Freitag, 19. April 2024

Archiv

Streit um neue Straßenverkehrsordnung
ADAC-Experte: Fahrverbote werden zu schnell verhängt

Durch die Neuregelung der Straßenverkehrsordnung könnten sich die Fahrverbote verfünffachen, sagte der ADAC-Experte Jost Kärger im Dlf. Das werde dann auch zu einem entsprechenden Mehraufwand für die Gerichte führen. Fahrverbote solle es daher erst bei höheren Geschwindigkeitsübertretungen geben.

Jost Kärger im Gespräch mit Philipp May | 16.05.2020
Ein Verkehrsschild zur Geschwindigkeitsbegrenzung auf Tempo 30 steht auf einer Hauptstraße vor geparkten Autos.
Die neue Straßenverkehrsordnung soll vor allem Fahrradfahrer besser schützen (picture alliance/dpa/Marcel Kusch)
Wer zu schnell fährt, der ist in Deutschland über Jahrzehnte vergleichsweise milde davongekommen. Das hat sich allerdings Ende April geändert, die neue Straßenverkehrsordnung ist in Kraft getreten. Blitzen wird teurer, und vor allem: Es drohen schneller Fahrverbote. Doch nach Protesten, unter anderem vom ADAC, will Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer diese Änderungen wieder zurücknehmen. Darüber sprechen wir mit Jost Kärger, Leiter des Bereichs Verkehrsrecht im ADAC.
Andreas Scheuer (CSU), Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, während einer Sitzung des Deutschen Bundestages im Plenarsaal des Reichstagsgebäudes
Straßenverkehr - Neue Milde für Temposünder
Kaum sind die neuen Verkehrsregeln in Kraft, will Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer sie wieder nachbessern. Die Journalistin Jenny Friedrich-Freksa beklagt, dass er zur Lobby gehöre, die sich gegen einen Wandel der Städte stemme.
Philipp May: Die AfD sieht in der neuen Straßenverkehrsordnung einen weiteren Beweis für den Feldzug gegen das Auto. Sie auch?
Jost Kärger: Also nicht in Gänze. Also ich denke, man muss natürlich… Das heißt ja fahrradfreundliche StVO. Die Straßenverkehrsordnungsänderung zum 28.04. enthält ja verschiedene Elemente: Es geht ja zum einen auch um mehr Sicherheit für Fahrradfahrer. Und das, worüber jetzt aktuell gestritten wird, die Fahrverbote bei bereits geringeren Geschwindigkeiten, das ist ja etwas, was erst auf den letzten Drücker hineingekommen ist, was eigentlich so in Gänze auch zu dieser Idee der fahrradfreundlichen StVO nicht unbedingt passt und deswegen eigentlich eine völlig andere Zielrichtung hat.
May: Also ist Rasen für Sie ein Kavaliersdelikt.
Kärger: Das ist kein Kavaliersdelikt. Man muss halt aber unterscheiden, so, wie es bisher war: Wir hatten leichte Verkehrsverstöße, mittlere und eben schwere. Und für die schweren Verkehrsverstöße, da war neben einem Bußgeld und eben auch Punkten auch ein Fahrverbot vorgesehen – und diese Grenze hat der Bundesrat jetzt verschoben, und zwar in eine Richtung, die sicherlich nicht ganz ins System passt.
May: Zweifeln Sie also an der Kausalkette, weniger Tempo, weniger Unfälle?
Kärger: Das ist eine Frage der Statistik, ab welcher Geschwindigkeit es gehäuft zu Unfällen kommt. Das ist halt eine Frage, inwieweit man unter Umständen das Langsamer-Fahren nicht auch erreichen kann dadurch, dass man sozusagen es über das Bußgeld und den Punkt entsprechend regelt, so wie es bisher auch der Fall war. Bisher hatten wir ja auch schon ein Fahrverbot, gerade für Wiederholungstäter, die sich nicht daran gehalten haben, die zwei Mal innerhalb eines Jahres mehr als 25 km/h zu schnell gefahren sind. Die sind ja bereits jetzt zu Fuß gegangen.
"Das System hat sich eigentlich so bewährt"
May: Wieso kann man denn den deutschen Autofahrern aus Sicht des ADAC nicht einfach zumuten, die Regeln einzuhalten? Dann passiert ja gar nichts.
Kärger: Man kann den Autofahrern zumuten, die Regeln einzuhalten. Letztendlich ist es eine verkehrspsychologische Frage, da bin ich jetzt als Jurist nicht unbedingt der richtige Ansprechpartner: Wie wirke ich am besten auf einen Kraftfahrer ein, sich an die Regeln zu halten? Und da haben wir halt in Deutschland ein sehr dezidiertes System. Wir haben eben nicht nur die Geldbuße im Einzelfall, wir haben eben nicht nur den Punkt im Einzelfall, wir haben auch nicht nur das Fahrverbot gegebenenfalls im Einzelfall, sondern wir haben, wie es so schön im Juristendeutsch heißt, das Fahreignungsbewertungssystem, kurz, das Punktesystem in Flensburg, wo bei acht Punkten halt eben insgesamt Schluss ist. Und das ist natürlich auch etwas, was der Autofahrer im Hinterkopf behalten muss, gerade eben die Vielfahrer, gerade die Vertreter, dass sie nicht eben nur kurzfristig den Führerschein verlieren können für einen Monat Fahrverbot, sondern eben auch länger für mindestens sechs Monate aufgrund des Entzuges, wenn sie insgesamt zu auffällig waren. Also man muss es halt in Deutschland als Gänze sehen.
May: Also das heißt, in Deutschland soll man weiterhin das Punktekonto haben nach Ihrer Sicht, Wiederholungstäter, das ist das.
Kärger: Das System ist halt sehr dezidiert, das hat sich aber auch bewährt, wir haben es ja in 2014 noch mal reformiert, haben es da ja schon mal etwas verschärft. Und das System hat sich eigentlich so bewährt.
"Wird sich dann vermutlich auch die Belastung der Gerichte verfünffachen"
May: Wenn ich da direkt einhaken kann: Jetzt sagen aber ausgerechnet die, die das überwachen sollen, nämlich die Polizei, die sagen, das System hat sich nicht bewährt, die kritisieren dezidiert den Vorstoß von Andreas Scheuer, und die sagen: Wir brauchen härtere Maßnahmen, und am meisten weh tut eben der Führerscheinentzug.
Kärger: Der Führerscheinentzug ist sicherlich ein wichtiges Mittel. Die Frage ist halt, ab welcher Übertretung es angemessen ist, die Leute einen Monat lang zu Fuß gehen zu lassen, und das ist ja genau das, worüber wir aktuell die Diskussion führen. Man muss halt überlegen, bereits ab 21 km/h, wie es derzeit vorgesehen ist – dann gibt es Zahlen, die besprochen werden, dass sich die Fahrverbote verfünffachen werden. Damit wird sich dann vermutlich auch die Belastung der Gerichte verfünffachen.
May: Oder die Leute halten sich einfach besser an die Regeln in Zukunft. Das ist ja Sinn und Zweck.
Kärger: Ja, aber wie gesagt, sie werden ja nicht nur durch das Fahrverbot bestraft, sondern bereits durch den Punkt und entsprechend durch die Geldbuße. Das muss man halt als Gesamtwerk sehen. Die Frage ist halt: Ab welcher Stufe ist es angemessen, neben dem Punkt und der Geldbuße auch noch ein Fahrverbot zu verhängen? Und genau darum geht es halt in der Diskussion aktuell.
"Mit Freikaufen hat das nichts zu tun"
May: Also Sie sagen, man soll sich weiter freikaufen können.
Kärger: Mit Freikaufen hat das nichts zu tun. Die Frage ist halt, ab wann Fahrverbote angemessen sind, um auf die Leute mehr einzuwirken, als das mit einer Geldbuße und mit einem Punkt möglich ist.
May: Was ich nicht verstehe: In anderen Ländern klappt ja diese Disziplinierung durch dezidiert härtere Strafen, frühere Fahrverbote zum Beispiel, ja ganz gut. Jeder, der beispielsweise in der Schweiz unterwegs ist, merkt sofort den Unterschied.
Kärger: Das ist natürlich eine Frage der Ansicht. Also wie gesagt, Sie hatten gerade die Meinung der Polizei angesprochen, die teilen wir also in dieser Art nicht, dass das bisherige System entsprechend nicht wirkt. Also da müsste man die Polizei mal fragen, wo sie diese Nicht-Wirkung sehen, weil wenn Sie mal auf die Statistiken in Flensburg gucken, wie viele Eintragungen es dort gibt, wie viele Eintragungen es auch derzeit dort gibt mit Fahrverboten, wird man sehen, dass das Mehrfachsystem Punkt, Geldbuße und dieses Komplettsystem bis acht Punkte, dann ist der Führerschein weg, schon eine erhebliche Wirkung in Deutschland hat. Also da teile ich die Meinung der Polizei jetzt nicht.
May: Die Frage ist, wo sehen Sie Wirkung genau? Wo machen Sie die Wirkung fest?
Kärger: Die Wirkung wovon, vom System, meinen Sie jetzt?
May: Des Systems, ja.
Kärger: Ja, aufgrund dieser Mehrfachelemente. Man muss sich mal halt entsprechend die Zahlen ansehen, es gibt nicht allzu viele Leute, die mit mehreren Taten dort entsprechend eingetragen sind, sicherlich auch eine Wirkung des Systems, dass die eben genau wissen, dass bei acht Punkten der Führerschein weg ist. Es gibt auch noch eine Ermahnung und eine Verwarnung, das heißt, man wird also auch entsprechend noch vorgewarnt, wenn man eben mehr als eine Eintragung hat oder mehrere Eintragungen in Flensburg hat, um eben auf die Leute einzuwirken. Die werden angeschrieben durch die Fahrerlaubnisbehörden, dass sie jetzt X Punkte haben und dass eben man deswegen sein Verhalten noch mal genau überprüfen sollte, weil es nicht mehr allzu fern ist, dass der Führerschein dann ganz weg ist. Und da sprechen wir eben nicht vom Fahrverbot, da sprechen wir vom Entzug, da gehen Sie mindestens sechs Monate zu Fuß, und Sie müssen eine MPU machen, um den Führerschein wiederzubekommen.
May: Jetzt muss die Rücknahme durch den Bundesrat ja noch beschlossen werden. Haben Sie Hoffnung, dass der sich umstimmen lässt?
Kärger: Man muss schauen, wie wahrscheinlich das ist. Man hat Bundesrat und Bundestag, muss man ja auch sagen, letztendlich vor allem auch natürlich den Bundesrat, da war die aktuelle StVO ja am 14. Februar. Da war, soweit ich das jetzt richtig in Erinnerung habe, glaube ich, das Abstimmungsverhältnis 13 zu sechs. Da stellt sich die Frage, ob tatsächlich es dem Minister gelingt, die Länder, die bisher dafür gestimmt haben, jetzt umzustimmen, und wie sozusagen der Kompromiss dann aussehen könnte.
May: Wie könnte denn der Kompromiss aussehen?
Kärger: Ja, die Frage ist, ob man dann unter Umständen die Grenzen wieder erhöht, ab denen es ein Fahrverbot gibt, vielleicht nicht auf die Werte, die man bisher hatte, sondern auf einen Mittelwert.
May: Einen Mittelwert, das hieße dann, bei zwei Verstößen?
Kärger: Nein, ich meine jetzt nicht bei zwei Verstößen, sondern dass man sagt, es beginnt nicht bei 21 innerorts, wie es aktuell ist, es beginnt aber auch nicht bei 31 innerorts, wie es früher war, sondern es beginnt vielleicht – ohne dass das jetzt eine Maßgabe sein soll – bei 26 innerorts.
May: Wieso ist es eigentlich so schwer, sich einfach an das Tempo zu halten, wenn Tempo 50 ist oder wenn Tempo 30 ist, dass man sich dran hält? Dann müssen wir gar nicht über Fahrverbote reden.
Kärger: Wie gesagt, das ist eine Frage an den Verkehrspsychologen, warum man das übertritt, was man sozusagen als Strafe braucht, um das entsprechend dann mental umzusetzen. Da kann ich als Jurist, wie gesagt, nur mutmaßen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.