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Streit um Familiennachzug
SPD empört über Kurswechsel der Union in der Flüchtlingspolitik

Nach Innenminister Thomas de Maizières 180-Grad-Wende beim Familiennachzug für syrische Flüchtlinge und der anschließenden Rolle Rückwärts scheint die Koalitionseinigung vergessen: Erneut verläuft in Sachen Flüchtlingspolitik ein tiefer Graben zwischen Union und SPD.

Von Klaus Remme | 07.11.2015
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) beantwortet Fragen deutscher Pressevertreter am Flughafen von Tirana am Ende seiner Albanien-Reise.
    Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) steht nicht zum ersten Mal in der Kritik: Als zuständiger Ressortchef soll er sich um die angestrebte Beschleunigung der Asylverfahren kümmern. (picture alliance / dpa / Armando Babani)
    Man weiß nicht, wie Innenminister Thomas de Maizière sich das vorgestellt hat, so sicher nicht. Zwei Entscheidungen der vergangenen Woche gehören zusammen. Erstens: Anfang der Woche wurde das zuständige Bundesamt für Flüchtlinge und Migration vom Innenministerium "gebeten", wie es gestern offiziell hieß, seine Entscheidungspraxis zu ändern und syrische Flüchtlinge in eine eingeschränkte Schutzkategorie einzustufen.
    Zweitens, für diese Kategorie wurde am Donnerstag durch Beschluss der Parteichefs von CDU, CSU und SPD das Recht, Familienangehörige nachzuholen, ausgesetzt. Von Angela Merkel, Sigmar Gabriel und Horst Seehofer war über diesen Zusammenhang kein Wort zu hören. Gestern Nachmittag, auf dem Rückflug von Gesprächen in Albanien kam die Bestätigung dazu durch Thomas de Maizière selbst, gegenüber unserem Programm sagte er, in anderen Ländern gebe es auch nur Aufenthalt für eine begrenzte Zeit:
    "Das werden wir in Zukunft mit den Syrern auch tun. Indem wir ihnen sagen, ihr bekommt Schutz, aber den sogenannten subsidiären Schutz, das heißt, zeitlich begrenzt und ohne Familiennachzug."
    180-Grad-Wende in der Flüchtlingspolitik
    Der Innenminister begründete:
    "Wenn wir jetzt 800.000 plus X haben, dann können wir die Zahl nicht verdreifachen durch Familiennachzug. Dafür muss ich einfach um Verständnis bitten."
    Kurswechsel, U-Turn, 180-Grad-Wende in der Flüchtlingspolitik – das Echo darauf war gewaltig. Unfassbar, kritisierte die Opposition, mit uns nicht abgesprochen, kam es schnell aus den Reihen des Koalitionspartners SPD. Der mühsam gefundene Konsens vom Vortag, perdu! Dann, ohne weitere Erklärung, Thomas de Maizière gestern Abend:
    "Anfang der Woche hatten wir die Änderungen vorgesehen. Und im Blick auf die Entscheidungspraxis gestern gibt es jetzt Gesprächsbedarf. Deswegen bleibt es jetzt so, wie es ist."
    Doch so einfach lässt sich dieses Manöver nicht korrigieren. Der zeitliche Vorlauf von mehreren Tagen zeigt: Seit Längerem wird in der Bundesregierung darüber nachgedacht, wie die Zahl der syrischen Flüchtlinge, der größten Flüchtlingsgruppe, deutlich zu verringern ist.
    Das Recht, den Familiennachzug zu verweigern, liegt da nahe, der außenpolitische Sprecher der Unions-Fraktion, Jürgen Hardt, sieht das auch so, heute Morgen sagte Hardt im Deutschlandfunk:
    "Ich glaube aber, dass wir das Problem offensiv angehen müssen, denn Thomas de Maizière hat es eben gesagt, die Zahlen sind enorm, und wenn tatsächlich jeder syrische Flüchtling seine Familie nachholen darf, würden die Zahlen deutlich weiter ansteigen. Nächste Woche wird es daran gehen, die gesetzlichen Grundlagen für die Umsetzung der Beschlüsse vom vergangenen Donnerstag zu treffen, und dann wird sicherlich auch diese Frage zwischen CDU/CSU und SPD einvernehmlich geregelt werden können."
    Koalitionseinigung scheint vergessen
    Das ist aus heutiger Sicht mehr als optimistisch. Die SPD ist hörbar irritiert, dass man nur Stunden nach der Schlichtung des Streits um Transitzonen, in den nächsten Zankapfel beißen muss. Auf der Suche nach Abwehrsignalen gehen der Union die Gäule durch, schimpft SPD Vize Ralf Stegner heute Morgen im Deutschlandfunk und weiter:
    "Die Menschen flüchten dort vor den Fassbomben von Herrn Assad oder vor den Mörderbanden des Islamischen Staates. Und dann allen Ernstes zu sagen, wir schränken den Schutz für diese Menschen ein oder wir sagen, Familiennachzug ist nicht mehr. Das alles geht mit der SPD nicht, das weiß die Union auch sehr genau, und deswegen ist es sehr ärgerlich, dass Herr de Maizière das öffentlich versucht, um nur festzustellen, dass er von der SPD da gebremst wird, weil wir das nicht mitmachen werden."
    Stegner verweist auf die vielen Ehrenamtlichen, auf Bundeswehr, auf die Polizei, auf Hilfsdienste, die tagtäglich bis an die Grenze des Machbaren gehen:
    "Da muss die Spitze ein besseres Beispiel geben. Und das Beispiel, das die Union auf Bundesebene abgibt, ist wirklich miserabel, und Herr de Maizière vorneweg."
    Der Bundesinnenminister steht nicht zum ersten Mal in der Kritik. Als zuständiger Ressortchef ist er für die angestrebte Beschleunigung der Asylverfahren zuständig. Diese Beschleunigung ist Kernstück der Mittel zur Bewältigung der Probleme. Darum solle de Maizière sich endlich kümmern, so Stegner, er müsse sein Ministerium endlich auf Trab bringen.
    Fazit: Der Konsens von Donnerstag scheint vergessen. Auch nach der Rückwärtsrolle des Innenministers läuft die Konfliktlinie in Sachen Flüchtlingspolitik wieder zwischen Union einerseits und SPD andererseits!