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Strengere Vorschriften für den Gentechnik-Anbau in Europa

Die Industrie verwendet die Gentechnik wegen fehlender Akzeptanz nur dort, wo sie nicht kennzeichnungspflichtig ist. Wenn eine neue Saatsorte zur Zulassung anstand, scheiterte dies meist am Widerstand von Gentechnik-Gegnern in einzelnen Ländern. Sie sollen künftig mehr Entscheidungs-Freiraum bekommen.

Von Mirjam Stöckel | 06.07.2011
    Die Gen-Kartoffel Amflora und der Gen-Mais MON810: Sie dürfen heute auf Europas Feldern wachsen. Beschlossen hat das die EU-Kommission, einheitlich für ganz Europa. Länder, die das nicht wollen, müssen sich auf Schutzklauseln berufen, die aber nur in Ausnahmen greifen. Deutschland macht davon zur Zeit beim Genmais Gebrauch. Dass die Kommission die Grundsatzentscheidung fällt, schreiben die Verfahrensregeln vor, wenn sich die Mitgliedsstaaten nicht einigen können. Und das passiert praktisch immer, wenn es um Gentechnik in Europa geht. Seit Jahren schon. So kann es mit der Entscheidung über den Anbau von Gen-Pflanzen aber nicht weitergehen, finden die EU-Abgeordneten. Sie haben deshalb gestern verlangt,

    "Dass diese Verantwortung auf die Mitgliedsstaaten übertragen wird und jeder Staat für sich entscheiden muss: Will er diese GVO-Pflanzen in die Umwelt bringen oder will er das nicht","

    sagt Jo Leinen von der SPD. Für ihn und die übrigen Abgeordneten ist klar: Nationale Anbauverbote müssen künftig gut gerechtfertigt werden. Doch was genau ist ein guter Grund, wenn ein Staat Gentechnik von den Feldern verbannen will? Dieses Detail ist politisch besonders umstritten - denn die EU-Kommission findet: Die Angst vor Umweltgefahren ist keine akzeptable Begründung. Schließlich würden Umweltrisiken einer Gen-Pflanze ohnehin durch die Vorab-Untersuchung der EU-Prüfbehörde EFSA ausgeschlossen. Die Abgeordneten dagegen wollen Umwelt-Bedenken ausdrücklich als Verbotsgrund akzeptieren.

    ""Und zwar Umweltbedenken ergänzend zu den Untersuchungen, die die Prüfbehörde EFSA vorher gemacht hat", sagt Corinne Lepage von den Liberalen. "Es sollen außerdem sozioökonomische Verbots-Begründungen gelten und solche, die mit landwirtschaftlichen Arbeitsweisen zusammenhängen. Die Liste ist ziemlich lang."

    Wenn es nach dem Parlament geht, dürfen Mitgliedsstaaten den Genpflanzen-Anbau zum Beispiel dann verbieten, wenn sie die Artenvielfalt in ihrer Region bedroht sehen. Denn solche Risiken auf lokaler Ebene, also direkt vor Ort, könne die zentrale EU-Prüfbehörde mit Sitz in Parma gar nicht einschätzen. Doch nicht alle Abgeordneten sind zufrieden mit dem gestrigen Beschluss: Erst grünes Licht von der EFSA, dann ein doch Verbote im nationalen Alleingang - das sorgt für einen Flickenteppich an Vorschriften. Und es schade dem gemeinsamen Markt in Europa.

    "Wir erlauben der EFSA faktisch weiterhin die Zulassung für den Binnenmarkt von genveränderten Organismen, geben aber gleichzeitig den Mitgliedsstaaten Rechtsmittel an die Hand, von diesen Zulassungskriterien abzuweichen","

    sagt Holger Krahmer von der FDP.

    ""Wir rückabwickeln den Binnenmarktsgedanken aus einen Anti-Technologie-Reflex."

    Ähnliche Kritik haben auch einige Regierungen schon geäußert, darunter Deutschland. Vor ein paar Tagen erst wiederholte Guido Perruzo, der deutsche Botschafter in Brüssel:

    "Unsere inhaltliche Position hat sich nicht verändert. Wir haben den Vorschlag bislang abgelehnt, das machen wir weiter. Wir haben Bedenken, die sich auf die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt beziehen und Bedenken, die sich auf die WTO-Regelungen beziehen."

    Denn die große Sorge ist: Nationale Anbauverbote für Gen-Pflanzen könnten gegen die Regeln der Welthandelsorganisation verstoßen und einen Streit heraufbeschwören - mit der großen Gentechnik-Nation USA beispielsweise. Das aber will man nicht riskieren. Daher ist die Diskussion der EU-Staaten ins Stocken geraten. Erst im September wird weiterberaten. Weil es aber ohne die Zustimmung der Regierungen keine neue Regelung geben kann, bedeutet das: Vor 2012 wird Deutschland sicher nicht selbst entscheiden dürfen, welche Gen-Pflanzen hierzulande auf die Felder dürfen.