Mittwoch, 24. April 2024

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Streit um Werbung für Schwangerschaftsabbrüche
"Es wäre unschädlich, den 219a komplett zu streichen"

Der Paragraf 219a verbietet Werbung für Abtreibungen. Die SPD-Sozialpolitikerin Daniela Kolbe hält ihn für nicht mehr zeitgemäß. Ohne den Paragrafen hätten Ärzte Rechtssicherheit und Frauen könnte sich ausreichend informieren, sagte sie im Dlf. Es brauche einen neuen, gemeinsamen Gesetzesentwurf von Union und SPD.

Daniela Kolbe im Gespräch mit Christiane Kaess | 24.04.2018
    Frauen mit Plakat "wegmit219a" und zugeklebten Mund auf einer Kundgebung von verschiedenen Frauenorganisationen und Abgeordnete zur Gesetzesinitiative vom Deutschen Bundestag zur Streichung oder Änderung und gegen das Informationsverbot fÜr Schwangerschaftsabbruch unter dem Motto "Weg mit dem Paragraph 219a StGb" vor dem Reichstag in Berlin.
    Demonstration gegen den Paragrafen 219a (imago / Ipon)
    Christiane Kaess: Ein Schwangerschaftsabbruch ist in Deutschland zwar verboten, aber wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, ist er straffrei – zum Beispiel nach einer entsprechenden Beratung und vor der 12. Woche der Schwangerschaft. Mit diesen Regelungen lebten sowohl Abtreibungsgegner als auch Abtreibungsbefürworter über Jahre hinweg ohne große öffentliche Konflikte. Bis der Fall einer Gießener Ärztin die Debatte neu anheizte. Sie hatte auf ihrer Website darüber informiert, dass sie Schwangerschaftsabbrüche macht, und sie wurde dafür zu einer Geldstrafe verurteilt. Grundlage war der Paragraph 219a Strafgesetzbuch, der Werbung für Abtreibungen verbietet. Die SPD will seitdem den Paragraphen abschaffen; die Union möchte ihn beibehalten. Jetzt setzen die Sozialdemokraten im Bundestag den Abgeordneten von CDU/CSU ein Ultimatum: Wenn ihre Verhandlungen bis zum Herbst keinen Erfolg hätten, dann, so heißt es, "muss in Gesprächen mit den reformwilligen Fraktionen und Abgeordneten nach einer Lösung gesucht werden." Gut möglich, dass dann auf diesem Weg eine Mehrheit im Bundestag gegen den Paragraphen zustande käme, denn auch in anderen Fraktionen will man 219a kippen oder abändern. Das heizt die Diskussion noch einmal an. Gestern hatten auch noch verschiedene Verbände und Organisationen in einem offenen Brief an die Ministerien für Frauen und Justiz gefordert, den Paragraphen abzuschaffen. Am Telefon ist Daniela Kolbe von der SPD. Sie ist im Bundestag Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Guten Morgen, Frau Kolbe.
    Daniela Kolbe: Schönen guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Ist es richtig, dem Koalitionspartner in einer so schwierigen Frage jetzt die Pistole auf die Brust zu setzen?
    Kolbe: Zunächst mal erinnern wir uns in der SPD ganz gut daran, dass die Kanzlerin kurz vor ihrer Wahl in unserer Fraktion versprochen hat, dass es eine Lösung geben wird für die betroffenen Frauen, ebenso wie für die Ärzte, die jetzt unter Druck geraten, weil sie Strafanzeigen befürchten müssen oder ihnen ausgesetzt sind. Und das heißt für uns auch, dass wir natürlich darauf drängen, dass das jetzt zur Umsetzung kommt. Es handelt sich juristisch nicht um eine ganz große Angelegenheit und ich denke, dass bis zum Herbst es doch gelingen sollte auszuloten, ob man da zu einer gemeinsamen Lösung kommt oder nicht. Ich gebe zu, ich bin da sogar noch ungeduldiger. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass man es gar nicht zu weiteren Prozessen kommen lässt gegen betroffene Ärzte und Ärztinnen und sogar noch früher absehen kann, ob es der Regierung gelingt, hier einen Gesetzentwurf vorzulegen oder nicht.
    "Große Meinungsverschiedenheit mit Spahn"
    Kaess: Schaden Sie dieser Koalition nicht, wenn Sie gleich zu Beginn nach anderen Mehrheiten suchen?
    Kolbe: Nein, das tun wir nicht. Es war ja im Gegenteil so, dass auch aus der Union Signale gekommen waren, dass es in Ordnung ist, dass wir einen Antrag selbst ins Verfahren bringen. Die Union ist dann auf uns zugekommen und hat gesagt, wir versuchen einen gemeinsamen Gesetzentwurf. Der muss jetzt allerdings auch kommen.
    Die Generalsekretärin der SPD Sachsen, Daniela Kolbe
    Daniela Kolbe, Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales im Bundestag und Generalsekretärin der SPD Sachsen (dpa / Arno Burgi)
    Kaess: Warum ist aber dieser Druck jetzt so aufgebaut worden? Denn die Justizministerin Katarina Barley von der SPD, die ist ja gerade dabei, einen Gesetzentwurf zur Reform des Gesetzes noch zu schreiben. Der ist noch nicht fertig und jetzt greift die SPD schon zu solchen Mitteln?
    Kolbe: Erst mal ist Katarina Barley an der Stelle auf dem richtigen Dampfer unterwegs. Sie macht deutlich: Wenn man Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte schaffen will, dann muss man an den Paragraphen 219a heran. Dann muss man es auch im Strafgesetzbuch regeln. Das Problem ist doch gerade, dass der Gesundheitsminister Jens Spahn, mit dem sie in Verhandlungen steht, gerade diesen Paragraphen nicht anfassen möchte, und insofern haben wir da schon eine große Meinungsverschiedenheit. Wir wollen einfach nicht, dass nur eine Seite gelöst wird, nämlich das Thema Informationsrecht für die Frauen, die in einer sehr schwierigen Situation sind, sondern es geht uns auch darum, dass Ärzte wie Frau Hänel in Zukunft Informationen zur Verfügung stellen dürfen, ohne dafür belangt zu werden.
    Kaess: Das war die Ärztin aus Gießen, die eine Strafe zahlen musste. – Sie haben den Gesundheitsminister Jens Spahn von der CDU erwähnt. Der hat noch mal nachgelegt. Er sagt in der "Bild"-Zeitung im Prinzip genau das, was Sie schon skizziert haben. Er sagt: "Wir wollen, dass Frauen in einer schwierigen Konfliktsituation sich gut informieren können", und dieses Ziel sei aus seiner Sicht umfänglich ohne eine Änderung des Paragraphen 219a zu erreichen. Ist das auch für Sie vorstellbar?
    "Rechtssicherheit für die betroffenen Ärztinnen und Ärzte"
    Kolbe: Alle Juristen, mit denen ich bisher gesprochen habe, verneinen das. Es geht nicht, das Strafrecht durch ein anderes Gesetz irgendwie außer Kraft zu setzen. Und wir haben ja gesehen, dass Kristina Hänel jetzt 6000 Euro zahlen muss, weil sie sachliche Informationen auf ihrer Website zur Verfügung gestellt hat. Das hat sogar das Gericht in der Urteilsbegründung so festgehalten. Das heißt, ich muss hier an das Strafrecht herangehen, wenn ich wirklich Rechtssicherheit hinbekommen möchte, und Frau Merkel hat uns nicht nur versprochen, für die betroffenen Frauen Informationsmöglichkeiten zu schaffen, sondern auch Rechtssicherheit für die betroffenen Ärztinnen und Ärzte. Bei diesem Versprechen nehmen wir sie sehr ernst. Es geht ja auch um eine ganze Menge. Es ist im Moment nicht möglich für eine Frau, in einer solchen Konfliktsituation sich wirklich umfassend Informationen zu beschaffen, wer solche Eingriffe vornimmt, und das führt nicht zu weniger Abbrüchen, aber das führt dazu, dass die betroffenen Frauen noch stärker unter Druck geraten und auch die Personen, die ihnen helfen können, die ja auch medizinisch gute Eingriffe dann vornehmen sollen, nämlich die Ärztinnen und Ärzte. Das ist im 21. Jahrhundert schlicht nicht hinnehmbar. Deswegen wäre es mir am liebsten, den 219a komplett zu streichen.
    Kaess: Aber warum muss gerade Werbung für Abtreibungen zugelassen werden? Ist dann nicht die Lösung, gesetzlich einfach genauer zu definieren, was ist Werbung und was ist Information?
    Kolbe: Wie genau man diese Rechtssicherheit herstellt, steht tatsächlich zur Debatte, und da gibt es ja verschiedene Möglichkeiten. Mir geht es gar nicht darum, den radikalsten Gesetzentwurf hier einzubringen, sondern wir müssen das schlicht gut klären und auch dafür Mehrheiten im Deutschen Bundestag finden. Ich glaube aber, dass es unschädlich wäre, den 219a komplett zu streichen, da auch ansonsten es Ärzten untersagt ist, ihre Leistungen anzupreisen. Insofern wäre es unschädlich, den 219a zu streichen. Aber wir sind da ja auch gesprächsbereit, wie in dem Antrag ja auch aufgeschrieben. Wir wollen eine Lösung für die Ärzte und wir wollen eine Lösung für die betroffenen Frauen.
    "Liberales Abtreibungsrecht führt nicht zu mehr Abtreibungen"
    Kaess: Die Kritiker halten Ihnen entgegen, dass genau dieser Paragraph 219a verhindern soll, dass ein Schwangerschaftsabbruch als normale ärztliche Leistung dargestellt und auch kommerzialisiert wird. Sind Sie dafür, dass das genauso wie jede andere ärztliche Leistung angeboten wird? Ich sage es mal zugespitzt, dass da kein Unterschied mehr gemacht wird, ob es jetzt um den Abbruch eines menschlichen Lebens geht, oder um einen Sehtest?
    Kolbe: Die Debatte finde ich schon etwas schräg, weil ich denke, es ist allen bewusst, dass ein Schwangerschaftskonflikt genau das ist, was der Name sagt, nämlich ein sehr schwerer Konflikt für die betroffene Frau, vielleicht die schwerste Entscheidung, die sie in ihrem Leben zu fällen hat, und das wird nie ein normaler Eingriff sein. Soviel ist klar. Wenn man sich die Studien anschaut, dann erkennt man aber, dass ein liberales Abtreibungsrecht nicht zu mehr Abtreibungen führt in den betroffenen Ländern, sondern in der Tendenz eher zu weniger Abtreibungen. Es ist ja nicht so, dass das ein Produkt ist, bei dem Werbung zu mehr Nachfrage führt. Wir sehen, dass das geltende Recht aber dazu führt, dass Frauen sich nicht informieren können in einer so schwierigen Situation, und das, finde ich, ist nicht mehr zeitgemäß im 21. Jahrhundert.
    Kaess: Auf der anderen Seite sagen auch die Kritiker, die Informationen sind doch für jede betroffene Frau zugänglich, entweder bei Beratungsstellen oder bei den Frauenärzten. Und Sie haben jetzt gerade selber auch gesagt in unserem Gespräch, es gibt deshalb nicht weniger Abbrüche. Wo genau ist dann das Defizit?
    Kolbe: Das Defizit ist ja schon, dass Sie nicht ohne weiteres herausfinden, welcher Arzt, welche Ärztin in Ihrer Umgebung einen Abbruch durchführt. Da sind Sie auf die Beratungsstellen angewiesen, wenn diese Listen zur Verfügung stellen.
    "Es ist unschädlich, dass sich Frauen sich hier frei informieren können"
    Kaess: Aber was spricht dagegen, in eine Beratungsstelle zu gehen und sich da zu informieren?
    Kolbe: Es spricht zunächst mal nichts dagegen, weil ich ja sogar, wenn ich einen Abbruch machen möchte, einen Beratungsschein brauche. Das heißt, ich muss zu einer Beratungsstelle gehen. Aber ich finde auch: Nichts spricht dagegen, dass Frauenärzte und Frauenärztinnen, die ja auch andere Operationen, die sie ambulant durchführen auf ihrer Website ohne weiteres angeben können, dass die auch angeben können, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Es geht ja auch um das Recht auf eine freie Wahl des Arztes oder der Ärztin und ich glaube, dass das unschädlich ist und sogar notwendig, dass Frauen sich hier frei informieren können.
    Kaess: Es gibt noch einen Vorschlag von Frank Ulrich Montgomery, dem Präsidenten der Bundesärztekammer. Der sagt, man könnte eine zentrale Liste von Abtreibungsärzten beim Gesundheitsministerium hinterlegen. Wäre das eventuell eine Lösung, um das Ganze zu entschärfen?
    Kolbe: Für mich nicht. Für mich ist das die Lösung der einen Hälfte des Problems, nämlich des Informationsrechts der betroffenen Frauen. Aber es löst nicht die Frage der Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte, die aus meiner Sicht auch informieren können sollen. Deswegen halte ich es für unabdingbar, hier klarzustellen im Paragraph 219a, oder durch seine Streichung, dass es in Ordnung ist, wenn Ärztinnen und Ärzte auf ihren Websites sachlich informieren darüber, dass sie Abtreibungen vornehmen und welche Art der Abtreibung sie vornehmen.
    Kaess: Daniela Kolbe von der SPD. Sie ist im Bundestag Mitglied im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Kolbe: Sehr gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.