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Streit um EU-Entsenderichtlinie
Der umkämpfte Lohn

Die EU-Entsenderichtlinie soll verschärft werden: EU-Ausländer müssen dann nach gleichen Bedingungen beschäftigt werden wie inländische. So soll für diese Arbeiter dann der Tariflohn gelten, nicht mehr nur der Mindestlohn. Gegner der Verschärfung sind vor allem die osteuropäischen Staaten.

Von Alois Berger | 21.06.2017
    Gerüstbauer errichten in Hamburg auf einer Brückenbaustelle in der Hafencity ein Gerüst.
    Auf Baustellen arbeiten auch viele entsendete Arbeiter aus anderen EU-Ländern. (dpa / Christian Charisius)
    Eine Baustelle am Stadtrand von Köln. Der polnische Stuckateur Krzysztof Szarek steht hoch oben auf dem Gerüst und klebt 20 Zentimeter dicke Styroporplatten an den vierstöckigen Neubau. Seit drei Jahren ist Szarek angestellt bei der Wärmedämmfirma Hüma, einem mittelständischen Betrieb aus Frechen. Davor hat er für einen polnischen Subunternehmer gearbeitet. Auch in Köln, auch für die Dämmfirma Hüma. Szarek weiß also, wie das ist, in Deutschland nach polnischem Recht zu arbeiten oder nach deutschem.
    "Bei der Firma Hüma: viel, viel besser. Wir machen die gleiche Arbeit wie jetzt, unsere Aufgabe, das ist immer die gleiche. Aber trotzdem: Leistung, Unterstützung, das macht den Unterschied."
    Er bekomme jetzt etwas mehr Lohn, sagt Szarek, vor allem aber mehr Anerkennung, mehr Wertschätzung. Früher, bei seinem polnischen Subunternehmer, da sei es immer nur darum gegangen, möglichst billig zu arbeiten, also möglichst viele Quadratmeter Dämmung zu schaffen, egal wie.
    "Der Chef war fast immer unzufrieden, er sagt immer, wir arbeiten zu langsam und so."
    Die schlechte Stimmung hat sich auch auf die Qualität der Arbeit ausgewirkt. Deshalb hat sich Hüma-Chef Sven Zink vor drei Jahren entschlossen, die besten polnischen Arbeiter seines Subunternehmers zu übernehmen und in seiner eigenen Firma fest anzustellen. Szarek und ein gutes Dutzend seiner polnischen Kollegen sind jetzt in Deutschland angemeldet, sind hier sozialversichert und nicht mehr in Polen. Sie bekommen nicht mehr nur den Mindestlohn wie früher, sondern den in Deutschland geltenden Tariflohn für Bau-Fachleute.
    Der Unternehmer Zink macht dadurch etwas weniger Gewinn pro Baustelle, aber er hat auch weniger Ärger und einen besseren Ruf bei den Kunden.
    "Nach dem Durchrechnen haben wir uns trotz allem entschieden, den Weg zu gehen, auch, wenn wir weniger verdienen. Dementsprechend ist es für mich einfacher. Ich habe selbst weniger Arbeit auf der Baustelle, dadurch, dass eben die Leute selbstständiger arbeiten und auch die Außendarstellung der Firma besser ist."
    Doch ganz ohne Subunternehmer kommt auch Hüma-Chef Zink nicht aus. Um auf Aufträge flexibel reagieren zu können, holt er immer wieder Bautrupps, die in Polen angemeldet sind.
    "Man kann nie die Aufträge so annehmen, dass man immer gleichbleibend genug Arbeit hat für seine eigenen Leute. Man muss immer so akquirieren, dass man mehr Arbeit hat, dass man auf jeden Fall die Gewährleistung hat, seine Leute beschäftigen zu können, weil gerade die eigenen Leute kann man nicht einfach entlassen und wieder wegschicken. Die gehen verloren."
    Gut 20 Handwerksbetriebe arbeiten auf der Baustelle am Kölner Stadtrand. Wie Sven Zink beschäftigen auch andere Betriebsleiter neben eigenen Leuten Bautrupps aus Polen, Tschechien oder Rumänien. Manche, weil sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht genügend Fachkräfte finden, andere, weil sie Geld sparen wollen.
    Auf dem Bau, in Schlachthöfen, im Transportgewerbe, in Pflegeheimen und in Putzkolonnen sind Arbeitskräfte, die bei Subunternehmen in Mittel- und Osteuropa angestellt sind, inzwischen vollkommen üblich. Doch der finanzielle Vorteil im Vergleich zu Einheimischen dürfte bald wegschmelzen.
    EU plant Verschärfung der Entsenderichtlinie
    Die Europäische Union plant eine Verschärfung der sogenannten Entsenderichtlinie. Diese EU-Richtlinie aus dem Jahr 1996 regelt die Bedingungen, unter denen Unternehmen aus einem EU-Land Arbeiter in ein anderes EU-Land schicken dürfen. Künftig soll hier das Prinzip gelten: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Ein Vorhaben, das wohl auch beim Brüsseler EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag Thema sein wird und für Kontroversen sorgen dürfte.
    Als die Entsenderichtlinie vor 21 Jahren beschlossen wurde, ging es darum, den Binnenmarkt für Waren auch auf Dienstleistungen auszudehnen. Jedes Unternehmen in der EU darf seither Aufträge in der ganzen EU annehmen und mit eigenen Arbeitskräften ausführen. Das war vorher wegen der bürokratischen Hürden fast unmöglich. Im Gegenzug legte die Richtlinie fest, dass die Unternehmen ihren Arbeitnehmern, die sie ins Ausland schicken, den dort üblichen Mindestlohn zahlen und die Arbeitszeitvorschriften einhalten müssen.
    Doch in 21 Jahren hat sich viel geändert, sagt die konservative französische Europaabgeordnete Elisabeth Morin-Chartier. Ihrer Meinung nach ist es höchste Zeit, die Richtlinie anzupassen:
    "1996 hatte die EU 15 Mitgliedsländer, die alle einen ähnlichen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsstand hatten. Die größten Unterschiede bei den Minimumlöhnen lagen bei 1:3. Heute sind wir, nach der Osterweiterung und nach dem Brexit, 27 Länder mit Einkommensunterschieden von 1:10. Diese enormen Unterschiede ermöglichen ein Sozialdumping zwischen Arbeitern und einen unfairen Wettbewerb zwischen Unternehmen. Europa braucht deshalb neue Regeln für die Freizügigkeit von Arbeitnehmern."
    Ob es sich dabei um Sozialdumping handelt, ist allerdings umstritten. Vor allem die Regierungen der mittel- und osteuropäischen EU-Länder, von Estland bis Bulgarien, protestieren. Die unterschiedlichen Löhne in Ost und West spiegelten den wirtschaftlichen Rückstand wider. Würde man die Ostfirmen zwingen, die gleichen Löhne zu zahlen wie ihre westlichen Konkurrenten, hätten sie keine Chance mehr. Martyna Bildziukiewicz verhandelt in Brüssel für die polnische Regierung:
    "Es ist ganz natürlich, dass Unternehmen im Binnenmarkt miteinander in Wettbewerb stehen. Die Vorteile für polnische Unternehmen sind neben der hohen Qualität der Dienstleistungen auch die niedrigen Arbeitskosten. Wir sehen darin ein natürliches Phänomen der Wirtschaft. Eine protektionistische Entsenderichtlinie widerspricht den Grundprinzipien der Europäischen Union."
    Alter Streit um Sozialdumping und Protektionismus
    Sozialdumping oder Protektionismus: Der Streit ist so alt wie die Entsenderichtlinie selbst. Damals, 1996, zeichnete sich die Osterweiterung der EU bereits ab, aber die Regierungen von Tallinn bis Sofia saßen in Brüssel noch nicht mit am Tisch. Deshalb legten Frankreich, Deutschland und die anderen West-EU- Regierungen noch schnell fest, dass Arbeitnehmer, die in einem anderen Mitgliedsland eingesetzt werden, nach den dortigen Vorschriften bezahlt und behandelt werden müssten. Kein Wettbewerbsvorteil also für Länder mit niedrigeren Löhnen. Die aktuelle polnische Verhandlungsführerin in Brüssel, Martyna Bildziukiewicz, hält die ganze Entsenderichtlinie für unfair:
    "Als wir der EU beitraten, haben wir den vier Grundfreiheiten des Binnenmarktes zugestimmt, der Bewegungsfreiheit von Waren, von Menschen, von Dienstleistungen und Kapital. Das ist das Rückgrat der ganzen Europäischen Union, das Fundament der EU. Die Entsenderichtlinie steht unserer Ansicht nach im Widerspruch zu diesen Prinzipien."
    2004 sah es so aus, als ob die Ost-Länder im Westen Gehör finden würden. Der niederländische EU-Kommissar für den Binnenmarkt, Frits Bolkestein, bereitete eine Dienstleistungsrichtlinie vor. Ähnlich wie bei Waren, die einmal in einem EU-Land zugelassen in der gesamten EU verkauft werden dürfen, sollte künftig auch mit Dienstleistungen verfahren werden. Ein Schreinermeister etwa mit Sitz in Aachen sollte ohne Einschränkungen und ohne zusätzliche Bürokratie auch in Belgien, Holland oder Frankreich Türen und Fenster einbauen dürfen. Nicht nur die Ost-Länder, auch Handwerker aus dem grenznahen Gebiet unterstützten die Bolkestein-Initiative.
    Doch die geplante Bolkestein- oder Dienstleistungsrichtlinie machte vielen Menschen Angst, Angst vor der billigen Konkurrenz aus dem Osten der EU. Gewerkschaften und Globalisierungsgegner liefen Sturm. Die EU-Dienstleistungsrichtlinie wurde zu einem der umstrittensten und am stärksten umkämpften Gesetzesvorhaben der Europäischen Union.
    Angestellte erhalten mindestens den deutschen Mindestlohn
    Das Ergebnis war eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Die 2006 beschlossene EU-Dienstleistungsrichtlinie hat viele bürokratische Hürden beseitigt, aber die Entsenderichtlinie nicht angetastet. Sie regelt im Kern, was Regierungen von ausländischen Unternehmen verlangen dürfen und was nicht. Ein selbstständiger Fliesenleger, der in Tschechien ordentlich angemeldet ist, darf in Deutschland arbeiten und den Preis für seine Arbeit selbst festlegen. Aber wenn er Angestellte mitbringt, dann muss er sie nach dem deutschen Mindestlohn bezahlen, muss tariflich festgelegte Arbeitszeiten einhalten und ausreichend Urlaub geben. Die Vorgaben der Entsenderichtlinie haben Vorrang vor der Dienstleistungsrichtlinie.
    Doch das reiche nicht, meint die französische Europaabgeordnete Elisabeth Morin-Chartier. Ausländische Arbeiter dürften nicht billiger sein als einheimische:
    "Die Bezahlung muss den Mindestlohn plus alle Zulagen enthalten, also das 13. Monatsgehalt, Erschwerniszulagen, Kältezulagen, kurz: Die ausländischen Arbeiter müssen finanziell den nationalen Arbeitern gleichgestellt werden."
    Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort: Das fordert auch der Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker. Die Europäische Union müsse insgesamt sozialer werden, findet Liina Carr vom Europäischen Gewerkschaftsdachverband ETUC:
    "Wir müssen die Entsenderichtlinie so gestalten, dass sie dem sozialen Europa entspricht, das wir wollen. Wir müssen die Sorgen der Arbeiter in den Vordergrund rücken und ihre Arbeitsbedingungen verbessern, egal, ob sie entsandt oder lokale Arbeiter sind. Es gibt so viele neuartige Arbeitsverhältnisse und Arbeitspraktiken, die immer neue Möglichkeiten zum Sozialdumping innerhalb der Europäischen Union eröffnen. Wir müssen dieses Sozialdumping bekämpfen. Und der einzige Weg dazu ist, auf europäischer Ebene vorzugehen."
    Genau das sehen die Regierungen in Mittel- und Osteuropa anders. Aus ihrer Sicht geht es bei der Verschärfung der Entsenderichtlinie nicht um den besseren Schutz polnischer oder rumänischer Arbeitskräfte. Die preiswerteren Arbeiter aus dem Osten sollen vom westlichen Arbeitsmarkt ferngehalten werden, ist die polnische Unterhändlerin Martyna Bildziukiewicz überzeugt:
    "Wir müssen die Arbeitsbedingungen in der EU verbessern. Da sind wir einverstanden. Aber wenn wir über entsandte Arbeiter reden, dann sind das Jobs, die für eine begrenzte Zeit in einem anderen Land erledigt werden. Das ist nicht vergleichbar mit jemandem, der in Deutschland angestellt ist und ständig in Deutschland arbeitet. Wenn man beide Fälle gleich behandelt, dann ist das schwierig für uns und unsere Unternehmen und eben eine protektionistische Maßnahme."
    Elf Länder protestieren gegen die Entsenderichtlinie
    Polen steht mit dieser Auffassung nicht allein da. Im letzten Jahr haben zehn mittel- und osteuropäische Parlamente eine Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Schon in ihrer derzeitigen Form verletze die Entsenderichtlinie das Subsidiaritätsgebot, die Verschärfung mache alles schlimmer. Im Klartext: Die EU kümmere sich mit ihren Vorgaben um ein Problem, das Mitgliedsstaaten selbst lösen könnten, wenn sie wollten. Vor allem der Kampf gegen die Ausbeutung von Arbeitern sei Sache der nationalen Regierungen. Das dänische Parlament hat sich der Klage aus Solidarität angeschlossen. Martyna Bildziukiewicz:
    "Elf Parlamente von elf Mitgliedsstaaten, die etwa 100 Millionen Bürger vertreten, haben festgestellt, dass die Richtlinie dem Gebot der Subsidiarität widerspricht. Das war ein sehr starkes Signal in Richtung Europäische Kommission, aber die Kommission hat das ignoriert und einfach weiter gemacht."
    Ein Arbeiter in einem Schlachtbetrieb
    Ein Arbeiter in einem Schlachtbetrieb (pic)
    Rund zwei Millionen EU-Bürger arbeiten derzeit unter der Entsenderichtlinie in einem anderen EU-Land, das sind 0,7 Prozent aller Beschäftigten. Etwa 400.000 dieser entsandten Arbeiter sind Polen. An zweiter Stelle kommen schon die Deutschen mit 240.000 zeitlich befristeten Arbeitsaufenthalten im EU-Ausland. Sie montieren in den Nachbarländern Industrieanlagen, reparieren Maschinen oder stellen Küchen auf. Gleich danach kommen französische Firmen, die gut 130.000 Arbeiter auf Zeit in andere EU-Länder schicken. Wirkliche Probleme mit Lohndumping erlebt nur ein sehr kleiner Teil der entsandten Arbeiter.
    Besonders schlimme Auswüchse gab es bis vor Kurzem in deutschen Schlachthöfen. Das Zerteilen und Zerlegen der geschlachteten Tiere wird in Deutschland fast nur von rumänischen und bulgarischen Metzgern erledigt. Sie bekamen jahrelang weniger als vier Euro die Stunde, mussten in erbärmlichen Sammelunterkünften wohnen und bis zu 14 Stunden am Tag an tief gekühlten Arbeitsplätzen arbeiten.
    Mit Einführung des Mindestlohns hat sich viel verbessert
    Seit Deutschland 2015 den Mindestlohn eingeführt hat, ist diese Art der Ausbeutung weitgehend verschwunden. Zwar versuchen einige Schlachthofbetreiber nach wie vor, die Löhne zu drücken, indem sie überhöhte Preise für Kost und Logis abziehen oder absurde Leihgebühren für Messer und Gummistiefel verlangen. Aber das lässt sich kontrollieren und abstellen. So wie auch in anderen Branchen vieles durch nationale Vorschriften und nationale Kontrollen entschärft werden könnte. Liina Carr vom Gewerkschaftsdachverband ETUC in Brüssel:
    "Die nationalen Regierungen könnten ganz sicher mehr tun. Aber in der Wirtschaftskrise haben viele ausgerechnet bei den Kontrollen gekürzt. Um Personal zu sparen, haben die Verwaltungen die Zahl der Arbeitsinspekteure reduziert. Das hat Folgen. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Regierungen die bestehende Entsenderichtlinie entschlossener durchsetzen würden."
    Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat in sieben deutschen Großstädten Informationsbüros für Arbeiter aus Mittel- und Osteuropa eingerichtet. Mit dem Projekt "Faire Mobilität" wollen die Gewerkschaften verhindern, dass Arbeitnehmer in Europa gegeneinander ausgespielt werden. Ivan Ivanov vom Frankfurter Informationsbüro berät ausländische Arbeitnehmer:
    "Die meisten Menschen kommen zu uns, wenn sie ihren Lohn nicht bekommen haben, also ganz oder komplett. Wir haben auch viele Menschen, denen es einfach nicht klar ist, was für eine Beschäftigungsform sie haben, seien sie entsandt, selbstständig oder angestellt. Und sie kommen zu uns und wollen mehr Klarheit bekommen."
    Ein Mann wird in Berlin im Seniorenpflegeheim pro vita Haus Rheingold von einem Pfleger gefüttert.
    In der Altenpflege werden in Deutschland besonders viele entsendete Arbeiter beschäftigt. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Der DGB-Berater Ivanov hat vor allem mit den schwarzen Schafen unter ausländischen EU-Betrieben zu tun, mit Firmen, die im Heimatland oft gar keine richtigen Unternehmen sind: Briefkastenfirmen in Slowenien zum Beispiel, die besonders billige Arbeiter in Bosnien anheuern, in Slowenien anmelden und dann nach Deutschland schicken. Oder Firmenchefs, die ihre Arbeiter spätestens nach neun Monaten zurückholen, damit sie nicht unter die Sozialversicherungspflicht in Deutschland fallen, und sie dann über eine Zweitfirma wieder losschicken.
    "Damit das ordnungsgemäß kontrolliert werden kann, müssen eigentlich die Behörden sowohl im Einsatzland als auch im Entsendeland zusammenarbeiten. Da erleben wir, das ist in den meisten Fällen nicht der Fall. Das öffnet natürlich Tür und Tor für Missbrauchsfälle. Und das wissen gewisse Unternehmen gut auszunutzen."
    Dabei ist der grenzüberschreitende Informationsaustausch längst Gesetz. Aber in vielen Ländern fehlt der Eifer. Nicht zu Unrecht verweisen die Ost-Regierungen zudem darauf, dass auch im Westen gerne ein Auge zugedrückt wird bei der Kontrolle, wenn es gerade passt.
    Bei der Altenpflege guckt Deutschland nicht so genau hin
    Gemeint ist die Altenpflege. Allein in Deutschland versorgen 150.000 Pflegekräfte aus Osteuropa alte Menschen in deren Wohnung, meist rund um die Uhr. Oft wird nicht einmal der Mindestlohn gezahlt, die Arbeitszeiten liegen fast immer weit über dem, was die Entsenderichtlinie erlaubt. Doch Kontrollen, wie sie auf dem Bau in Deutschland üblich sind, gibt es bei der privaten Pflege praktisch nie.
    Beim Streit um die Entsenderichtlinie wird die private Altenpflege ausgeblendet. Die Regierungen in Paris, Rom und anderswo reden lieber über Maurer und Fliesenleger, über Schlachter und Lastwagenfahrer. Und so werden die meisten West-EU-Regierungschefs und Staatsoberhäupter sich am Ende wohl auf die Formel einigen: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. In Deutschland würde das statt des Mindestlohnes den weit höheren Tariflohn bedeuten. Die Regierungen im Osten der EU werden dagegen protestieren, aber vermutlich überstimmt werden. Seit dem Brexit-Referendum sind viele Politiker in der EU überzeugt, dass sich die Europäische Union sozialer darstellen und stärker auf Ängste der Bürger eingehen muss.
    Druck kommt vor allem aus Frankreich. Präsident Emmanuel Macron hatte schon im Wahlkampf eine Verschärfung der EU-Entsenderichtlinie gefordert, insbesondere gleichen Lohn am gleichen Ort und schärfere Kontrollen. Jetzt legt er nach: Statt wie bisher 36 Monate, sollten entsandte Arbeiter nur noch zwölf Monate in einem anderen EU-Land arbeiten dürfen.
    Den französischen Arbeitsmarkt möchte Macron reformieren. Er will den Kündigungsschutz lockern und verkrustete Strukturen aufbrechen. Das wird ihm viel Gegenwind einbringen, vor allem von den Gewerkschaften. Deshalb braucht Macron ein Signal aus Brüssel, dass die Europäische Union den französischen Arbeitsmarkt stärker als bisher vor osteuropäischer Konkurrenz schützt.
    Der Bauunternehmer Sven Zink hält den Streit um die Entsenderichtlinie für ein bisschen realitätsfern. Auch Zinks Unternehmen hat schon etliche Aufträge an osteuropäische Konkurrenten verloren, aber zwingenden Handlungsbedarf kann er nicht erkennen.
    "Wir sind auf die angewiesen, letztendlich. Und wir sind ja auch als Handwerksbetrieb froh, wenn man die dann akquirieren kann, dass die dann auf unserer Baustelle arbeiten. Und es hilft uns ja auch nicht wirklich weiter, wenn wir unsere Baustelle nicht besetzen können."