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Streit um Ruhr-Triennale
Türkisches Ensemble sagt Auftritt ab

Das Istanbuler Hezarfen Ensemble hat Teilen der deutschen Presse unlauteres Verhalten vorgeworfen. Anlass: eine Formulierung im Programmheft der Ruhr-Triennale, die von "Umsiedlung" statt vom Genozid an den Armeniern spricht. Rainer Pöllmann meint, die Musiker seien von falscher Seite vereinnahmt worden.

Von Rainer Pöllmann | 14.08.2018
    Das Instanbuler Ensemble Hezarfen
    "Music of Displacement reflektiert die Konsequenzen von Vertreibung und drückt gleichzeitig den Reichtum einer uns alle verbindenden Menschlichkeit aus." (Hezarfen Ensemble)
    Ja, von "Umsiedlung" zu sprechen, wo es um Völkermord geht, ist völlig unangemessen. Das Sprechen in Andeutungen mag in der Türkei selbst das Maximum dessen sein, was für ein dort beheimatetes Ensemble öffentlich sagbar ist. Für ein internationales Kunstfestival ist es inakzeptabel.
    Nein, das Hezarfen Ensemble ist kein Propaganda-Ensemble des autokratischen türkischen Staates. Es setzt sich glaubwürdig und differenziert auf künstlerische Weise mit politischen und historischen Themen auseinander. Insofern führt der Vergleich mit den "Young Fathers" und dem völlig unsouveränen Umgang der Ruhrtriennale mit der BDS-Kampagne eher in die Irre.
    Projekt des Ensembles über jeden Zweifel erhaben
    Die Idee zu dem Projekt "Music of Displacement" ist knapp ein halbes Jahrzehnt alt. Als "interdisziplinäre Klage" ist es im Untertitel charakterisiert. Und es taucht immerhin auch das türkische Wort "Ağıt" auf, dessen armenisches Pendant "Aghet" Katastrophe heißt und für den Völkermord steht. Das Anliegen des Projekts ist also über jeden Zweifel erhaben.
    Einem Konzert mit Musik über das Leid der Menschen, sei es 1915 im Osmanischen Reich, in der 80-er Jahren im Libanon oder 2018 in Syrien, sollte die Lauterkeit und künstlerische Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden, es atmet allerdings letztlich auch den Geist künstlerischer Unverbindlichkeit. Und auch die Stellungnahme des Ensembles selbst zur Absage begnügt sich mit Allgemeinplätzen und Schuldzuweisungen.
    Gerade die Kontroversen (und die Missverständnisse) um das Konzert des Hezarfen-Ensembles zeigen aber, wie sehr sich die Situation für "politische" Kunst verändert, wie sie sich zugespitzt hat.
    Kunst muss differenzieren und keine Schlagworte liefern
    Zeitlich parallel zu "Music of Displacement" entwickelte der Komponist Marc Sinan mit der Dresdner Philharmonie sein Projekt "Aghet", in dem drei Komponistinnen und Komponisten unmissverständlich den Völkermord an den Armeniern thematisieren und anprangern. Was den lauten, wütenden Protest der türkischen Regierung hervorrief und was übrigens auch nicht ohne Folgen für die beteiligte türkische Komponistin blieb. Welches Projekt das in musikalisch-künstlerischer Hinsicht Wertvollere ist, lässt sich keineswegs so leicht entscheiden. Welches auf der Höhe der politischen Debatte ist, liegt auf der Hand.
    Das ist nicht ohne Gefahr für die Kunst selbst. Die Verschlagwortung und Reduzierung auf wenige Trigger-Begriffe kann nicht im Sinne einer künstlerisch reichhaltigen Praxis sein, die auf Differenzierung und nicht zuletzt auf die Komplexität und Widersprüchlichkeit menschlicher Existenz Bezug nimmt.
    Dass die Kritik am Konzert des Hezarfen-Ensembles sich keineswegs an Programm selbst, an der Musik oder den Gedichten, entzündete, sondern ausschließlich am Pressetext dazu, stellt der Debattenkultur in unseren Feuilletons kein gutes Zeugnis aus. Andererseits ist von einem der wichtigsten Festivals des Landes, das sich das Politische explizit auf seine Fahnen geschrieben hat, eine Öffentlichkeitsarbeit zu erwarten, die genau formuliert und die Brisanz des Themas nicht schönfärberisch camoufliert.