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Ströbele: NPD wird "über Jahre möglicherweise ins Licht der Öffentlichkeit" gezogen

Der Grünen-Innenpolitiker Hans-Christian Ströbele warnt vor einer Aufwertung der NPD durch das Verbotsverfahren: "Es wird wie beim letzten Mal auch eine Solidarisierung in der eigentlich doch sehr zerstrittenen rechten Szene einsetzen mit der NPD." Beweise für terroristische Umtriebe der gesamten Partei kenne er bisher nicht.

Hans-Christian Ströbele im Gespräch mit Sandra Schulz | 05.12.2012
    Sandra Schulz: Mitgehört hat Hans-Christian Ströbele, für Bündnis 90/Die Grünen Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages und jetzt am Telefon. Guten Tag!

    Hans-Christian Ströbele: Ja guten Tag.

    Schulz: Sie warnen vor einem zweiten Anlauf, waren vor Jahren auch schon gegen den ersten. Warum?

    Ströbele: Na ja, das ganze Prozedere erinnert mich schon an die Situation vor zehn Jahren oder elf, zwölf Jahren. Da war das ja so ähnlich. Da war der damalige Innenminister Schily zunächst ja auch dagegen, auch ganz überwiegend im Bundestag gab es Bedenken. Und dann setzte so ein Sog ein und dann waren plötzlich alle dafür und man hat das dann gemeinsam gemacht. Drei Verfassungsorgane haben diesen Antrag eingereicht, aber das Bundesverfassungsgericht hat sich dadurch nicht besonders beeindrucken lassen. Aber es gibt für mich eine ganze Reihe inhaltlicher Gründe. Wissen Sie, auf der einen Seite halte ich es für sehr fatal, wenn man gerade jetzt im Wahljahr der NPD nicht nur die Möglichkeit gibt, mit einem solchen Verfahren auch erhebliche Propaganda zu machen, sich als Märtyrer hinzustellen, sondern es wird wie beim letzten Mal auch eine Solidarisierung in der eigentlich doch sehr zerstrittenen rechten Szene einsetzen mit der NPD. Jeder, der selbst jetzt Vorbehalte gegenüber der NPD in der rechten Szene hat, wird sich geradezu gezwungen sehen, die Reihen zu schließen. Außerdem ist es ja nicht so, dass nach einem Verbot etwa die NPD-Kader oder gar die Mitglieder nicht mehr da sind und auch die rassistische Gesinnung ist ja weiter da. Die kommen ja nicht ins Gefängnis, die Leute, sondern die werden sich neu orientieren, einige tun das jetzt schon. Und ein kleiner Teil wird auch in die Illegalität gehen und deshalb sehr viel mehr verschwinden und weniger beobachtet werden können.

    Schulz: Einen Moment, Herr Ströbele. Über die Gefahren im Einzelnen würde ich gerne gleich noch mit Ihnen sprechen. Ich würde gerne auf ein Argument kommen, das für viele Kritiker auch im Vordergrund steht. Die NPD wird im Moment ja als legale Partei oder als nicht verbotene Partei mit Steuergeldern unterstützt. Es fließt im Moment Schätzungen zufolge pro Jahr mehr als eine Million an eine rechtsextreme Partei. Ist dieser Zustand für den Rechtsstaat nicht unerträglich?

    Ströbele: Das ist für mich auch unerträglich. Natürlich möchte ich das auch nicht. Auf der anderen Seite muss man sehen: Die NPD leidet nicht nur an Mitgliederschwund und an Wählerzustimmung - bei der letzten Wahl etwa in Nordrhein-Westfalen ist sie unter ein Prozent geblieben -, sondern sie leidet auch an erheblichen finanziellen Schwierigkeiten und manche reden ja sogar davon, dass sie da kurz vor der Insolvenz ist. Ich will das auch nicht! Man müsste versuchen, rechtliche Mittel zu finden, mindestens die Zahlungen an diese Partei einzuschränken, wenn nicht gar ganz auszuschließen, weil auch ich sie übrigens für verfassungswidrig halte. Es ist eine rassistische Partei! Nur für ein Verbotsverfahren und für ein erfolgreiches Verbot muss ja mehr dazukommen. Das fordert sowohl das Bundesverfassungsgericht, vor allen Dingen aber fordert auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte das.

    Schulz: Aber muss der Rechtsstaat nicht, alleine um nicht den Eindruck von Tatenlosigkeit zu erwecken, immer wieder auch seine Optionen prüfen und dann im Zweifelsfall auch nach Karlsruhe ziehen?

    Ströbele: Ja, natürlich muss er das prüfen. Aber die Frage, ob man einen solchen Antrag stellt, ist nicht nur eine juristische Frage, sondern das ist auch ein politisches Problem und das muss politisch abgewogen werden. Und da habe ich erhebliche Bedenken und Skepsis, ob das der richtige Weg ist. Das hat schon mal dazu geführt, dass die NPD durch das letzte Verfahren durch die Propagandamöglichkeiten erheblich verstärkt wurde und stärker geworden ist und sich richtig als Sammelbecken der Rechtsradikalen, der Rechtsextremen, profilieren konnte. Und ich fürchte, das wird jetzt wieder geschehen, weil sie wird damit weitgehend aus der Versenkung über Jahre möglicherweise ins Licht der Öffentlichkeit gezogen.

    Schulz: Wenn wir es aber umgekehrt sehen, wenn wir unterstellen, Ihre Mahnungen fänden jetzt Gehör und das Verbotsverfahren, das sich jetzt abzeichnet, das würde doch abgeblasen, wäre das nicht der noch größere Triumph für die NPD?

    Ströbele: Na ein Verbotsverfahren gibt es ja noch nicht. Das ist ja auch einer der Mängel, den die Grüne-Fraktion jetzt beklagt hat. Wir haben letzte Woche einen Beschluss gefasst in der Fraktion, dass wir endlich mal die Unterlagen sehen wollen. Man verlangt von den Abgeordneten des Deutschen Bundestages, das heißt auch von uns und von mir, dass ich mir ein Bild über die Chancen mache, ohne dass ich die Unterlagen bis heute sehen konnte. Das heißt, wir wollen als Erstes mal, um uns letztendlich ein Urteil bilden zu können, das gesamte Material sehen, selber prüfen können und uns eine Meinung bilden können. Erst dann können wir ja sagen, heben wir die Finger ja oder nein. Und für mich gibt es natürlich auch eine Grenze. Die Grenze wäre da, wenn wirklich belegbar ist, dass die NPD tatsächlich etwa eine terroristische Gruppierung wie den Nationalsozialistischen Untergrund unterstützt hat oder in anderer Weise strafrechtlich verwickelt ist. Dann geht kein Weg daran vorbei.

    Schulz: Da gibt es doch aber Hinweise darauf, dass zwei Beschuldigte aus dem NSU-Umfeld auch NPD-Funktionäre gewesen sein sollen. Reicht Ihnen das nicht?

    Ströbele: Ja, natürlich! Es gibt sicher auch Mitglieder, die an Gewalttaten beteiligt gewesen sind. Nur die NPD als solche, das heißt Landesverbände oder Vorstände müssen eindeutig sich auf die Seite der NSU gestellt haben und die unterstützt haben. Das heißt, es müsste beispielsweise nachweisbar sein, dass auf einer Mitgliederversammlung oder auf einer Funktionärsversammlung der NPD etwa in Thüringen beschlossen worden ist, dass man bestimmte Gewaltaktivitäten unterstützt oder Gewalttäter unterstützt. Dafür sehe ich bis heute keine Belege. Ich bin ja selber Mitglied des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der das alles aufklären soll. Dazu habe ich bisher keine Beweise. Wenn das sein sollte, dann sähe die Situation anders aus. Aber vor allen Dingen wollen wir nun endlich mal das Material haben. Das muss auch der öffentlichen Diskussion zur Verfügung gestellt werden. Wir können da nicht auf die Innenminister vertrauen, wir sind beim letzten Mal schon reingefallen dabei.

    Schulz: Warum haben Sie das Material bisher denn noch nicht?

    Ströbele: Ja, da müssen Sie den Bundesinnenminister fragen. Den fragen wir auch intensiv. Wir haben das auch immer wieder gefordert. Bisher haben wir das noch nicht und es ist an der Zeit, dass auch die Abgeordneten, nicht nur die Beamten und die Innenminister, möglicherweise auch die Ministerpräsidenten der Länder, das Material zur Verfügung gestellt bekommen und wir nicht.

    Schulz: Wenn es jetzt dabei bleibt – das zeichnet sich ja ab bei dem Verfahren -, dass die Initiative allein aus dem Bundesrat kommt und eben nicht von mehreren Verfassungsorganen, welches Signal wäre das?

    Ströbele: Das wäre erst mal eine Meinungsbildung der Bundesländer. Die ist wichtig, aber wir hören ja auch immer wieder aus den Bundesländern erhebliche Bedenken. Die werden jetzt etwas zugeschüttet, weil man Geschlossenheit zeigen will. Aber Sie dürfen ja nicht vergessen: Auch die Fachleute in mehreren Verfassungsschutzämtern haben sich eigentlich dagegen ausgesprochen. Das heißt, das wird jetzt ein bisschen zugedeckt, aber bevor nun die Bundesregierung – ich kann natürlich nicht für die sprechen, aber ich kann für einen Teil der Abgeordneten des Deutschen Bundestages sprechen -, bevor wir uns eine endgültige Meinung bilden, müssen wir die Sachen auf dem Tisch haben und das dann selber erwägen. Und dann bleibt immer noch ein Risiko. Uns wird zwar versprochen, dass diese Informationen und die Gründe, die Belege, die bisher vorgelegt worden sind, für ein mögliches NPD-Verbotsverfahren, dass die ohne, dass dabei V-Leute irgendeine Rolle gespielt haben, zustande gekommen sind. Aber Zweifel bleiben dabei, zumal wir ja wissen, dass bis heute nicht etwa alle V-Leute, die in der NPD tätig waren, nun auf eine Liste gekommen sind und allen Verfassungsschutzbehörden oder dem Bundesinnenminister bekannt gegeben worden sind.

    Schulz: Hans-Christian Ströbele, grüner Rechtspolitiker und hier heute in den "Informationen am Mittag" im Deutschlandfunk. Vielen Dank Ihnen!

    Ströbele: Ja, auf Wiedersehen.

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