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Streit um Verbot der Sterbehilfe

Während Teile der Union gerne noch restriktiver gegen organisierte Sterbehilfeorganisationen vorgehen würden, stemmt sich die FDP dagegen. Uneinigkeit besteht aber auch in der Frage, wann und ob in Deutschland ein assistierter Suizid erlaubt sein darf.

Von Annette Rollmann | 04.04.2012
    Weltweit sind heutzutage rund 20 Organisationen auf dem Gebiet der Sterbehilfe aktiv. In Deutschland machte vor allem der Verein "Sterbehilfe Deutschland" um den Hamburger Ex-Senator Roger Kusch sowie die deutsche Sektion "Dignitas" auf sich aufmerksam. Solche Dienstleister sieht die schwarz-gelbe Regierungskoalition in Berlin zunehmend mit Argwohn, vor allem dann, wenn sie mit dem Todeswunsch von Menschen Geld verdienen. Deshalb soll nun gewerbsmäßige Beratung verboten werden. Für den Vorsitzenden des Innenausschusses des Bundestages, den CDU-Politiker Wolfgang Bosbach, ein überfälliger Schritt.

    "Wir wollen verhindern, dass mit der Not von insbesondere älteren Menschen Geschäfte gemacht wird. Das hat mit passiver Sterbehilfe, mit Menschlichkeit in der letzten Phase des Lebens überhaupt nichts zu tun."

    Erst kürzlich hat Roger Kusch sein "Weißbuch 2012" veröffentlicht. Von den 27 Menschen im Jahr 2011, denen Kuschs Verein beim Selbstmord assistiert hat, waren nur wenige unheilbar krank, einige psychisch labil, andere sogar kerngesund. Doch der Verein hat starken Zulauf. In nur einem Jahr stieg in Deutschland die Zahl derjenigen, die einen assistierten Suizid begingen, um 25 Prozent. Und auch "Dignitas Deutschland" verhilft immer mehr Deutschen zum Sterben – allerdings in der Schweiz. Die Patientenorganisation Deutsche Hospizstiftung geht von einer jährlichen Zunahme von rund 15 Prozent aus, in Schweizer Zeitungen werden die Anstiege auf bis zu 35 Prozent beziffert. Wolfgang Bosbach:

    "Wir wissen ja aus den Vorgängen rund um Herrn Kusch auch von Fällen, in denen er Menschen geholfen hat, sich selbst zu töten, die keineswegs todgeweiht waren, die ja noch nicht einmal ernsthaft krank waren, aber die allein, die hilflos waren. Sie hätten keine Hilfe zum Sterben gebraucht, sondern Hilfe zum Leben."

    Teile der Union würden gerne noch restriktiver gegen organisierte Sterbehilfeorganisationen vorgehen. Dem niedersächsischen Justizminister, Bernd Busemann (CDU), etwa reichen die Verabredungen zum Verbot der gewerblichen Sterbehilfe nicht. Seine Befürchtung: Leicht lasse sich verschleiern, dass es den Organisationen darum gehe, Geld zu verdienen. Sie setzten einfach hohe Verwaltungskosten und Gehälter an. Notwendig sei daher ein Tatbestandsmerkmal, das alle Facetten erfasse.

    Doch gegen ein weiter reichendes Verbot der organisierten Sterbehilfe stemmt sich die FDP. Der Bundestagsabgeordnete und Experte für Palliativmedizin, Michael Kauch befürchtet, dass eine zu enge gesetzliche Regelung auch Mitarbeiter in der Palliativmedizin in Schwierigkeiten bringen könnte:

    "Wir sind als Koalition der Auffassung, dass es ethisch nicht richtig ist, wenn man aus dem Leid von Menschen Profit zieht. Auf der anderen Seite ist die FDP der Auffassung, dass man hier auch verhältnismäßig sein muss und dass man insbesondere Organisationen, die aus altruistischen Motiven den Menschen helfen wollen, nicht mit Strafe bedrohen darf. Wenn jeder, der einen sterbenden Patienten berät und auf die Frage nach assistiertem Suizid nicht gleich die Antwort verweigert, wenn der von Strafe bedroht wäre, dann ist eine offene Beratung nicht möglich."

    Gerade die Frage nach der Beratung ist unter Politikern, Juristen und Ärzten umstritten. Uneinigkeit besteht auch in der Frage, wann und ob in Deutschland ein assistierter Suizid erlaubt sein darf. Nach deutschem Strafrecht ist es nicht verboten, Arzneien zur Verfügung zu stellen, so lange sie nicht dem Betäubungsmittelgesetz unterliegen. Allerdings macht sich ein Sterbehelfer unterlassener Hilfeleistung schuldig, wenn er nicht den Notarzt ruft, nachdem der Patient die tödliche Dosis eingenommen hat und ohnmächtig wird. Und zwar auch dann, wenn die Hilfeleistung eindeutig gegen den Willen des Sterbenden verstößt. Der Helfer verletzt dann seine Garanten- oder Schutzbefohlenenpflicht. Verlässt der Sterbehelfer allerdings rechtzeitig den Sterbenden, hat er sich gar schriftlich von der Garantenpflicht befreien lassen, kann er kaum strafrechtlich belangt werden.

    Das Standesrecht für Ärzte geht neuerdings jedoch über das Strafrecht hinaus. Bis vor kurzem hieß es im Standesrecht noch: "Beihilfe zum Suizid gehört nicht zu den ärztlichen Aufgaben. Sie soll aber möglich sein, wenn der Arzt das mit seinem Gewissen vereinbaren kann." Seit dem Beschluss des Ärztetages vom vergangenen Juni liest sich das anders: "Ärztinnen und Ärzte dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten", heißt es jetzt so knapp wie eindeutig. Demnach haben Ärzte in Deutschland keinen Spielraum mehr, einem Patienten beim Suizid zu assistieren, ohne ihr Standesrecht zu verletzen, erklärt Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery:

    "Sehr oft steckt hinter dem Todeswunsch eines Menschen nur ein Versagen der Palliativmedizin oder der Schmerztherapie, genauer gesagt ein zu wenig an Palliativmedizin und Schmerztherapie. Wenn man Menschen im Todeswunsch offen begegnet und ihnen anschließend gute Angebote von Schmerztherapie machen kann, dann wollen sie sehr oft leben, um im Leben würdig zu sterben."

    Dennoch gibt es auch Montgomery zu denken, dass nach einer Umfrage der Bundesärztekammer rund ein Viertel der Ärzte sich vorstellen kann, den assistierten Suizid in bestimmten Fällen auszuüben.

    "Das haben wir sehr ernst zur Kenntnis genommen, haben gleichwohl mit Palliativmedizin und Hospizärzten gesprochen und sind dann in großer Einmütigkeit zur Überzeugung gekommen,… wir wollen nicht als Todeshelfer an das Bett des Patienten treten."

    Der Arzt Michael de Ridder, Projektleiter für das sich im Aufbau befindende Vivantes-Hospiz in Berlin und Buchautor zum Thema Sterben, macht dagegen auch auf die Schattenseiten der Palliativmedizin aufmerksam. Er plädiert dafür, Sterben wieder als Teil des Lebens wahrzunehmen:

    "Ich bin Vorsitzender einer Stiftung für Palliativmedizin und ein überzeugter Vertreter palliativmedizinischer Vorgehensweisen und ich würde im Einzelfall alles dafür tun, einen Patienten von Palliativmedizin zu überzeugen. Aber es gibt Situationen am Lebensende und in schwerster Krankheit, wo Palliativmedizin entweder nicht hinreicht oder Sterbende die Kontrolle über ihr eigenes Sterben unbedingt behalten wollen. In solchen Fällen kann der ärztlich assistierte Suizid eine Option darstellen. Die muss möglich sein und darf nicht durch das Berufsrecht von vornherein unmöglich gemacht werden."

    Was ist menschenwürdiges Sterben? Wie geht eine Gesellschaft mit dem Tod um? De Ridder ist sich sicher:

    "Töten bedeutet ja ein Leben zerstören. Aber nichts liegt einem Arzt, der einen Patienten Hilfe bei der Selbsttötung leistet, ferner, als ein Leben zu zerstören. Vielmehr will der Arzt in einer Situation aussichtslosen Leidens, einer Situation übermächtiger Krankheit dem Patienten helfen, seine Integrität und seine Würde zu wahren. Eine solche Haltung kann niemals unethisch sein."

    Ärztekammerpräsident Montgomery stellt einen anderen Gedanken in den Vordergrund. Er will, dass die Gesetze so formuliert werden, dass sie für die Mehrheit der 800.000 Menschen, die jährlich in Deutschland sterben, tauglich sind und vor allem nicht missbraucht werden können.

    "Die große Mehrzahl der Palliativmediziner sagt, dass wir heute mit dem Instrument der palliativen Sedierung etwas in der Hand haben, das allen Menschen hilft… Dann sollten wir in Deutschland einfache, gut handhabbare Gesetze machen und wir sollten nicht in unserem gesetzlichen Handeln ausschließlich immer auf ganz kleine, ganz extreme Sonderfälle achten. Man kann nicht jeden Sonderfall, schon gar nicht am Ende des Lebens, in ein Gesetz fassen."