöst. Wie man das jetzt wertet, wie viele zusätzliche Asthma-Erkrankungen, Asthma-Anfälle, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Herzinfarkte jetzt so viele sind, dass man dafür Fahrverbote ausspricht, das möchte ich nicht beurteilen. Das ist eine politische Entscheidung. Ich kann nur sagen als Umwelt-Epidemiologin: Wir haben durch diese Belastungen an den großen Straßen eine ganz erhebliche Zahl an zusätzlichen Erkrankungen, und aus meiner Sicht, die ja gerne Krankheiten vorbeugen möchte, sage ich, dass die Werte, dass die Belastungen abgesenkt werden sollen.
    Klare Unterscheidung zwischen Emissionen und Immissionen
    Reimer: Warum ist denn dann der Grenzwert in den USA deutlich lascher?
    Hoffmann: Ja, das ist richtig. Man muss bei der Regulierung der Luftqualität unterscheiden zwischen einmal der Emission, das was ausgestoßen wird, zum Beispiel von den Autos, und der Immission mit einem I am Anfang, also das, was auf die Menschen einwirkt, und das, was wir an den Mess-Stationen messen. Die Amerikaner legen insgesamt bei ihrer Regulierung einen deutlich stärkeren Wert auf die Regulierung von Feinstaub. Deswegen haben sie da sehr strenge Immissions-Grenzwerte, das was die Menschen einatmen, deutlich strenger, als wir das in Europa haben. Und sie regulieren deswegen auch das Ausstoßen, die Emission von NO2 deutlich stärker als wir in Europa, weil Stickoxide ja eine wichtige Vorläufersubstanz von Feinstäuben sind. Aus dem Grund, weil sie sehr streng bei den Feinstäuben sind und auch bei der Emission, bei der Ausstoßung von Stickoxiden, sind sie dann bei der Immission, bei der Einwirkung auf den Menschen deutlich lockerer, als wir das in Europa sind.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.