Donnerstag, 28. März 2024

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Streit um wissenschaftliche Publikationen
"Irgendwo muss Geld fließen - denn der Prozess kostet Geld"

Hochschulen und wissenschaftliche Fachverlage streiten um den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen - den Hochschulen werden die Abonnements zu teuer. Hannfried von Hindenburg vom Verlag Elsevier verteidigte im DLF die Geldforderungen der Verlage - signalisierte aber Gesprächsbereitschaft, um mehr Open Access zu ermöglichen.

Hannfried von Hindenburg im Gespräch mit Jörg Biesler | 27.01.2017
    Studenten in der Bibliothek. Viele Universitäten nehmen an der "Langen Nacht der aufgeschobenen Hausarbeiten" teil: Hunderte Studenten überwanden sich gemeinsam und begannen mit den bislang liegen gebliebenen Hausarbeiten.
    Viele Unis haben die Abonnements mit den Fachverlagen gekündigt - sie fordern mehr Open Access. (dpa / picture alliance / Maja Hitij)
    Jörg Biesler: In dieser Woche fragen wir bei Campus & Karriere: Wem gehört das Wissen? Denn die Hochschulen und die wissenschaftlichen Fachverlage streiten um den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen. Den Hochschulen sind die Abos der meist elektronischen Zeitschriften zu teuer geworden, die bestehenden Verträge haben sie deshalb nicht verlängert und nach dem Auslaufen sind für diese Hochschulen, wie zum Beispiel die Uni Göttingen, aktuelle Fachartikel der großen Zeitschriften nicht mehr zugänglich. Nun wird verhandelt - und die Hochschulen fordern mehr Open Access, mehr freien Zugang zu Fachliteratur. Auf der anderen Seite stehen die Verlage, der bedeutendste und derzeit am meisten kritisierte ist das britisch-niederländische Haus Elsevier, das ist ein Verlag mit langer Geschichte, der sich heute auf wissenschaftliche Fachzeitschriften konzentriert. Hannfried von Hindenburg ist Sprecher von Elsevier und ich habe ihn vor der Sendung gebeten, das Geschäftsmodell von Elsevier zu erklären.
    Hannfried von Hindenburg: Elsevier veröffentlicht hauptsächlich in den Naturwissenschaften, in den technischen Disziplinen und auch sehr stark in der Medizin. Ich würde hinzusetzen, dass wir nicht nur veröffentlichen. Das Veröffentlichen, das Verlagswesen ist ja im Grunde - liegt darin, dass man jemandem einen Artikel gibt oder ein Buch gibt und sagt, lies das mal, mal gucken, ob was Interessantes drin steht, vielleicht findest du ja was auf Seite 49, vielleicht aber auch nicht. Und vielleicht erinnerst du dich daran später, vielleicht aber auch nicht, und benutzt es dann in deinem Beruf. Was wir heute vielmehr versuchen, und das ist, glaube ich, wichtig zu verstehen, ist so etwas zu werden wie ein Informationsdienstleister, eine Firma, die Analysen vorbereitet. Das heißt, Ärzte zum Beispiel, wenn man die ärztlichen Publikationen nimmt, können darauf zugreifen, indem sie konkrete Fragen stellen: Wie soll ich mit diesem Patienten umgehen, der vor mir steht, und ich gebe die Daten ein, die den Patienten charakterisieren, und bekomme dann Antworten darauf. Das ist das Spannende an den heutigen Verlagen, ich würde sagen, ehemaliger Verlage, die immer mehr zu einem Informationshaus werden.
    "Wir erhalten 1,4 Millionen Artikel pro Jahr"
    Biesler: Erklären Sie uns doch jetzt mit Blick noch mal auf die wissenschaftlichen Publikationen, wie so ein Verlagshaus eigentlich funktioniert, was Ihre Leistung da ist. Die Hochschulen kritisieren ja, das haben wir in dieser Woche gehört, auch vom Präsidenten der Hochschulrektorenkonferenz, Herrn Hippler, die hohen Kosten der Fachzeitschriften. Das Argument ist immer, dass die Inhalte von Wissenschaftlern geliefert werden und auch die Peer Reviews, also die Gutachten zu den Artikeln, die werden auch von Wissenschaftlern geliefert. Die Wissenschaftler sind öffentlich bezahlt. Was verursacht die hohen Kosten eigentlich, warum kostet manche Fachzeitschrift in den Bibliotheken dann 10.000 Euro im Jahr?
    von Hindenburg: Da muss man sich in der Tat mal ansehen, was Verlage machen. Und da möchte ich auch zu bedenken geben, dass zum Beispiel auch Redakteure aus der Wissenschaftsgemeinschaft für uns arbeiten, die zu 90 Prozent bezahlt werden. Und das auch bei einem Begutachtungsprozess - das hören wir immer wieder von unseren Begutachtern - ein Wertaustausch stattfindet. Dass natürlich der Autor profitiert, dass die Fachzeitschrift profitiert, das Institut, wo der Autor arbeitet, profitiert. Aber auch der Begutachter und dessen Institut erhält etwas. Die Fähigkeit, kritisch zu lesen, wird immer wieder uns genannt, die Forschung früher zu erhalten - das heißt, da ist schon auch ein Austausch, der stattfindet. Was Verlage eben tun, ist, in der Vergangenheit, zu drucken. Sie waren eben Druckanstalten, wenn Sie so wollen. Das ist nicht mehr so, aber dadurch ist die Sache nicht billiger geworden. Heute erhalten wir eine Wahnsinnsmenge an
    Artikeln, jeden Tag. Ein Beispiel: 1,4 Millionen Artikel pro Jahr erhalten wir. Ein Drittel ungefähr, 400.000 akzeptieren wir. Und wenn man das mal umrechnet, dann erhält man eine Zahl von 5.600 Artikeln, die wir jeden Arbeitstag erhalten. Das muss durchgesehen werden, das muss redigiert werden, dafür brauchen wir kostspielige Redaktionen, da müssen wir die Korrespondenz mit Autoren führen, wir müssen die Gutachten koordinieren, wir müssen die Manuskripte redigieren. Wir müssen die Rohdaten speichern - viele Forscher heutzutage veröffentlichen ja nicht nur den Text, sondern auch die Daten, die hinter den Forschungsergebnissen stecken. Das machen wir auch. Da ist also viel Datenmanagement dabei. Dann reichern wir die Artikel an mit interaktiven Features wie zum Beispiel Graphen, die man verändern kann und gucken kann, was passieren würde, wenn man andere Zahlen eingibt. Und immer weiter versuchen wir, wie eben schon beschrieben, zu einem [unverständlich] zu werden und zu einem Produkt zu kommen, das Antworten gibt, nicht nur die Aufforderung, hier, lies was.
    "Es ist ein massives Unterfangen"
    Biesler: Das ist jetzt genau die Verhandlung: Wie viel ist das wert, was Sie da machen? Die Hochschulen sagen, ja klar tun die Verlage was, und das soll auch bezahlt werden. Das hat jedenfalls Herr Hippler hier gesagt. Aber die Margen, die Verdienstmargen der Verlage sind einfach so hoch, da sind Zahlen von 40 Prozent im Gespräch - ich weiß nicht, ob man das genau nachprüfen kann - das ist einfach zu viel. Wir müssen zu einem vernünftigeren Preis kommen. Sehen Sie irgendeine Kompromissmöglichkeit? Kommen Sie aufeinander zu?
    von Hindenburg: In der Tat. Wir reden darüber, wie wir aufeinander zu gehen können. Und das muss sich mal vorstellen, wie komplex das ist. In Deutschland ist es so, dass es keine nationale Lizenz gibt. Das heißt, Elsevier und andere Verlage haben Einzelverträge mit jeder einzelnen Institution.
    Biesler: Und das ist das, was die Hochschulen im Augenblick wollen, eine nationale Lizenz.
    von Hindenburg: Genau. Mit ein paar Ausnahmen sind es als einzelne Verträge im Moment ungefähr 300, 400 in unserem Fall. Und der Vorschlag war von der HRK, von Herrn Professor Hippler: Lasst uns doch eine nationale Lizenz machen, einen Vertrag, dann sind alle damit abgedeckt, und das würde, das ist wichtig, eine Verdoppelung bedeuten, fast eine Verdoppelung der Institutionen, vor allen Dingen aber auch eine Verdoppelung des Inhalts, zu dem dann Zugang gehabt werden würde. Das heißt, es ist ein massives Unterfangen, ein sehr komplexes Unterfangen. Nur mal als Beispiel, in Frankreich haben wir vor Kurzem anderthalb Jahre gebraucht, um so einen Vertrag zu verhandeln. In Deutschland machen wir das zum allerersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, und das braucht eben ein bisschen mehr Zeit. Wir haben im August letzten Jahres angefangen zu reden. Herr Hippler, Herr Professor Hippler wollte das bis zum Ende des Jahres fertig haben. Wir haben gesagt, wir gehen auf Ihr Angebot ein, miteinander zu reden, wir stellen uns dafür zur Verfügung. Sie wollen eine nationale Lizenz. Wir sind dabei. Wir unterstützen das, wir unterstützen auch da die Position der Bundesregierung. Das machen wir mit, aber wir brauchen Zeit, das kann man nicht in vier, fünf Monaten durchziehen.
    "Open Access ist ein Geschäftsmodell"
    Biesler: Wie viel Zeit haben wir denn noch - also haben Sie noch, muss man eigentlich sagen. Denn wenn wir in die Zukunft schauen, die EU-Kommission plant, im Programm Horizon 2020 Open Access verbindlich zu machen. Es gibt schon Portale, die ähnlich arbeiten wie Verlage, aber eben weitgehend kostenfrei die Artikel, die wissenschaftlichen Fachartikel zur Verfügung stellen. Wie sieht denn Ihre Zukunft eigentlich aus?
    von Hindenburg: Kurz muss man sich mal vergegenwärtigen, was Open Access ist. Es ist ein Geschäftsmodell. Und dagegen, wenn Sie so wollen, das andere Geschäftsmodell steht: Abonnement. Abonnement kennen Sie von der Zeitung. Sie bestellen die Zeitung, sie kommt jeden Tag, und dafür bezahlen Sie eben Geld, dafür können Sie sie lesen. Das andere Modell ist, wenn Sie so wollen, als wenn jeder einzelne Journalist einer Zeitung dafür bezahlt, dass sein Artikel in der Zeitung veröffentlicht wird. Sprich, die Wissenschaftler würden dann dafür bezahlen, dass ihre Artikel veröffentlicht werden. Das versteht man als Open Access.
    Biesler: Ja, Entschuldigung, nur wir haben auch Portale schon hier in dieser Woche vorgestellt, die keine Kosten verursachen für die Wissenschaftler.
    von Hindenburg: An welche denken Sie da?
    Biesler: Zum Beispiel von Herrn Gogolin, den wir hier im Interview hatten, "Quantum" heißt diese Plattform. Da entstehen keine Kosten für die Wissenschaftler. Die Kosten werden im Augenblick freiwillig erhoben. Da gibt es Spenden, die das finanzieren.
    von Hindenburg: Ja, da gibt es also verschiedene Modelle, genau wie Sie sagen. Denn irgendwie muss es ja finanziert werden. Man kann das mit Spenden machen, man kann sagen, die Autoren bezahlen. In manchen Fällen sind es die Geldgeber des Staates, die das auch mit übernehmen. Irgendwo muss natürlich Geld fließen, denn dieser Prozess kostet nun mal Geld. Da ist auch Professor Hippler ganz der Meinung, das würde er nie bestreiten, und er sieht auch den Wert, den die Verlage bringen. Und das ist genau der Punkt. Professor Hippler sagt auch, Elsevier ist ein guter Verlag, sie bieten Dienstleistungen, die wir haben wollen. Und Elsevier tut das eben oft besser als andere Verlage oder andere Anbieter wie die, die Sie genannt haben, weil wir sehr gut darin sind, auszuwählen und hohe Qualität auszuwählen und die hohe Qualität auch aufrechtzuerhalten. Deswegen kommen immer wieder die Wissenschaftler zu uns, weil sie diese hohe Qualität wollen, weil sie diese Qualitätsmerkmale zu schätzen wissen. Deswegen gehen sie in der Regel nicht einfach zum Internet und sagen, hier ist mein Artikel, ihr könnt ja alle kommen und den lesen, sondern die sagen, ich will den in einem Journal veröffentlichen, das gibt mir Reputation, und das gibt mir auch die Sicherheit, dass mein Artikel hohe Qualität hat und gibt dem Leser die Sicherheit, dass in dem Artikel auch etwas steht, was man glauben und dem man trauen kann.
    "In beiden Fällen wird bezahlt, und wir sind offen für beides"
    Biesler: Deswegen gibt es auch Professoren, die zum Beispiel gegen Open Access sind. Das haben wir auch schon in dieser Woche hier als Thema gehabt. Aber wenn jetzt tatsächlich verbindlich wird, dass alles frei zugänglich ist, was an öffentlichen Hochschulen geforscht wird, so wie die EU-Kommission das im Augenblick plant, gibt es denn dann Ihr Geschäftsmodell eigentlich noch?
    von Hindenburg: Dann gibt es eben das andere Geschäftsmodell. Das Open-Access-Geschäftsmodell – wer auch immer das ist –, aber wo eine Finanzquelle natürlich immer noch existiert und dafür eben zahlt, dass der Artikel veröffentlicht wird. Nur der Leser muss dann nicht mehr bezahlen. In dem einen Fall wird am Anfang der Wertschöpfungskette bezahlt, im anderen am Ende der Wertschöpfungskette bezahlt. In beiden Fällen wird aber bezahlt, und wir sind offen für beides. Elsevier ist mittlerweile mit einem anderen Verlag zusammen der zweitgrößte Open-Access-Verlag in der Welt. Wir haben 450 Hefte, Fachzeitschriften, in denen man Open Access publiziert. In allen anderen Fachzeitschriften von Elsevier können Sie auch das wählen, Open-Access-Publikation. Wir sind da sehr dafür, wir betreiben das sogar mit. Wir sprechen mit der EU darüber, wie man das am besten bewerkstelligen kann. Es ist eben nicht einfach, das zu bewerkstelligen, diesen Übergang vom Abonnementsystem zum Open-Access-System, der muss gestaltet werden. Und da sind wir eine Partei, die mithilft.
    Biesler: Hannfried von Hindenburg, Sprecher des Wissenschaftsverlags Elsevier, über die Verhandlungen mit den Hochschulen über die Kosten wissenschaftlichen Publizierens. "Wem gehört das Wissen?" fragen wir auch morgen bei "Campus & Karriere" ab 14:05 Uhr im Deutschlandfunk. Dann diskutieren hier Befürworter und Gegner von Open Access. Morgen ab 14:05 Uhr, "Campus & Karriere" im Deutschlandfunk. Danke, Herr von Hindenburg!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.