Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

Streit um Plastikentsorgung
Lobbyistin: Mehr über Konsum, weniger über Kosten reden

Die Kunststoffverpackungsindustrie an Entsorgungskosten zu beteiligen, trage nicht zur Müllvermeidung bei, sagte die Sprecherin der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen, Mara Hancker, im Dlf. Die Branche solle an der Diskussion beteiligt werden, denn sie habe schon viele Ideen zur Müllvermeidung.

Mara Hancker im Gespräch mit Silvia Engels | 12.08.2019
Plastikmüll, Kunststoffmüll | Verwendung weltweit
Problem Kunststoffmüll: Die Hersteller von Plastikverpackungen soll an deren Entsorgung beteiligt werden (chromorange)
Silvia Engels: Auch an diesem Wochenende überschlugen sich Politiker des Regierungslagers förmlich mit Vorschlägen für mehr Klimaschutz und Abfallvermeidung. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer will zum Beispiel alte Ölheizungen per Abwrackprämie entsorgen und die SPD-Umweltministerin Schulze plant, Plastiktüten zu verbieten. Und heute traf sich Schulze dann mit Vertretern der kommunalen Unternehmen, um speziell über Entsorgungskosten zu sprechen.
Die Hersteller sollen an der Entsorgung von Einwegmüll beteiligt werden. Kurz vor der Sendung sprachen wir darüber mit Mara Hancker. Sie ist die Sprecherin der Industrievereinigung Kunststoffverpackungen. Sind die Unternehmen in Ihrer Branche bereit, das mitzubezahlen?
Mara Hancker: Da muss man erst mal unterscheiden zwischen all den Dingen, die in der EU-Kunststoffstrategie vorgegeben wurden, die jetzt ja auf nationaler Ebene umgesetzt werden sollen und die wir sehr gerne und sehr engagiert mitgehen: Recycling-Ziele, Recycling-Quoten, Aufklärung, auch Ressourcenschonung. Da ist die Industrie absolut mit an Bord. Und eben auf der anderen Seite dieser Herstellerverantwortung, wie sie an der Stelle definiert wird; die sehen wir nicht bei den Herstellern von den Kunststoffverpackungen. Da wird dieser gemeinsame ganzheitliche Ansatz verlassen. Da wird für ein Problem, für eine Konsequenz ein Bezahler gesucht, aber nicht wirklich an der Ursache gearbeitet. Und das finden wir nicht in Ordnung.
Engels: Wer soll es denn zahlen, wenn nicht Sie? Der Verbraucher wie bisher?
Hancker: Es geht vielleicht gar nicht mal so sehr ums Bezahlen. Ich kann oder wir können gut nachvollziehen, dass die steigenden Kosten hier getragen werden sollen. Aber viel mehr sollte unser Anliegen sein, das Littering zu vermeiden. Wir kennen unterschiedliche Ursachen. Das ist mal die Infrastruktur, das sind mal auch die aufgerissenen gelben Säcke. Es ist aber auch sehr häufig das achtlose Wegwerfen, das wieder zum Livestyle geworden ist. Ich sage das immer so: Wenn ich meinen Kindern erkläre, sie sollen ihr Zimmer aufräumen, wenn sie gespielt haben. Sie das nicht tun, ich dann aber sage: Keine Sorge, es kommt jemand von den Spielzeugherstellern, der bezahlt jemanden dafür, der das für euch macht. Dann lernen die nichts dabei. Wir müssen das Littering vermeiden.
Hancker: Produkte so designen, dass sie weniger Müll verursachen
Engels: Littering heißt in dem Fall das Vermüllen, das einfach in die Landschaft werfen.
Hancker: Genau.
Engels: Lassen Sie mich da direkt einhaken. Die Entsorgungskosten für die Kommunen sind natürlich trotzdem hoch, auch wenn jetzt nicht so viel in die Landschaft geworfen wird. Das Problem Plastikmüll bleibt ja bestehen. Und da zahlen Sie gar nichts mit?
Hancker: Na ja. Für den Plastikabfall, wie Sie jetzt sagen, beziehungsweise an dessen Entsorgung wird ja schon bezahlt. Da haben wir die dualen Systeme, die eigentlich sammeln, sortieren und dann auch recyceln sollen - all das, was ordnungsgemäß dem Abfall, dem gelben Sack zugefügt wird. Das, worüber wir jetzt sprechen, ist ja all das, was nicht ordnungsgemäß außerhalb landet, und das gilt es zu verhindern.
Das machen im Übrigen auch die Kunststoffverpackungshersteller, die ihre Produkte jetzt viel stärker auch so designen wollen, dass sie nicht so gelittert werden können. Ich habe Öffnungshilfen, die nicht so leicht abreißen. Ich habe vielleicht eine gute Restentleerbarkeit, damit keine Vögel an den gelben Sack gehen, weil sie noch was rauspicken, und ähnliches. Da können die Hersteller auch wirklich an den Stellschrauben was tun und was beitragen und nicht nur zur Kasse gebeten werden für etwas, das sie nicht in erster Linie verursachen.
"Produkte noch stärker von ihrem Lebensende her denken"
Engels: Nehmen wir an, die Extrakosten bleiben doch zum Teil am Ende bei Ihnen beziehungsweise bei den Vertretern Ihrer Unternehmen hängen. Das wird dann auf die Preise aufgeschlagen?
Hancker: Na ja, das klingt immer so wie eine Drohung oder fast schon wie eine Erpressung. Das will man ja so nun auch nicht sehen. Dass solche Kosten verteilt werden müssen, ist absolut nachvollziehbar, und dass man da auch gemeinsam nach Lösungen sucht. Wogegen wir uns an der Stelle einfach ein bisschen verwehren ist, dass wir aktuell sehr aufgeregt über Plastik diskutieren und viel weniger über Konsum, über tatsächliches raus aus der Wegwerfgesellschaft – ein Ansatz, den Frau Schulze ja eigentlich mit ihrer Politik auch fährt. Wenn wir da ansetzen, dann müssen wir uns auch gar nicht immer so sehr über die Kosten unterhalten, die dadurch entstehen. Wenn ich auf viele Produkte verzichte, dann ist häufig auch die Verpackung damit obsolet.
Engels: Das Ganze, diese Überlegung, auch die Kosten umzulegen für die Müllentsorgung, soll ja auf der EU-Einwegkunststoffrichtlinie basieren. Sie haben es schon angesprochen. Die gibt es schon länger und perspektivisch steuert die ja ohnehin auf ein Ende von Plastik-Strohhalmen oder von Einweggeschirr hin. Da können Ihre Unternehmen nicht überrascht sein, dass das Plastikverarbeitungsgeschäft so unter Druck steht. Warum braucht die Reaktion darauf so lang?
Hancker: Die Reaktion der Industrie meinen Sie?
Engels: Ja.
Hancker: Das klingt immer ein bisschen so, als wären wir jetzt ganz aufgeregt zugange, um auf etwas zu reagieren. Wir haben im vergangenen Monat oder in den letzten Monaten einen Eco-Designleitfaden ausgebracht. Der ist schon seit 2014 in der Mache, sage ich jetzt mal so profan. Es gibt Ziele für das Recyceln von Erntekunststofffolien, die eingesammelt werden. Auch das sind Bewegungen, die schon über viele Jahre laufen. Das Eco-Design als solches zu verbessern, sind jetzt keine werbetechnischen Reaktionen einfach nur, sondern das ist sehr intensive Entwicklungs- und Innovationsarbeit schon in den letzten Jahren gewesen. Und ganz klar - den Schuh müssen wir uns anziehen – müssen wir die Produkte noch stärker von ihrem Lebensende her denken. Das ist aber nicht so, als wäre das in der Vergangenheit nie passiert und jetzt würde man ganz hektisch reagieren. Ganz im Gegenteil.
"Industrie hat sich ganz konkrete Ziele gesetzt"
Engels: Da setzt die Industrie oder auch Ihre Branche natürlich regelmäßig auf freiwillige Selbstverpflichtungen. Das hat ja auch zum Beispiel bei der Verminderung des Plastiktütenverbrauchs hierzulande durchaus geholfen. Aber, so die Kritiker, das geht alles nicht schnell genug. Sie sagen, Sie haben schon was gemacht. Was sind denn jetzt die nächsten großen Beispiele, wo wirklich dann substanziell Plastikeinweg von Ihrer Seite reduziert wird?
Hancker: Es geht nicht nur um die Reduktion von Plastikeinweg, sondern es geht um ökologische Gestaltung von Verpackungen insgesamt. Das ist mal mit Plastik, das ist mal mit anderen Materialien und auch ohne Kunststoff an der Stelle. Ganz konkrete Ziele hat sich die Industrie gesetzt. Das ist aber leider in den überregionalen Medien gar nicht so richtig gehört worden. Bis 2025 sollen 90 Prozent aller Kunststoffverpackungen Recycling oder mehrwegfähig sein hier in Deutschland. Und: Auch bis 2025 sollen eine Million Tonnen Recycling-Material eingesetzt werden in Verpackungen.
Das wird gemonitort, das wird sehr ernst genommen und das sind Ziele, die wir eigentlich ganz gerne auch ein bisschen weiter zum Verbraucher bringen würden. Denn der muss natürlich am Ende diese Recycling-Verpackungen auch kaufen, auch wenn die manchmal ein bisschen anders aussehen als die dann neu produzierten. Das ist ein Aufklärungsprozess, das ist einfach ein kontinuierliches Lernen.
Beim Recycling-Papier sind wir da schon einiges gewöhnt und wir werden auch beim Kunststoff genau dort hinkommen müssen. Und ganz klar: Da wo die Kunststoffverpackung nicht gebraucht wird, wo ihre besonderen Schutzfunktionen eben nicht gefragt sind, da werden wir auch ohne Kunststoff in Zukunft verpacken.
Engels: Haben Sie da ein Beispiel? Was sind die Packungen, die möglicherweise demnächst komplett aus hundert Prozent Recycling-Plastik sind und eben nicht, wie ja beim Recycling in der Vergangenheit auch zu beobachten, dann doch am Ende möglicherweise in Dritte-Welt-Länder exportiert werden?
Hancker: Der Export in die Dritte-Welt-Länder kann nun wahrlich nicht die Lösung sein. Es ist auch absolut richtig, dass wir uns hier um unseren eigenen Müll vor der eigenen Haustür kümmern. Und je stärker wir das Ganze als Wertstoff sehen und auch wieder in den Kreislauf führen, desto einfacher wird das auch. Wo man Recycling-Material einsetzen kann, das ist nun mal nicht in erster Linie bei der Lebensmittelverpackung. Da sind die Anforderungen an Hygiene et cetera sehr hoch.
Wo das aber sehr gut gemacht werden kann, ist überall im Bereich der Haushaltsprodukte. Ich sage jetzt mal die Waschmittelverpackung oder auch ein Farbeimer oder Ähnliches. Das gibt es schon. Es gibt Farbeimer aus hundert Prozent Recycling-Material. Die sind dann nicht unbedingt strahlend weiß. Aber da muss dem Konsumenten klargemacht werden: Das ist Recyclat, das ist super, dass das so verpackt werden kann. Der Eimer muss eben nicht komplett strahlend weiß sein. Haushalte, greift beherzt zu, und dann wird sich da auch die Nachfrage erhöhen.
"Kunststoffverpackungsindustrie nicht in der Schmuddelecke"
Engels: Sie verweisen immer sehr stark auf die Verantwortung des Verbrauchers. Aber was sagt Ihre Branche generell? Was machen Sie, wenn der Geschäftszweig Einwegplastik früher oder später wegfällt? Stirbt Ihre Branche?
Hancker: Nein, die stirbt nicht. Das ist noch eine junge Branche, tatsächlich im Vergleich zu anderen Materialien, die sich sehr gut entwickelt hat. Es wird ja überall dann auch immer ein bisschen als Negativbeispiel angeführt. Die ist sehr innovativ, die kann sich anpassen, die hat selber auch viele Alternativen selbst schon im Petto. Oft ist Mehrwegkunststoff die ökologische Lösung, auch gegenüber Wettbewerbsmaterialien, statt Einweg. Wie gesagt, es geht auch nicht darum, an jeder Anwendung festzuhalten, wahrlich nicht. Gerade das Beispiel auch der Kunststoff-Strohhalme ist ein solches, wo man sagen kann, da wo es nicht unbedingt gebraucht wird, dann können wir es auch gerne weglassen. Wie gesagt, es gibt Entwicklungen Richtung bio-abbaubar, teilweise biobasiert, es gibt Mehrweg statt Einweg.
Es gibt ganz viele Innovationen in Richtung immer leichter werden, effizienter werden, stärker im Kreislauf zu denken. Mir ist nicht bange um die Industrie. Mir ist nur bange, wenn ich höre, wie sie so pauschal diffamiert und kritisiert wird. Denn wenn wir die Klimaschutzziele erreichen wollen, dann brauchen wir die Kunststoffverpackungsindustrie mit an den runden Tischen und nicht in der Schmuddelecke.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.