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Streit ums Sitzenbleiben

Als ein "Relikt aus der pädagogischen Mottenkiste" hat die Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Ute Erdsiek-Rave, das Sitzenbleiben in der Schule bezeichnet. NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers von der CDU sieht es ähnlich, andere Bildungspolitiker hingegen verteidigen die "Ehrenrunde". Was halten aber diejenigen davon, die es direkt betrifft. Campus und Karriere hat sich am Steinbart-Gymnasium in Duisburg umgehört.

Von Kai Toss | 16.06.2006
    Am Duisburger Steinbart-Gymnasium bleibt jedes Jahr jeder 50. Schüler sitzen. Damit liegt die Schule leicht unter dem Bundesdurchschnitt: 2,9 Prozent der Kinder drehen jedes Jahr eine Ehrenrunde. Am Steinbart-Gymnasium sind die Lehrer geteilter Meinung, ob das Sitzenbleiben verzichtbar ist oder nicht. Daniela van den Dahle und Michael Wißing meinen:

    " In einigen Fällen ist das sinnvoll, in anderen Fällen nicht. Das hängt davon ab, wie der Schüler im Wiederholungsjahr arbeitet. Wenn ich von meinem Fach Latein ausgehe, ist es schon mehrfach sinnvoll, aber es muss die Motivation beim Schüler weiterhin vorliegen. "

    " Nur man muss auch wissen, dass wenn man dieses Instrument Sitzenbleiben abschafft, dass dann die Schüler, die diese mangelhafte Leistung erbracht haben, individuelle Förderung benötigen. Das ist in Klassen mit über 30 Schülern nur bedingt möglich. Das heißt, wir bräuchten dafür kleinere Klassen und mehr Lehrer."

    Würden Schülerinnen und Schüler den Unterricht und die Lehrer noch ernst nehmen, wenn sie nicht mehr sitzen bleiben könnten? Florian Schepke bezweifelt das:

    " Ich bin Referendar, habe also noch keine Erfahrung mit dem Thema Sitzenbleiben. Grundsätzlich denke ich, dass es notwendig ist, dass man die Chance hat, eine Konsequenz zu ziehen. Wenn man nur die Möglichkeit hat, durch freundliches Bitten Disziplin herzustellen, dann ist das schwierig. Man braucht am Schluss die Möglichkeit zu sagen: Eine gewisse Leistung und ein gewisses Verhalten ist nicht mehr angebracht und reicht nicht aus, um weiter zu kommen."

    Sein Vorgesetzter, der Schulleiter, sieht das ganz anders. Peter Michael Minnema will dafür sorgen, dass die Quote der Sitzenbleiber weiterhin sinkt, so wie es in den vergangenen Jahren bereits geschehen sei. Sein Konzept: Die Einführung des Faches " Lernen lernen " .

    " Ziel dieses Faches "Lernen lernen" ist es, den Schülern möglichst optimales Lernwergzeug zum Lernen an die Hand zu geben. Das heißt, dass sie lerntypspezifisch lernen können, also für sich ihren Lerntyp bestimmen können, ob sie mehr auditiv, visuell oder haptisch lernen können, danach Lernverfahren auswählen, Möglichkeiten kennen lernen, wie sie ihre Konzentration verbessern können, Möglichkeiten kennen lernen, wie sie ihre Arbeitsorganisation verbessern können - und diese Grundlagen werden dann im Fachunterricht wieder aufgegriffen und führen dazu, dass Schüler besser lernen können."

    Als zweites Instrument hat die Schule Beratungsgespräche für Schüler eingeführt, die sitzen geblieben sind. Denn häufig raube die Ehrenrunde den Schülerinnen und Schülern die Motivation, berichtet Rektor Minnema.

    " Um dieses Problem aufzufangen, haben wir seit drei Jahren hier an unserer Schule eine Wiederholer-Beratung eingerichtet. Das heißt dass alle Schülerinnen und Schüler, die ein Jahr wiederholen, hier in relativ kurzen Abständen von zwei, drei Wochen hier zur Beratung holen, die dann ein Gespräch darüber führen, wie es mit dem aktuellen Leistungsstand aussieht, wo sich Schwierigkeiten abzeichnen. Dadurch haben wir es auch geschafft, den Anteil derer, die noch einmal sitzen bleiben, deutlich zu reduzieren."

    Und die Schüler? Sie haben offensichtlich das Leistungsprinzip so stark verinnerlicht, dass sie sich eine Schule ohne Sitzenbleiben nicht mehr vorstellen können. Häufig ist zu hören, dass schlechte Schüler ausgesiebt werden müssten.

    " Schüler, die nicht das Leistungsniveau haben sollten doch besser eine Stufe wiederholen, um dann wieder Anschluss zu finden - anstatt sich mühsam durchzuquälen."

    " Teilweise finde ich es schon positiv, weil sonst schleppt man alle mit, auch die, die nicht so gut sind. Dann geht das Niveau noch weiter runter. Aber aus sozialen Aspekten ist das auch nachteilig. Ja, dass die Kinder deprimiert sind dadurch und dann keinen Ansporn mehr haben, weiterzulernen."

    " Ich denke schon, dass das sinnvoll ist. Es hat ja keinen Zweck, die Leute mitzuziehen und dann irgendwann ins kalte Wasser fallen zu lassen."