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Streit um die biotische Pumpe

Eine russische Physikerin sorgt derzeit unter Klimaforschern für kontroverse Diskussionen. Sie postuliert eine Theorie, wonach Wälder maßgeblich für die Entstehung von Winden und Niederschlägen an Land verantwortlich sind. Dafür erntet sie viel Kritik. Doch ihre Formeln sind nicht ganz einfach von der Hand zu weisen.

Von Lucian Haas | 23.04.2013
    Die Lehrmeinung von Meteorologen besagt, dass Winde wehen, um räumliche Luftdruckdifferenzen auszugleichen, die durch Temperaturunterschiede entstehen. Doch die russischen Physiker Anastassia Makarieva und Victor Gorshkov vom Institut für Nuklearphysik in St. Petersburg vertreten eine andere Theorie:

    "Wir wissen, dass Wälder Wasser ausschwitzen. Deshalb ist die Luft über den Waldgebieten feuchter. Und wenn diese Feuchtigkeit in den Wolken kondensiert, fällt dort der Luftdruck. Es entsteht ein Gebiet mit geringerem Luftdruck über dem Wald, so dass Luft aus den benachbarten Gebieten einfließt. Die Wälder erzeugen also selbst ein Tiefdruckgebiet und ziehen somit feuchte Luftmassen aus der Umgebung an, einschließlich der Ozeane."

    Anastassia Makarieva ist davon überzeugt, dass natürliche Wälder gewissermaßen ihr eigenes Wetter machen und dabei selbst für den Regennachschub sorgen, den sie brauchen. Sie nennt diesen Mechanismus die "biotische Pumpe". Und die wirkt ihrer Ansicht nach so stark, dass intakte Wälder für das globale Klima eine wichtige, stabilisierende Rolle spielen.

    "Die Bedeutung der Wälder für das Klima wird völlig unterschätzt. Bisher werden sie in der Klimaforschung nur als Speicher für Kohlenstoff gesehen. Wir sagen aber, dass die Wälder den regionalen Wasserkreislauf kontrollieren und auch über große Entfernungen das Wetter rund um den Globus beeinflussen."

    Folgt man dieser Theorie, so treibt die Zerstörung der Wälder den Klimawandel mit an. Die meisten Klimaforscher sehen freilich im Anstieg des CO2-Gehaltes der Atmosphäre den Hauptschuldigen. Kein Wunder also, dass Anastassia Makarieva seit 2007, als sie ihre Theorie zum ersten Mal öffentlich präsentierte, immer wieder heftige Kritik entgegenschlägt. Doch zu ihrer Verteidigung führt sie nicht einfach Glaubenssätze an, sondern wohl durchdachte Formeln. Und manche Forscher können ihren berechneten Argumenten durchaus etwas abgewinnen. Der Hydrologe Hubert Savenije von der TU Delft ist der Herausgeber des Magazins "Hydrology and Earth System Sciences". Er war als erster bereit, die ungewöhnlichen Ideen auch abzudrucken – nach dem Motto: Im Zweifel für die Angeklagte.

    "Die physikalische Begründung ist schlüssig. Es ist ein interessanter Forschungsbeitrag. Ob Makarieva nun Recht hat oder nicht – ihre Begründung ist solide, also sollte man das auch offen diskutieren."

    Viele Meteorologen und Klimaforscher hingegen lehnen es grundlegend ab, sich mit scheinbar abseitigen Theorien wie der von biotischen Pumpen als Wettermacher auseinanderzusetzen. Sie argumentieren, dass die Wetter- und Klimamodelle, mit denen sie arbeiten, das Geschehen in der Atmosphäre schon ziemlich gut abbilden können – und das auch ohne spezielle Formeln für den Einfluss der Wälder. Anastassia Makarieva sieht aber genau darin den springenden Punkt.

    "Ich denke, diese modell-hörige Denkweise ist das Hauptproblem. Weil Modelle dazu gebracht werden können, alles zu erklären, indem man die notwendigen Parameter entsprechend anpasst, glauben viele Forscher heute, dass damit alles auch schon erklärt ist."

    Tatsächlich gibt es Prozesse in der Atmosphäre, die in den Modellen bisher nicht mit physikalischen Formeln exakt, sondern nur mit Durchschnitts- und Erfahrungswerten näherungsweise beschrieben werden. Hubert Savenije:

    "In den Klimamodellen gibt es keine Wolken, beziehungsweise nur sogenannte parametrisierte Wolken. Sie zeigen also nur das durchschnittliche Verhalten von Wolken. Makarieva hingegen beschreibt mit Formeln genau, wie Wolken entstehen und wie dieser Prozess das Heranführen von Feuchtigkeit in der Atmosphäre beeinflusst. Das ist so bisher nicht in den Modellen enthalten."

    Lange hat Anastasia Makarieva vergeblich versucht, einen Beitrag über ihre Theorie auch in einem bei Klimaforschern angesehenen Fachjournal unterzubringen. Kürzlich konnte sie erstmals einen Erfolg verbuchen. Das Magazin "Atmospheric Chemistry and Physics" veröffentlichte ihre Studie. Zuvor hatten allerdings Gutachter zwei Jahre lang darüber gestritten, ob es angemessen sei, ihr überhaupt diesen Raum zu geben. Am Ende entschieden sich die Herausgeber dafür – mit einer ungewöhnlichen Ergänzung: In einem Kommentar merkten sie an, dass sie angesichts der vielen Kritik an der Studie diese nach den bisher üblichen Regeln hätten zurückweisen müssen. Doch sie selbst seien nicht überzeugt davon, dass die neue Sichtweise falsch ist. Die Veröffentlichung solle den wissenschaftlichen Diskurs über die kontroverse Theorie fördern. Ein solches Vorgehen ist ein bemerkenswertes Novum für die ansonsten als eher konservativ geltende Gemeinde der Klimaforscher.