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Streit um staatliche Nachrichtenagentur
"Sie entlassen uns, um die Redaktion zu disziplinieren"

Vor mehr als 70 Jahren gründete Argentinien die staatliche Nachrichtenagentur Télam. Nun hat die Regierung fast jeden zweiten Mitarbeiter entlassen. Zu aufgebläht sei der Apparat, zu einseitig die Berichterstattung. Kritiker sprechen vom Versuch politischer Säuberung.

Von Ivo Marusczyk | 09.07.2018
    Argentinien, Demo gegen Entlassungen bei der Nationalen Nachrichtenagentur Télam in Buenos Aires July 5, 2018 - Buenos Aires, Buenos Aires, Argentina - Telam, Argentina s national news agency, created in 1945, has dismissed 357 employees, almost 40 percent of its total personnel. Today, press workers and dismissed employees held a protest in the Downtown. Buenos Aires Argentina PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY - ZUMAs180 20180705_zbp_s180_006 Copyright: xClaudioxSantistebanx
    Demonstranten gehen mit verbundene Mündern und Plakaten gegen die Entlassungen auf die Straße. (imago stock&people/Claudio Santisteban)
    Seit Tagen haben sie ihren Arbeitsplatz besetzt, sie sind wütend auf die Regierung und den Präsidenten: Die Mitarbeiter der argentinischen Nachrichtenagentur Télam. Télam gehört dem argentinischen Staat und dieser Staat hat auf einen Schlag 40 Prozent der Mitarbeiter entlassen. 358 Journalisten, Techniker, Verwaltungs-Mitarbeiter stehen auf der Straße.
    "Wir sind Zeugen eines riesigen Prozesses, um die Leute auf Linie zu bringen. Sie entlassen uns, um die Redaktion zu disziplinieren, um ein Exempel zu statuieren: Sie lassen uns die Wahl: Gehorsam oder Entlassung und Arbeitslosigkeit", sagt Mariano Suarez von der Journalisten-Gewerkschaft Buenos Aires.
    "Sie wollen Journalisten, die keine Kritik üben"
    Die wirtschaftsliberale Mitte-Rechts-Regierung von Präsident Macri wolle die Journalisten der Agentur zum Schweigen bringen. Und die Regierung sagt sogar ganz offen, dass die Entlassungen politisch bedingt sind.
    Unter der linkspopulistischen Vorgängerregierung Kirchner, sei Télam zu einer brutalen Propagandamaschine aufgebaut worden, sagt Medienminister Lombardi und ein Hort der Vetternwirtschaft. Bis kurz vor Ihrer Ablösung habe die Kirchner-Regierung noch Spezln und Parteigängern in der staatlichen Nachrichtenagentur Posten zugeschanzt. "2003, als die Kircher-Regierung die Verantwortung übernahm, hatte Télam 479 Mitarbeiter, am Ende 2015 waren es 926. In zwölf Jahren haben sie die Zahl der Stellen verdoppelt."
    Posten nach Parteibuch
    Kritik, die nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Die Kirchner-Regierung hat nicht nur Télam sondern den gesamten Staatsapparat aufgebläht. Posten wurden nach Parteibuch vergeben und Télam hatte tatsächlich einen miserablen Ruf - auch wegen einseitiger Berichterstattung.
    Aber die entlassenen Journalisten wehren sich gegen diese Vorwürfe. Sie sagen, die Entlassungen seien brutal und willkürlich gewesen. Viele hätten nicht einmal einen blauen Brief bekommen, sondern man habe ihnen kommentarlos die vorgeschriebene Abfindung überwiesen, außerdem habe man auch langjährige Mitarbeiter gefeuert, die lange vor der Kircher-Zeit eingestellt wurden und man nehme keinerlei Rücksicht auf Härtefälle, sagt Marcelo Bartolomé.
    "Alle wurden entlassen ohne Gründe zu nennen. Ich wurde am vergangenen Dienstag entlassen und das ist sogar illegal. Denn ich leide an Krebs und wenn ich die Arbeit verliere, habe ich auch keine Krankenversicherung mehr."
    "Die Regierung will die Agentur kaputtsparen"
    Auslandsredakteur Hernán Campaniello hat seinen Job noch, aber er sagt ebenfalls, die Entlassungen seien willkürlich. Man habe ganze Abteilungen aufgelöst, etwa die Infografik und es gebe jetzt kaum noch Redakteure für den Fernseh- und Radiodienst der Télam. Er glaubt, da gehe es gar nicht um eine politische Säuberung. Die Regierung wolle die Agentur gezielt schwächen und kaputtsparen, um sie letztlich ganz dicht zu machen.
    Profitieren würden davon große Mediengruppen wie der Clarín-Konzern, der nicht unkritisch aber doch sehr wohlwollend über die Regierung Macri berichtet. Die streikenden Journalisten verlangen jetzt eine politische Lösung: Die staatlichen Medien - neben Télam gibt es noch Fernseh- und Radiosender sollen nicht mehr direkt unter Kontrolle der Regierung stehen, sondern unter die Aufsicht einer Parlaments-Kommission gestellt werden.