Dienstag, 19. März 2024

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Streit um den Hambacher Forst
"Ich habe großen Respekt vor den Menschen im Wald"

Der Wald müsse nicht zerstört werden, sagte der Waldpädagoge und Vermittler Michael Zobel im Dlf. Die Tatsache, dass Braunkohle-Energie klimaschädlich sei, bestreite keiner mehr. Beim Hambacher Forst habe er aber das Gefühl, dass es längst nicht mehr um Strom gehe, sondern um Macht.

Michael Zobel im Gespräch mit Christiane Kaess | 17.09.2018
    09.09.2018: Nordrhein-Westfalen, Kerpen: Michael Zobel, Umweltschützer und Naturführer, informiert die Besucher im Hambacher Forst über die Aktivistencamps. Auch am zweiten Tag des von Klimaaktivisten angekündigten "Wochenende des Widerstands" im Hambacher Forst ist die Situation zunächst friedlich geblieben. Foto: Christophe Gateau/dpa | Verwendung weltweit
    Michael Zobel, Waldpädagoge und Vermittler im Streit um den Hambacher Forst (dpa)
    Christiane Kaess: Für die Polizei ist der Hambacher Forst ein Gefahrenbereich. Das 200 Hektar große Waldstück soll ab Oktober gerodet werden. Der Energiekonzern RWE will hier Braunkohle ausbaggern. Die jahrhundertealten Bäume werden aber von Aktivisten besetzt, die gegen die Rodung protestieren. Letzte Woche hatte die Räumung begonnen, der Protest dagegen ist massiv, tausende Braunkohlegegner haben gestern dagegen demonstriert. Michael Zobel ist Naturführer und Waldpädagoge und er kennt den Hambacher Forst seit vielen Jahren. Guten Morgen, Herr Zobel.
    Michael Zobel: Einen wunderschönen guten Morgen.
    Kaess: Wie haben Sie denn die letzten Tage erlebt?
    Zobel: Das ist ganz schwer zu beschreiben. Das ist eine Mischung aus allen Gefühlen, die man als Mensch so hat. Das geht von Verzweiflung und Traurigkeit und Wut bis zu Hoffnung und Optimismus. Was wir gestern erlebt haben, das war einfach unglaublich. Wir haben selber bei 7.500 Menschen aufgehört zu zählen; so viele Menschen waren gestern unterwegs, rund um diesen Wald. Wir kamen ja nicht rein. Ich habe meinen Waldspaziergang veranstaltet mit vielen Freunden zusammen. Das war der 53. Monat, seitdem wir das machen - das erste Mal, dass wir nicht in den Wald durften.
    "Keine gewaltsamen Auseinandersetzungen"
    Kaess: Was bewegt die Menschen? Warum kommen da so viele?
    Zobel: Die Menschen bewegt – ich denke mal, das ist der Kontrast zwischen dem, was in Medien berichtet wird, was auch aus Teilen der Politik berichtet wird, und was in der Wirklichkeit passiert. Ich muss Sie auch ein bisschen verbessern: Es sind nicht 200 Hektar Wald; es sind immerhin noch 500. Es gibt eine unglaubliche Berichterstattung. Es wird Öl ins Feuer gegossen. Der "Höhepunkt" war eigentlich der Innenminister Reul, der von Vietnam-Kriegsähnlichen Zuständen im Wald sprach. Und was wir jetzt erleben, die Räumung läuft seit Mitte letzter Woche. Es sind 4.000 Polizisten im Einsatz rund um die Uhr, das ist unvorstellbar. Und was haben wir bis jetzt? Die Polizei sagt, es gibt einen leichtverletzten Polizisten, der aber nicht dienstunfähig war. All das, was herbeigeredet wurde, das passiert nicht, und das merken die Leute auch und die wollen da hin und das sehen die, glaube ich, auch als Unterstützung der Menschen im Wald. All das, was herbeigeredet wurde, passiert nicht.
    Kaess: Aber, Herr Zobel, es hat ja gewaltsame Auseinandersetzungen gegeben. Was haben Sie denn davon mitbekommen?
    Zobel: Es hat in den fünf Tagen keine gewaltsamen Auseinandersetzungen gegeben. Es hat in den Jahren, in den sechs Jahren der Waldbesetzung, immer wieder Zwischenfälle gegeben, auch Auseinandersetzungen, die ich überhaupt nicht akzeptieren kann. Was ich da mache im Hambacher Wald, das ist auch ein Versuch zu zeigen, dass diese friedliche und bunte und kreative Art des Widerstands mit vielen Menschen am Ende die Oberhand gewinnt. Deswegen war am Wochenende auch so viel los, nicht nur von uns, sondern von vielen anderen, und ich hoffe immer noch, dass das auch am Ende wirklich gewinnt. Die Bilder, die gestern durch die Presse gingen, das waren völlig andere als das, was herbeigeredet wird.
    Kaess: Trotzdem haben wir in den Tagen davor auch gehört, dass zum Beispiel Polizisten mit Steinen beworfen worden sind, oder mit Fäkalien. Wie angespannt ist denn die Atmosphäre zwischen der Polizei und den Aktivisten?
    Zobel: Die Lage ist natürlich angespannt. Man muss versuchen, sich reinzuversetzen in diese Menschen. Das sind überwiegend junge Menschen, die da seit sechs Jahren in Handarbeit ihre Baumhäuser gebaut haben und versuchen, diesen Wald zu retten. Jetzt wird eine Maschinerie aufgefahren. Sie kennen die Bilder aus den Medien: einmal diese 4.000 oder vielleicht sind es sogar 5.000 Polizisten - die Angaben gehen immer ein bisschen auseinander – mit einer Wahnsinns-Maschinerie, was wir da gestern alles gesehen haben. Das sind die Räumpanzer und die Wasserwerfer und riesige Kräne im Wald und die zertrümmern das da.
    Ich kann nicht akzeptieren, wenn jemand einen Stein wirft. Man muss aber auch es ein bisschen relativieren: Wo wirft er ihn hin? Bei vielen ist es wirklich auch eine Verzweiflung, eine Notwehr. Aber wir müssen das Ergebnis sehen, worüber heute berichtet wird. Es gab diese großen herbeigeredeten Auseinandersetzungen nicht, und das rechne ich den Menschen ganz, ganz hoch an.
    Der "Höhepunkt" für mich letzte Woche war eine Delegation der AfD im Wald. Da brauchen wir jetzt nicht in jedes Detail gehen. Aber auch da ist kein Stein geflogen, und das ist eigentlich nicht selbstverständlich. Ich habe großen Respekt vor den Menschen im Wald, die mit der Situation umgehen.
    "Ich darf meinen Einfluss nicht überschätzen"
    Kaess: Herr Zobel, die Zahlen der Polizisten, die können wir jetzt an dieser Stelle nicht klären. Aber es heißt trotzdem immer wieder, dass die Aktivisten bewaffnet sein sollen. Es ist die Rede eventuell von Molotow-Cocktails. Der Verfassungsschutz in Nordrhein-Westfalen sagt, der Hambacher Forst zieht Linksextremisten aus ganz Europa an. Wie groß, glauben Sie denn, ist die Gewaltbereitschaft?
    Zobel: Ich sage Ihnen jetzt mal Sachen, die ich weiß. Wir haben auch enge Kontakte zur Polizei. Es geht im Wald um ungefähr 150 Menschen, die da sind. Die Zahl ist klar, da kommt auch keiner mehr rein. Dass da immer Leute reinsickern würden, das funktioniert nicht. Und dann sagen uns Polizisten und wirklich nicht irgendwelche, sondern hier aus der höchsten Ebene in Aachen, es geht um ungefähr 15 bis 30 Linksautonome, und das sind ganz andere Zahlen. Und wenn man sieht, was dagegen eine Propaganda geführt wird und was da auch aufgefahren wird an …
    Kaess: Entschuldigung, dass ich unterbreche. Aber können Sie ausschließen, Herr Zobel, dass diese, wenn es vielleicht auch nur wenige sind, Waffen haben und dass es da einfach noch zu ganz anderen Auseinandersetzungen kommen wird?
    Zobel: Es wird nicht zu diesen ganz anderen großen Auseinandersetzungen kommen. Dass es auf beiden Seiten Menschen gibt, die nicht an einer friedlichen Lösung interessiert sind, das kann ich nicht bestreiten. Die gibt es. Aber genau mit unseren Aktionen versuchen wir, die im Griff zu halten. Das ist schwer, aber es sind gestern ja auch viele Menschen in den Wald gegangen und haben diese "besonnenen Kräfte" gestärkt, und das ist das, was wir machen können. Aber ich darf meinen Einfluss auch nicht überschätzen, aber ich habe das Gefühl, gerade nach gestern, dass diese besonnene Art des Widerstands am Ende gewinnen wird.
    Kaess: Sie sind ja bisher ein bisschen als Vermittler zwischen Aktivisten und Polizei wahrgenommen worden. Was konnten Sie in den letzten Tagen noch tun?
    Zobel: Ich muss immer ein bisschen aufpassen bei meiner Rolle, welche ich da spiele. Ich möchte auch mich von keiner Seite instrumentalisieren lassen. Aber es gab auch gestern wieder Situationen, wo wir mit unserem großen eindrucksvollen Demonstrationszug unterwegs waren, und dann gab es stellen oder Ecken auf dem Zug, da war nicht ganz klar, was ist jetzt hier genehmigt, wo dürfen wir entlanggehen. Aber das haben wir geschafft, sehr besonnen, ich vorneweg, aber auch andere Menschen, mit der Polizei das zu besprechen. Wir haben es dann auch geschafft, dass Lebensmittelspenden, dass wir mit Wasser und Lebensmittel am Ende sogar mit Polizeibegleitung in die Nähe der Menschen im Wald kamen, dass die das bekommen haben. Solche Sachen, da kann ich mich engagieren, da habe ich auch Einfluss dadurch, dass ich zu beiden Seiten ganz gute Kontakte habe. Aber ich darf auch meinen Einfluss nicht überschätzen.
    "85 Prozent kommen nicht aus Hambach"
    Kaess: Können Sie denn auf der ganz anderen Seite auch RWE verstehen, denn es gab ja einen Beschluss der damals rot-grünen Landesregierung noch, dass die Fläche für den Tagebau in Garzweiler in der Region verkleinert wird und im Gegenzug dazu RWE zugesichert wurde, in Hambach weitermachen zu können? Diese Fläche gehört auch RWE. Können Sie die Position des Energiekonzerns auch nachvollziehen?
    Zobel: Ja, natürlich kann ich die verstehen. Rechtlich haben sie ja alles auf ihrer Seite und es gibt die politischen Beschlüsse. Aber wir sind jetzt schon wieder ein bisschen weiter. Wir sind im Jahre 2018 und die Erkenntnisse, die haben sich in den letzten Jahren doch dramatisch geändert. Kein Wissenschaftler bestreitet mehr, dass die Braunkohle-Verstromung mit das Klimaschädlichste ist, was wir so haben. Und wir haben unglaublich viele Alternativen. Ich höre immer, 15 Prozent des nordrhein-westfälischen Stroms kommen aus Hambach. Okay, unbestritten. Aber das heißt auf der anderen Seite, 85 Prozent des nordrhein-westfälischen Stroms kommen nicht aus Hambach, und die könnte man ohne weiteres ersetzen, und zwar ganz kurzfristig, zum Beispiel durch Gas oder andere. Das sind neue Erkenntnisse, das sind neue technische Möglichkeiten, und die sind einfach da. Man muss diesen Wald nicht zerstören, aber ich habe das Gefühl, es geht auch gar nicht mehr um Strom und um irgendwelche Energiebilanzen. Es geht um Macht und es geht um das Symbol Hambacher Wald, was unbedingt weg soll. Das ist so mein Gefühl.
    Kaess: Aber dem setzt ja die amtierende Landesregierung dieses Argument entgegen, dass der Strom aus Kohle, die dann aus dem Hambacher Forst kommen würde, dass man genau darauf nicht verzichten kann. Warum haben Sie denn Zweifel daran?
    Zobel: Ja, weil es einfach gelogen ist. Wir haben Kapazitäten zum Beispiel von stillliegenden Gaskraftwerken in Deutschland. Die sind so groß, dass wir morgen, wirklich morgen, was keiner verlangt, alle Kohlekraftwerke in Deutschland ausschalten könnten, ohne eine Lücke in der Versorgung zu haben. Deswegen stimmen viele dieser Argumente nicht mehr. Die sind überholt. Und wenn Sie die nordrhein-westfälische Politik ansprechen, da bin ich auch wirklich sehr enttäuscht. Wir haben auf der einen Seite Scharfmacher wie Reul, der mit diesem Vietnam-Krieg da hantiert, was sehr gefährlich ist. Und dann gibt es einen Ministerpräsidenten, der sich komplett aus der Sache raushält, und da bin ich sehr traurig, weil dessen Aufgabe ist nicht nur die wirtschaftliche Lage in diesem Land, sondern auch der Friede im Land. Da finde ich es ein Armutszeugnis, was sich da gerade abspielt, wie er sich aus der Sache raushält.
    Kaess: Die Meinung von Michael Zobel. Er ist Naturführer und Waldpädagoge im Hambacher Forst. Herr Zobel, vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
    Zobel: Ja! Gern geschehen. Gerne wieder!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.