Donnerstag, 18. April 2024

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Streitgespräch über die Zeitumstellung
Gut für den Binnenmarkt, schlecht für Kinder und Tiere?

Brauchen wir die Zeitumstellung im März und Oktober? Man solle an der EU-Regelung festhalten, die sich positiv auf den Binnenmarkt auswirke, forderte CDU-Europapolitiker Werner Langen im Dlf. "Warum die Menschen mit etwas belasten, auf das sie verzichten können?", fragt hingegen Michael Theurer (FDP).

Werner Langen und Michael Theurer im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 16.08.2018
    Ein Zeiger einer Uhr ist zwischen 2 Uhr und 3 Uhr zu sehen.
    Ende März eine Stunde weniger Schlaf wegen der Zeitumstellung - wie sehr stört das den Biorhythmus der Menschen? (dpa / Daniel Naupold)
    Tobias Armbrüster: Mindestens zweimal in jedem Jahr ist es ein Gesprächsthema, die Zeitumstellung in Deutschland. Immer im Frühling eine Stunde vor, im Herbst eine Stunde zurück. Seit 1980 ist das schon so, seit fast 40 Jahren, und immer mehr Menschen sind davon genervt, und zwar so sehr, dass das Ganze inzwischen die Europäische Kommission erreicht hat. Die prüft inzwischen nämlich, ob die europaweite Zeitumstellung wieder abgeschafft werden soll. Und sie hat dazu eine Onlineumfrage gestartet, die heute enden wird.
    Wir wollen das noch ein bisschen ausführlicher besprechen mit zwei politischen Köpfen, die sich seit Jahren mit der Zeitumstellung beschäftigen und die dabei zu sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen gekommen sind. Da ist zum einen Werner Langen. Er sitzt für die CDU im Europaparlament und ist ein Befürworter der Zeitumstellung. Schönen guten Morgen!
    Werner Langen: Guten Morgen, Herr Armbrüster!
    Armbrüster: Und ebenfalls am Telefon begrüße ich Michael Theurer von der FDP, Fraktionsvize im Deutschen Bundestag. Er ist gegen Sommer- und Winterzeit. Guten Morgen!
    Michael Theurer: Ja, guten Morgen, Herr Armbrüster, ich kämpfe ja schon lange für die Abschaffung der Zeitumstellung.
    Rekordbeteiligung bei der Onlineumfrage
    Armbrüster: Herr Theurer, ich komme gleich zu Ihnen. Zunächst mal zu Herrn Langen. Wir haben es gerade gehört, massive Ablehnung in Deutschland gibt es schon jetzt gegen die Zeitumstellung. Außerdem, auch das haben wir gehört, Rekordbeteiligung bei dieser Onlineumfrage. Ist nicht allein das schon ein Signal, die Sommerzeit, Winterzeit, diese Zeitumstellung in Frage zu stellen?
    Langen: Die Zeitumstellung hat sich nach meiner Überzeugung bewährt. Wir haben sieben Monate im Jahr eine Stunde pro Tag mehr die Möglichkeit, bei entsprechender Witterung die Sonne zu genießen. Und die Untersuchungen in den USA, aber auch die Untersuchungen aus Europa geben sehr unterschiedliche Ergebnisse. Zum Beispiel die Unfallhäufigkeit ist im Winter erheblich höher, Depressionen beim Menschen sind bei Dunkelheit deutlich größer zu veranschlagen. Und insgesamt glaube ich, dass die Bilanz der jetzigen europaweiten Regelung richtig ist und gut ist und dass wir daran festhalten sollten. Nun gibt es allerdings jedes Jahr, vor allen Dingen im Frühjahr - im Herbst werden Sie das nicht so erleben -, im Frühjahr gibt es immer eine Kampagne, die ist professionell gestaltet, da habe ich nichts auszusetzen, die allerdings auch bei vielen Menschen vorhandene größere oder kleinere Gesundheitsprobleme verschärft. Und deshalb glaube ich, dass am Ende dieses Prozesses aus Gründen des europäischen Binnenmarkts die Kommission zu dem Urteil kommen wird, es gibt Vor- und Nachteile. In der Abwägung überwiegen die Vorteile für den europäischen Binnenmarkt.
    Theurer: Es ginge auch ohne Zeitumstellung
    Armbrüster: Herr Theurer, was sagen Sie?
    Theurer: Umfragen, eine haben Sie ja zitiert, zeigen, dass etwa 70 Prozent der befragten Menschen in Deutschland der Meinung sind, die Zeitumstellung sollte abgeschafft werden. Das ist ja zum einen eine unnötige Bürokratie, zweimal im Jahr das umzustellen. Aber entscheidend ist, dass etwa ein Viertel der Menschen - vor allen Dingen kleine Kinder und auch Tiere Probleme mit der Zeitumstellung haben - gesundheitliche Probleme damit verbunden sind. Und deshalb sagen wir von der FDP-Bundestagsfraktion, dass die Zeitumstellung abgeschafft werden sollte. Es ging auch ohne die Zeitumstellung, und deshalb, warum sollen wir die Menschen mit etwas belasten, auf das man auch verzichten kann.
    Armbrüster: Herr Langen, stimmt das nicht? Ging es nicht einfach auch ohne?
    Langen: Zeitumstellung relativ problemlos in modernen Zeiten
    Langen: Ich glaube, das hat sich bewährt. Natürlich kann man darüber nachdenken, die Kommission hat ja auch eine Frage vorgesehen in ihrer Umfrage, ob man generell die Zeitumstellung so ändert, dass immer die Sommerzeit gilt. Aber das hängt natürlich von den Regionen und von Mitgliedsstaaten ab.
    Wenn Sie, wie eben zitiert wurde, Finnland und Litauen als Beispiel dafür ansehen, dass die Zeitumstellung abgeschafft werden soll, dann haben Sie dort natürlich einen ganz anderen Sonnenstand im Sommer. Wenn im Norden von Finnland die Sonne überhaupt nicht mehr untergeht, rund um den Juni und Juli, dann ist das nicht vergleichbar mit unseren Regionen, und wir müssen sehen, auch in Deutschland gibt es ein Ost-West-Gefälle. Das hängt mit der einheitlichen Zeit zusammen. Die Sonne lässt sich ja nicht in ein exaktes Konzept pressen, wo überall zur gleichen Stunde die Sonne aufgeht, sondern, als sie erstmals in Deutschland eingeführt wurde, 1872, nach der Gründung des Deutschen Reiches, da hat man eine einheitliche Zeit zwischen Königsberg und Aachen gefunden. Und dass natürlich im Osten Deutschlands die Sonne mindestens eine halbe Stunde früher aufgeht als in dem Teil, in dem ich wohne, im Westen, das ist eine natürliche Unterscheidung. Und deshalb haben die Menschen auch unterschiedliche Empfindungen bezüglich der Umstellung. Aber was die Gesundheitsprobleme angeht, da bin ich der Überzeugung, die überwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen sind vorübergehender Natur. Die Menschen fliegen rund um den Erdball und haben, wenn sie dort Urlaub machen oder eine längere Zeit als einen Tag verbringen, ebenfalls Umstellungsprobleme. Die Zeitumstellung, glaube ich, ist technisch relativ problemlos in modernen Zeiten, und sie ist auch gesundheitlich verantwortbar. Das ist meine Meinung.
    Theuer: "Es gibt keine europäische Idealzeit"
    Theurer: Ich finde das unverantwortlich, mit den gesundheitlichen Problemen von Millionen von Menschen einfach so umzugehen, dass man sagt, na ja, die müssen sich da halt anpassen. Richtig ist zwar, dass viele Menschen eben auch -
    Langen: Ich glaube, so groß sind die nicht, Herr Kollege Theurer.
    Armbrüster: Herr Langen, ganz kurz, lassen Sie Herrn Theurer kurz ausreden.
    Theurer: Es gibt viele Menschen, die freiwillig in Urlaub fahren und da um die Welt jetten. Aber es gibt eben auch Menschen, die da sehr sensibel sind, insbesondere auch Familien mit kleinen Kindern, die eben ganz bewusst solche Reisen zwischen den Zeitzonen vermeiden, die aber durch den Gesetzgeber mit der Zeitumstellung gezwungen werden, die Zeit umzustellen. Und genau das Argument, das Herr Werner Langen gerade gebracht hat, dass eben im Osten Deutschlands die Sonne eine halbe Stunde früher aufgeht oder eben im Osten Polens sogar zwei Stunden früher, zeigt ja, dass die Zeitumstellung abgeschafft werden kann. Denn es gibt keine europäische Idealzeit, sondern da gibt es eben Verschiebungen und Unterschiede. Und vor dem Hintergrund ist es doch völlig klar, wir brauchen nicht die Umstellung in Sommer- und Winterzeit, sondern eine einheitliche europäische Zeit ohne Zeitumstellung ist das Beste, weil damit der Umstellungs-…
    Langen: Wir haben ja keine einheitliche europäische Zeit, Herr Kollege Theurer…
    Langen: "EU-Binnenmarkt braucht eine einheitliche Regelung"
    Armbrüster: Augenblick, Herr Langen, Sie kriegen gleich das Wort. Herr Theurer, machen Sie Ihren Satz noch kurz zu Ende.
    Theurer: Ja, ich bin der Meinung, dass eben die mit der Umstellung verbundenen vor allen Dingen gesundheitlichen Probleme hier schwerer wiegen, und die große Zahl der Bürgerinnen und Bürger, die sich an der Umfrage beteiligt haben, zeigt das Interesse. Ich hoffe, dass eine breite Mehrheit der Befragten jetzt sagt, Zeitumstellung abschaffen, und dass dann die EU-Kommission schnellstmöglich einen Gesetzesinitiativantrag vorlegt, der dazu führt, dass die Mitgliedsstaaten die Zeitumstellung endgültig abschaffen.
    Armbrüster: Herr Langen?
    Langen: Wir haben ja keine Einheitszeit in Europa. Das ist ein Missverständnis. Wir haben Zeitzonen. Die Zeitzonen sind eine nationale Entscheidung. Zum Beispiel ist Portugal in einer anderen Zeitzone als Nordspanien, obwohl sie die gleiche Höhe haben. Das ist die eine Seite, die Zeitzonen, nationale Entscheidungen.
    Theurer: Das spricht ja für mein Argument.
    Langen: Nein, überhaupt nicht.
    Theurer: Doch.
    Langen: Nein. Der europäische Binnenmarkt braucht eine einheitliche Regelung.
    Theurer: Die haben wir doch heute schon nicht, das haben Sie ja gerade gesagt.
    Langen: Und deshalb ist das sinnvoll.
    Theurer: Sie haben ja gerade gesagt, dass wir eben diese einheitliche Zeit nicht haben. Also, es ist möglich, die Zeitumstellung abzuschaffen.
    Langen: Ja. Das Gegenteil haben Sie gerade behauptet, Herr Kollege Theurer.
    Armbrüster: Also das heißt, wir können zumindest feststellen, es gibt schon jetzt, auch trotz einheitlicher Zeitumstellung in Europa unterschiedliche Zeiten, und Menschen in unterschiedlichen Ländern müssen damit leben, dass es unterschiedliche Helligkeitszeiten am Tag gibt. So können wir…
    Langen: Sieben Monate mehr Möglichkeiten
    Langen: Und unterschiedliche Uhrzeiten.
    Theurer: Selbstverständlich, weil es gibt ja auch Teile der Europäischen Union wie Guadeloupe und Martinique, die in ganz anderen Teilen der Welt liegen. Es gibt allerdings eine EU-Richtlinie, die die Zeitumstellung vorschreibt. Und das macht ja nun überhaupt keinen Sinn, denn die Zeitumstellung, ich hab es ja gerade gesagt, und das zeigen auch Studien, hat nachteilige Gesundheitsschäden.
    Langen: Es geht doch nicht um die generelle Einbindung der Zeitzonen. Da ist ein großes Missverständnis, Herr Kollege Theurer. Es geht darum, ob wir für sieben Monate im Jahr die Stunde zusätzlich an Möglichkeiten für Sonnenschein, Freizeitgestaltung, Aktivitäten für alle möglichen Dinge nutzen können. Darum geht es. Es geht darum, dass sieben Monate im Jahr die Sonnenbescheinung in Europa einheitlich eine Stunde länger möglich ist, und zwar an normalen Arbeitstagen.
    Armbrüster: Und genau diese Frage, Herr Langen, würde ich gern an Herrn Theurer stellen. Was sagen Sie dazu? Wollen Sie den Leuten diese eine Stunde, zum Beispiel diese schöne Stunde abends im Sommer wieder wegnehmen?
    Theurer: Kinder und Tiere aus dem Rhythmus
    Theurer: Wir nehmen dafür in Kauf, dass eben Menschen mit Schlafstörungen Gesundheitsprobleme bekommen, dass Kinder aus dem Rhythmus kommen, auch die Tiere. Diese zusätzliche Stunde abends gäbe es auch morgens. Also von dem her, in Skandinavien - Entschuldigung, wenn ich den Satz noch zu Ende führen darf -, in Skandinavien, Sie haben es gerade erwähnt, auch im Norden Deutschlands ist es sowieso wesentlich länger hell auch in den Abendstunden.
    Also vor dem Hintergrund, die Optimallösung gibt es nicht für alle, und ganz klar, ich persönlich nutze das im Sommer auch gern abends. Ich glaube aber, wenn es gesundheitliche Probleme gibt mit der Zeitumstellung, wiegen die höher. Und außerdem ist es eine unnötige Bürokratie, und von dieser Bürokratie wollen wir die Menschen entlasten und die Zeitumstellung abschaffen.
    Eine Frau schläft im Bett, während ein Wecker neben ihr auf dem Nachttischränkchen steht.
    Menschen mit Schlafstörungen leiden mehr unter der Zeitumstellung. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Armbrüster: Was meinen Sie denn, sollte – Herr Langen, ganz kurz noch an Herrn Theurer, sollte jedes Land in der EU wieder die freie Wahl bekommen, Sommer- und Winterzeit einzuführen oder es zu lassen?
    Theurer: Ich finde, die Einheitlichkeit des europäischen Binnenmarktes spricht dafür, dass es eine einheitliche Regelung gibt, und deshalb streben wir an, dass die Zeitumstellung in der ganzen europäischen Union abgeschafft wird.
    Armbrüster: Und wenn es diese Einheitlichkeit nicht geben würde, könnte Deutschland dann auch vorpreschen?
    Theurer: Deutschland könnte vorpreschen. Ich persönlich und auch die FDP-Bundestagsfraktion sind gegen einen Flickenteppich, deshalb hoffen wir, dass die Befragung der Europäischen Kommission bei den Bürgerinnen und Bürgern so klar ausfällt, dass es ein Handlungsauftrag an die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten gibt, die Zeitumstellung einheitlich abzuschaffen.
    Langen: "Die meisten Menschen haben nur ein, zwei Tage ein Problem"
    Armbrüster: Herr Langen, was sagen Sie, was sollte aus dieser Befragung folgen?
    Langen: Einmal zu den gesundheitlichen Problemen. Die sind da, aber die meisten Menschen, das weiß ich aus vielfältiger Erfahrung und vielen Gesprächen, haben damit nur ein, zwei Tage Problem, dann ist das erledigt. Zweitens, die Entscheidung trifft nicht die EU-Kommission. Die EU-Kommission muss eine Bewertung vornehmen, das hat das Parlament mit großer Mehrheit beschlossen. Und dann –
    Theurer: Das habe ich ja auch nicht gesagt, dass das die EU-Kommission entscheidet.
    Langen: Bitte, darf ich auch mal ausreden? Die EU-Kommission macht einen Vorschlag, und dann entscheiden das Parlament und der Ministerrat. Im Parlament gab es eine deutliche Mehrheit gegen die Veränderung, sondern für die jetzige Regelung. Ob sich das ändert, wenn neue Ergebnisse vorliegen, weiß ich noch nicht. Aber die EU-Kommission hat selbst gesagt, die Befragung ist ein Teil, nicht mehr und nicht weniger, und dann muss der Ministerrat noch zustimmen. Und hier gibt es bisher in den Mitgliedsstaaten nur drei oder vier, die eine Änderung wollen. Also, dass kurzfristig etwas geändert würde, die Hoffnung ist falsch. Das kann allenfalls nach der Neuwahl des Europäischen Parlaments im nächsten Jahr erneut angepackt werden. Vorher, Herr Kollege Theurer war ja lange genug Mitglied im Europaparlament, der weiß, wie das läuft, kann man auch mit den Argumenten Deutschlands oder der FDP in Deutschland keine Mehrheiten finden. Das ist die Realität.
    Armbrüster: Wir werden dieses Thema weiter im Auge behalten müssen. Werner Langen, Michael Theurer, ich danke Ihnen vielmals, dass Sie sich die Zeit genommen haben heute Morgen für dieses Streitgespräch zur Sommer- und Winterzeit. Heute, an diesem Donnerstag endet eine EU-weite Onlinebefragung zu diesem Thema. Der CDU-Europaparlamentarier Werner Langen war das, und Michael Theurer, Fraktionsvize der FDP im Bundestag. Vielen Dank noch einmal an Sie beide.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.