Donnerstag, 28. März 2024

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Streitschrift "Anti-Pegida"
"Alle vernünftigen Leute haben sich von Pegida distanziert"

Pegida zieht noch immer fast 5.000 Anhänger in Dresden auf die Straße. Er glaube zwar, dass die Bewegung eingehe, sagte Stefan Weidner im Deutschlandfunk. Mit seiner Streitschrift möchte er aber dennoch zu einem differenzierten Blick auf den Islam einladen, denn mit Pegida verschwinde nicht das Gedankengut.

Stefan Weidner im Gespräch Doris Schäfer-Noske | 01.03.2015
    Sie wollen "das Volk" sein: Pegida-Demonstranten am 22. Dezember 2014 in Dresden
    Sie wollen "das Volk" sein: Pegida-Demonstranten am 22. Dezember 2014 in Dresden (dpa / picture alliance / Kay Nietfeld)
    Doris Schäfer-Noske: War Pegida nur ein Spuk, eine Bewegung, die diesen Winter Tausende Menschen gegen die Islamisierung des Abendlandes auf die Straße gebracht hat und Tausende Gegendemonstranten, die dazu geführt hat, dass sich Politiker zum Islam als Teil Deutschlands bekannt haben, und die vor einem Monat begonnen hat, sich selbst zu zerlegen, als sich Mitbegründer Lutz Bachmann nach einem Skandal um eine Hitler-Parodie zurückzog? Ist dieser Spuk also nun vorbei? Zwar ist Bachmann inzwischen an die Spitze der Bewegung zurückgekehrt und die Zahl der Menschen, die in Dresden für Pegida demonstrieren, ist mit 4800 am vergangenen Montag immer noch erheblich. Aber in westdeutschen Städten liegt die Zahl der Pegida-Gegner deutlich über der der Anhänger.
    - Stefan Weidner hat jetzt eine Anti-Pegida-Streitschrift verfasst, die morgen erscheint. Und er ist jetzt hier bei mir im Studio. Guten Tag, Herr Weidner.
    Stefan Weidner: Guten Abend.
    Schäfer-Noske: Herr Weidner, warum bleibt denn Pegida für Sie in jedem Fall ein Thema?
    Weidner: Die Pegida-Bewegung als solche geht, glaube ich, gerade ein, und das ist gut so. Aber das Gedankengut, das die Pegida-Anhänger vor sich hergetragen haben, symbolisiert im Oberbegriff der angeblichen Islamisierung des Abendlandes, dieses Gedankengut beschäftigt uns schon seit geraumer Zeit, spätestens seit den Anschlägen vom 11. September 2001. Und es wird auch nach wie vor populär sein. Und was mich gewundert hat und weswegen ich das überhaupt geschrieben habe, ist nicht so sehr, die Leute da auf der Straße anzugreifen, sondern weil jeder, die ganze offizielle Politik, der Mainstream der Medien, alle vernünftigen Leute haben sich eigentlich von Pegida distanziert. Und gleichzeitig stellt man fest, dass ein Buch wie Sarrazins "Deutschland schafft sich ab", was ja eine konkret antiislamische Tendenz hat, sich mehrere hunderttausend Mal verkauft hat. Und da habe ich mir gedacht, irgendwas stimmt da nicht.
    Schäfer-Noske: Wo liegen denn die Ursachen für die Pegida-Bewegung?
    Weidner: Pediga zehrt von der allgemeinen Stimmung
    Weidner: Ich glaube, dass Pegida von einer allgemeinen Stimmung zehrt, die große Teile der Bevölkerung erfasst hat. Statistiken sagen, dass wir einen Bevölkerungsanteil von etwa 50 Prozent haben, die islamfeindlich oder islamkritisch mit so einer leichten rassistischen Tendenz eingestellt sind. Und Pegida schöpft dieses Potenzial ab und trägt es auf die Straße. Das Wichtige sind aber nicht die paar tausend Leute, die bei Pegida demonstrieren, sondern die Gedanken als solche. Ich will auch niemandem persönlich Rassismus vorwerfen, sondern wir müssen unsere Strukturen, die Art unseres Denkens über den Islam hinterfragen. Wir dürfen den Islam nicht mehr als einen monolithischen Block sehen. Ein Phantasma ist es zu glauben, der Islam wolle die Welt erobern. Natürlich gibt es ein paar Spinner unter den Muslimen, auch in der islamischen Welt und bei uns, die das durchaus denken mögen. Aber diese Gefahr ist nicht wirklich real gegeben. Und da zu denken und auch zu fragen, woher kommt dieser Gedanke überhaupt, das ist eines der Ziele meines Buchs.
    Schäfer-Noske: Und was hat da Ihre Analyse ergeben zum Thema Islam-Kritik?
    Weidner: Na ja. Wie gesagt: Das sind teilweise mittelalterliche Vorurteile, dann neuzeitliche Vorurteile. Man sagt immer, der Islam kennt keine Aufklärung. Auch das ist natürlich ein Propagandagerücht. Es gibt sehr, sehr viele aufklärerische Bewegungen im Islam. Die Frage ist, wie können sie sich in dieser komplexen politischen Situation durchsetzen. Die Gedanken selber sind dann kulminell. In den 70er-Jahren der Kalte Krieg hat eine sehr große Rolle gespielt. Es gibt sehr viele ideologische Gründe. Zum Beispiel ein prononcierter Säkularist oder Laizist wird gegen den Islam sein, aber natürlich auch ein Kommunist, ein Linker. Und all diese ideologischen Vorurteile fließen in diese Pegida-Bewegung ein, was man daran sieht, dass die Leute sehr, sehr heterogen sind. Man weiß eigentlich gar nicht, was wollen sie, sie kommen aus allen möglichen Ecken.
    Schäfer-Noske: Was müsste denn jetzt geschehen? Was ist das Ziel? Wollen Sie jetzt die sogenannten Islam-Kritiker umstimmen, oder was wollen Sie mit Ihrer Streitschrift?
    Weidner: Kritik auf einem gewissen Mindestniveau
    Weidner: Nein, ich glaube nicht, dass das geht. Der Islam, oder sagen wir mal differenzierter, Elemente des Islam verdienen natürlich wie alles Mögliche auf dieser Welt eine gründliche Kritik. Nur müssen wir das auf einem gewissen Mindestniveau tun. Wir können nicht einfach hingehen und Übersetzungen des Korans nehmen und dann sagen, da steht aber das und das drin, und völlig ignorieren, wie die Muslime selber damit umgehen. Mein Ziel ist eigentlich zu zeigen, wie wir in so Gedankenfallen, in so logische Fallen tappen, wenn wir uns mit dem Islam beschäftigen. Und wie wir eventuell es schaffen, aus diesem Denken herauszukommen, und damit einer differenzierten Kritik am Islam, aber natürlich auch an uns selber, an unserer Sicht darauf fähig werden.
    Schäfer-Noske: Können Sie da vielleicht zum Abschluss noch kurz ein Beispiel nennen?
    Weidner: Na ja, ganz einfach. Wie gesagt: Der Islam will keine Welteroberung als solche. Oder ein Klischee sagt, der Islam habe mit dem Schwert die Welt erobert. Und das ist Unsinn, weil ein Großteil des Islams ist mit Händlern und über Sufis, das heißt über Mystiker, verbreitet worden. Und wenn man nun sagt, der Islam und das Schwert, nur weil Mohammed tatsächlich in seiner Anfangszeit auch kämpferisch war, dann verzerrt man das Gesamtbild des Islams, weil man die Geschichte ignoriert und reduziert auf ein kleines Anfangsstadium des Wirkens von Mohammed.
    Schäfer-Noske: Das war der Publizist Stefan Weidner. Morgen erscheint seine Anti-Pegida-Streitschrift.
    Weidner: Exklusiv bei Amazon.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.