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Streit um neue Gletscherskigebiete in Tirol

Zumindest in den tieferen Lagen sind die Alpen lange nicht mehr so schneesicher wie früher - vermutlich ist der Klimawandel eine Ursachen dafür. Auch die Gletscher schmelzen bekanntlich seit Jahren, doch manche Tourismusmanager setzen auf ihre Erschließung für den Schitourismus. Im österreichischen Bundesland Tirol sollen jetzt weitere Gletscher dafür ausgebaut werden, doch diese Pläne sind umstritten - nicht zuletzt deshalb, weil die Gletscher auch als Wasserreserven wichtig sind.

Von Susanne Lettenbauer | 15.06.2004
    Um "maßvolle kleinere Gebietserweiterungen" gehe es, hatte Naturschutzlandesrätin Anna Hosp beteuert , nachdem das neue Naturschutzgesetz des Landes Tirol beschlossen worden war. Man müsse eben "regionalwirtschaftlich nicht so entwickelten Gletscherskigebieten im Pitz- und Kaunertal eine Chance geben, auch in schneeärmeren Zeiten ihre Existenzgrundlage nicht zu verlieren".

    Die Projekte, die derzeit auf ihrem Tisch liegen, betreffen eine Erweiterung der Skigebiete im Pitztal um 220 und im Kaunertal um 280 Hektar. Die Rede ist von dem Gepatschgletscher, dem Kaunatalgletscher samt Weisseespitze auf über 3500 Metern Höhe. Gerade jene Gletscher, die – wie es derzeit eine Ausstellung im Münchner Alpinen Museum zeigt – mit am stärksten vom Abschmelzen bedroht sind. 62 Meter Länge hat z.B. der Gepatschgletscher seit 2002 verloren, Tendenz steigend. Das Land Tirol kann sicher nichts dafür, dass gerade in seinem Bundesland die meisten bedrohten Gletscher registriert werden – dennoch stellt es sich nunmehr frei, mit dem neuen Naturschutzgesetz in allen fünf bestehenden Gletscherskigebieten "Anlagen mit besonderer touristischer Bedeutung" mittels Raumordnungsprogrammen zu genehmigen.

    In der Wiener Bundesregierung ist man ein wenig düpiert, ob der nahezu einmütig beschlossenen Nauturschutznovelle. Bundesumweltminister Josef Pröll wartet dennoch erstmal ab:

    Ökosystem Gletscher und Frage Klimaveränderung sind Bewertungsgrundlagen und müssen Bewertungsgrundlagen sein für die Schaffung neuer Lifte und ich denke, dass hier naturschutzrechtliche Verfahren klar auf dem Tisch liegen, die Gesetze müssen eingehalten werden. Wenn ein Projektbetreiber hier Ziele hat, dann muss er mit den entsprechenden Gesetzen und Behörden diskutieren und auskommen. Ich von meiner Seite werde darauf achten, dass hier die Vorgaben eingehalten werden.

    Mit der Ablehnung von Skiliften nahe Innsbruck an der Mutterer Alm hat Wien vor einigen Tagen den Tirolern Naturschutz gelehrt: 20 Hektar Schutzwald wären sonst vernichtet worden für einen Skipark im Gebiet von zwei Murengräben und drei Lawinenhängen.

    Glaubt man dem Tourismusverband Tirol, warum die Skiorte, die gut 90 Prozent ihres Umsatzes mit Schnee machen, den Naturschutz dermaßen mit Füssen treten, dann steht diesen Orten das Wasser mittlerweile bis zum Hals. Alle Skigebiete im Inntal sind konkursreif. 70 Prozent der Lifte schreiben rote Zahlen.

    Deshalb war die Novelle des Naturschutzgesetzes nur ein erster Schritt hinauf ins "ewige Eis", als nächstes steht bis Juni die Überarbeitung der Seilbahngrundsätze an. Was in den 90er Jahre recht sinnvoll die Betreibung von Seilbahnen und die ländliche Raumplanung steuerte, scheint jetzt genau das Gegenteil zu bewirken, so Stefan Witty vom Deutschen Alpenverein. Denn was wie eine Wortklauberei klingt, ist das eigentliche Dilemma der Gesetzesnovelle. Neuerschließungen unterliegen schärferen Kontrollen als Gebieterweiterungen . Doch was eine Neuerschließung und was eine Erweiterung ist, ist Auslegungssache. Ganz zu schweigen von der Signalwirkung für die anderen Alpenländer, die ihre Winterurlaubsorte nachrüsten müssen um mithalten zu können bei den Übernachtungszahlen.

    Die Schaffung neuer Skilifte auf den Gletschern, daran erinnert Stefan Witty, würde dem Tourismus und nicht nur der Natur sogar weitaus mehr schaden als nützen:

    Man hat das überhaupt nicht wahrgenommen, wenn man eine Erweiterung macht eines Skigebietes oder eine Neuerschließung, dass man damit eigentlich in klassische Bergsteigerregionen vordringt und sich damit auch diesen Teil des Sommertourismus, den Bergtourismus vernichtet. Dieser Aspekt fließt in diesem Jahr das erste Mal überhaupt in die Raumplanung ein.

    Mit seinen Plänen neue Lifte im Gletschergebiet zu bauen, steht das Land Tirol in Österreich allein da. Die Kollegen im Salzburger Land oder im Vorarlberg sehen ebenso wie der Umweltreferent vom Deutschen Alpenverein wenig Sinn in der Ausweitung der Skigebiete, zumal der wirtschaftliche Nutzen kaum ein Jahrzehnt Bestand haben dürfte. Der Vorstand der Großglockner Hochstrassen AG, Christian Heu – dessen Gletscherstrasse in der Vergangenheit nicht unbedingt den Umweltschutz als primäres Ziel hatte – ist ebenso skeptisch:

    Wir haben jetzt Gletscher, die schon der touristischen Nutzung zugeführt sind, wo es auch touristische Interessen geben mag, die länger zu erhalten, das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, das die Gletscher unsere wesentlichen Wasserressourcen sind und wenn die abschmelzen es furchtbare Szenarien gibt. Und da gibt es dann das durchaus ökologische Interesse, kann man ja auch zweierlei Meinung sein und das gilt es ja zu diskutieren, aber wenn ich nur an die Pasterze denke, die ja an der Kaiser Franz-Josef-Strasse liegt, kann es dort nie Skisport geben, weil es ein langer Zungengletscher und einfach ein Wasserreservoir ist.