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Strohmänner, Scharlatane und Spekulanten

Die Neue Heimat war Europas größter Wohnungsbau-Konzern. Bis zum 8. Februar 1982: An diesem Tag stürzt der gewerkschaftseigene Bauriese wie ein Kartenhaus zusammen. John Siegfried Mehnert - ehemaliger Pressesprecher - ist der Mann, der das Imperium zu Fall bringt. Nach seiner Entlassung geht er Gerüchten über private Machenschaften der Manager nach - und wird fündig.

Von Jens P. Rosbach | 08.02.2007
    Schneider
    "Der Fall Neue Heimat ist in der deutschen Wirtschaftsgeschichte einmalig, einzigartig, er ist beispiellos ein Dokument frühkapitalistischer Rücksichtslosigkeit. "

    Grünbeck
    "Was hier geschehen ist, ist der Verrat an der Basis des Deutschen Gewerkschaftsbundes! Der DGB hat den Anspruch auf soziale Gerechtigkeit mit Füßen getreten und das Vertrauen in die gemeinnützige Wohnungswirtschaft schwer erschüttert! "

    Lambsdorff
    "Niemals, meine Damen und Herren, ist der Volksmund so eindrücklich bestätigt worden in der Steigerungsformel: Eigennutz, Gemeinnutz, Nichtsnutz! "

    Rund 400.000 Wohnungen, fast 6000 Beschäftigte, mehr als 100 Gesellschaften im In- und Ausland - die Neue Heimat war einst Europas größter Wohnungsbau-Konzern. Bis zum 8. Februar 1982: An diesem Tag stürzt der gewerkschaftseigene Bauriese plötzlich wie ein Kartenhaus zusammen.

    Rau
    "Ich warne davor, wegen billiger und vordergründiger Wahlkampfzwecke, die beinharte Kampagne gegen die deutschen Gewerkschaften fortzusetzen, die begonnen hat. "

    Mayr
    "Wir fordern ein Ende - das kann man nicht anders sagen - des schamlosen Schmierentheaters und wir fordern die Rückkehr zu rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Prinzipien unserer Verfassung!"

    Rückblick, 1926: Die Gewerkschaften gründen die Gemeinnützige Kleinwohnungsbau-Gesellschaft Groß-Hamburg - weitere Gesellschaften folgen. Sie sollen als Gegenmacht zum kapitalistischen Unternehmertum wirken und eine "Gemeinwirtschaft" etablieren. 1933 enteignen die Nationalsozialisten die Gewerkschaften und benennen kurz darauf die beschlagnahmten Wohnungsgenossenschaften in "Neue Heimat" um. 1952 erhalten die Gewerkschaften ihren Besitz zurück. Fortan bekämpft die Neue Heimat mit Billig-Angeboten die Wohnungsnot im kriegszerstörten Westdeutschland. Bald schon wird sie zum Großkonzern. Die Genossenschaft errichtet in den 60er und 70er Jahren komplette Siedlungen und investiert Millionen im Ausland. Sie wächst und wächst und wächst.

    Mehnert
    "Das hat damit zu tun, dass man immer Weltmeister sein will. Hier wollten die Gewerkschaften die Größten der Welt sein. Sie wollten wirklich zeigen, dass sie die Raffiniertesten und Klügsten sind: Jetzt erobern wir die Welt. Und davon waren auch alle begeistert. Also das war ganz toll, dass die Gewerkschaften zeigen wollten, Know-how nannten sie das dann, das war abenteuerlich. "

    John Siegfried Mehnert ist der Mann, der das Neue-Heimat-Imperium 1982 zu Fall bringt. Wie kommt es dazu? Mehnert arbeitet als Pressesprecher in der Hamburger Unternehmens-Zentrale - doch nach vier Jahren fällt er in Ungnade und wird entlassen. Der Geschasste beginnt nun wütend, seine ehemaligen Chefs unter die Lupe zu nehmen. Denn seit Jahren gibt es Gerüchte über private Machenschaften der Manager. An einem Samstag schließlich dringt Mehnert, der nach wie vor Zugang zur Zentrale hat, in ein Vorstandsbüro ein.

    Mehnert
    "Ich bin dann in ein Zimmer geraten, das ich schon vorher kannte, und wo ich auch wusste, wo die Schlüssel waren. Und habe dann auf Verdacht, auf der Suche, eine Tür geöffnet - und da lag der Schatz. "

    Der Schatz hinter der Schranktür: brisante Akten, die belegen, dass die Führungsriege des Gewerkschaftskonzerns zum Teil in die eigene Tasche wirtschaftet.

    Mehnert
    "Eigentlich war es ein Jubelschrei. Ich war so etwas von... ja, es war ein große Freude... Ich hab die Sachen dann kopiert. So dass ich mit dem Aktenordner sogar raus gelaufen bin aus dem Zimmer. Ich war so überrascht, so erfreut und überrascht, dass ich prompt jemandem hätte in die Arme laufen können. "

    In den Papieren steht schwarz auf weiß: Der Vorstandsvorsitzende der Neuen Heimat, Albert Vietor, und weitere Manager haben über Strohmänner Privatfirmen betrieben. Firmen, die seit Jahren millionenschwere Aufträge von der Neuen Heimat erhalten. Geld der Genossenschaft fließt so auf geheime Konten der Manager. Etwa durch die "Teletherm".

    Mehnert
    "Die Teletherm war ein Unternehmen, das die Heizwärme in die Siedlungen schickte, also die Siedlungen heizte. Und es stellte sich heraus, dass dieses Unternehmen in der Hand der Vorstandsmitglieder war. Dass also die Bosse selber bei den Mietern ihrer Wohnungen abkassierten, das war das Ungeheuerliche. "

    John Siegried Mehnert bietet das explosive Material den Magazinen Stern und Spiegel an. Der Spiegel greift zu. Am 8. Februar 1982 titelt das Blatt: "Die dunklen Geschäfte von Vietor und Genossen". Die illegalen Deals der Manager mit Heizwärme - und weitere mit Antennenanlagen, Tankstellen und Grundstücken werden öffentlich. Die Bundesrepublik wird von einem Skandal erschüttert. Der Ruf der Gemeinwirtschaft ist ruiniert.

    "Der Fall Neue Heimat ist in der deutschen Wirtschaftsgeschichte einmalig, einzigartig, er ist beispiellos ein Dokument frühkapitalistischer Rücksichtslosigkeit. "

    So bilanziert später Bundesbauminister Oscar Schneider, CSU, im Deutschen Bundestag. Die Gewerkschaft sieht sich gezwungen, sofort auf die Enthüllungen zu reagieren: Vier Tage nach dem Spiegel-Bericht ist der Vorstand der Neuen Heimat entlassen bzw. beurlaubt. Doch nun beginnt ein jahrelanges Abstreiten und Abwiegeln der Verantwortlichen. Ex-Vorstandschef Albert Vietor etwa zeigt sich bis zu seinem Tod, der ihn zwei Jahre später ereilt, uneinsichtig.

    "Es ist unwahr, dass durch mich der Neuen Heimat ein Schaden zugefügt worden ist. "

    Die Öffentlichkeit rätselt: Wer hat alles von den Machenschaften im Gewerkschaftskonzern gewusst? Und wer hat absichtlich weggeschaut? In die Schusslinie gerät auch der Aufsichtsrat der Neuen Heimat, der den gerissenen Vorstand zu kontrollieren hatte. Aufsichtsrats-Vorsitzender ist DGB-Chef Heinz-Oskar Vetter. Vetter und sein Rats-Kollege Erich Frister streiten aber jede Verantwortung ab. Sofort nach den Veröffentlichungen beteuern sie, von den Vorstandsmitgliedern getäuscht worden zu sein.

    "Ich kann nur noch mal erklären, dass der Aufsichtsratsvorsitzende, sprich der DGB-Vorsitzende Vetter, von den Dingen nichts gewusst hat. /Reporter: Aber Sie waren dabei! Haben Sie davon gewusst?/ Nein! Genau wie die anderen Aufsichtsratsmitglieder nicht. /Reporter: Aber irgendjemand muss doch davon gewusst haben!/Ja natürlich: die, die die Geschäfte gemacht haben! "

    Tatsächlich hat nicht nur der Vorstand, sondern auch ein Aufsichtsratsmitglied an den Heizwärme-Betrügereien verdient: der einflussreiche Gewerkschaftsbanker Walter Hesselbach. Doch dieser wird den Skandal unbeschadet überstehen. Aufsichtsrats- und DGB-Chef Vetter attackiert lieber die Überbringer der Hiobsbotschaft. Auf dem Gewerkschaftskongress im Mai 1982 schimpft Vetter über Ex-Pressesprecher John Siegfried Mehnert.

    "Wir müssen uns einmal plastisch vorstellen, wie anders wir an die Sache hätten heran gehen können, wenn diejenigen, die Akten geklaut und verscheuert haben, das was sie wussten, uns, den Aufsichtsgremien unmissverständlich gesagt hätten. Dann sähe die Sache wohl sicher anders aus! (Applaus) "

    Der Funktionär erregt sich auch über den Spiegel, der detailliert Namen und Firmenbeteiligungen veröffentlicht hat.

    "Wir sind Manns genug, um mit den Missständen in unseren eigenen Reihen selbst fertig zu werden. Die Gewerkschaften haben die Freiheit der Presse immer verteidigt. Aber liebe Freunde: Wir sind nicht die Hampelmänner, die nach jeder Verdächtigung in jedem x-beliebigen Blatt in selbst zerstörerische Zuckungen verfallen! (Applaus) "

    Der DGB-Chef verzichtet auf dem Bundes-Kongress auf eine erneute Kandidatur. Einer der Gründe: Kurz zuvor ist bekannt geworden, dass Vetter selbst an windigen Spekulationsgeschäften in West-Berlin beteiligt ist. Vor den Delegierten versucht er dieses "Berlin-Engagement" als notwendigen "Finanzierungsweg" darzustellen.

    "Ich bin es leid, diesen Verdächtigungen ausgesetzt zu sein, bloß - um ein einzelnes Beispiel heraus zu nehmen, wegen der teuren Sicherheitsvorkehrungen an dem Haus, in dem ich wohne, und die mir die Polizei vorgeschrieben hat, besondere Finanzierungswege suchen musste. "
    Der Skandal um die Neue Heimat weitet sich immer mehr aus. In den Folgemonaten wird offenbar, dass das Management nicht nur illegalen Privatgeschäften nachgegangen ist, sondern auch einen Schuldenberg von mehreren Hundert Millionen Mark im Konzern angehäuft hat. Vor allem durch Missmanagement beim Auslandsgeschäft.

    Mehnert
    "Das Auslandsgeschäft spielte die entscheidende Rolle für den Niedergang des Konzerns. Es wurde gebaut in Malaysia, und in Afrika und in Südamerika und in den Vereinigten Staaten, in Europa sowieso fast in jedem Land - und man hatte überall Verluste. Und man hatte überall Partner, dubiose Partner, die sich so an der Unwissenheit und an dem Geld der Deutschen reich machten. Es war ne Spielbude, ja. "

    Der Vorstand trickste, um die Löcher zu stopfen. So wurden jahrelang Miet-Pauschalen aus den Neue-Heimat-Siedlungen zweckentfremdet - Pauschalen, die eigentlich für die Instandhaltung der Immobilien vorgesehen waren. Die Wohnungen verfielen, die Mieter fluchten.

    "Ich bin `55 eingezogen. Eine Toilette, nur mit der Brille, kein Deckel drauf, da hing ein Boiler an der Wand, ein Abfluss, wie man im Waschhaus hat - das war die Dusche! Kein Waschbecken, nichts nichts drin! Wir haben das Geld rein gesteckt./Wir wohnen hier 32 Jahre, seit 54, und was seit dieser Zeit an den Wohnungen gemacht wurde, das ist haarsträubend! Nämlich gar nichts! Gar nichts! Die Fenster fallen auseinander, die werden nur vom Lack gehalten usw. "

    Doch die Gewerkschaft sah darüber hinweg. Und auch der Staat, von dem die Neue Heimat hohe Wohnungsbau-Subventionen und Steuererleichterungen erhielt. Dabei machte der Konzern bereits acht Jahre vor dem Skandal erste Verluste. Zudem endeten immer wieder Großbauprojekte im Finanz-Fiasko - wie die Errichtung des Internationalen Congress Centrums in Berlin. Im Oktober 1981 mussten die Gewerkschaften dem maroden Unternehmen schließlich mit 160 Millionen Mark aushelfen, damit es weitere Löcher stopfen konnte. Doch immer noch zweifelte niemand an der Kompetenz der Führungsmannschaft und ihren "gemeinwirtschaftlichen" Zielen. Auch die Politik hielt still, hatte der Konzern doch dutzende Entscheidungsträger als bezahlte Berater und Beiräte engagiert.

    Mehnert
    "Das war ja der größte Konzern auf diesem Sektor Europas. Der war so mächtig - und von dort aus runter zu fallen, das braucht seinen Weg. Das war ja schon ein Gewerkschaftsproblem auch: Man ärgerte sich darüber, aber gleichzeitig war man nicht bereit, wirklich mal fremde Wirtschaftsprüfer hineinzuschicken. Überhaupt nicht! Man glaubte, wir sind etwas Besonderes, das machen wir alleine. Und wer uns... wer und kritisiert, ist sowieso ein Feind von uns! "

    Im Februar 1982, nach dem Spiegelbericht und der Entlassung des Vorstands, versucht die Gewerkschaft zunächst, ihr Wohnungsunternehmen mit aller Macht zu retten. Dieter Hoffmann, der neue Vorstandschef der Neuen Heimat, will nichts aufgeben.

    "Hierzu kam der Vorschlag, die große Organisation zu zergliedern, sie in möglichst viele kleine Genossenschaften umzuwandeln. Wir werden uns fragen müssen, ob wir es uns leisten können, einer Zerschlagung der gesamten Unternehmensgruppe das Wort zu reden. Ich glaube, wer eine solche Forderung erhebt, ist sich der wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen nicht bewusst. "

    Die Neue Heimat will einen Teil ihrer Wohnungen verkaufen, doch in den Folgejahren fallen die Immobilienpreise - und die Bundesländer, die als Käufer in Betracht kommen, sind skeptisch. 1986 fordert schließlich die SPD Bundes-Zuschüsse für das verschuldete Gewerkschaftsunternehmen. Doch in Bonn weigert sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition zu helfen. FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff schimpft:

    "Niemals, meine Damen und Herren, ist der Volksmund so eindrücklich bestätigt worden in der Steigerungsformel: Eigennutz, Gemeinnutz, Nichtsnutz! Für die FDP-Fraktion sage ich mit aller Deutlichkeit: Nein zu jedem beabsichtigten Griff in öffentliche Kassen! "

    Tagesschau
    "Guten Abend meine Damen und Herren! Die Gewerkschaften verkaufen die Neue Heimat. Neuer Eigentümer wird ein Berliner Unternehmer: der Brotfabrikant Horst Schiesser. Am 1. Oktober übernimmt er den größten Teil des hoch verschuldeten Wohnungsbaukonzerns. "

    Herbst 1986: Da die Gewerkschaft keine staatlichen Sanierungshilfen bekommt, will sie den Pleitekonzern für eine Mark abstoßen. Die Öffentlichkeit ist irritiert, denn der Käufer ist ein Branchenfremder. Brotproduzent Schiesser verpflichtet sich zudem, die Milliarden-Schulden für die 190.000 Wohnungen zu übernehmen. Der Berliner muss sich deshalb bald schon gegen Verdächtigungen wehren, ein Strohmann und Hasardeur zu sein.

    Schiesser
    "Na beides amüsiert mich. Wenn man die Ernsthaftigkeit meiner Unternehmensführung aus der Vergangenheit sieht, sollte man eigentlich meinen, dass es mit Hasar.... Hasardeurentum nix zu tun hat. Und Strohmänner sind hier bei uns nicht gefragt. Wir sind, glaub ich, abhängig... unabhängig genug, um das machen zu können. "
    Kurz darauf, im Oktober 1986, ist die Neue Heimat erneut in den Schlagzeilen: Auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall in Hamburg verhaftet die Polizei den DGB-Finanzchef Alfons Lappas. Der Hintergrund: Wenige Monate zuvor hat der Bundestag einen Untersuchungsausschuss eingesetzt, um den Filz bei der Neuen Heimat aufzudecken. Ins Visier der Parlamentarier gerät dabei auch die übergeordnete Gewerkschaftsholding BGAG. Holdingvorsitzender ist der DGB-Finanzchef Lappas. Lappas verweigert aber vor dem Ausschuss stur jegliche Aussage. Das Bonner Gremium erwirkt daraufhin - mit den Stimmen des konservativen Regierungslagers und der Grünen - eine Beugehaft für den Spitzenfunktionär. Die Delegierten des Gewerkschaftskongresses sind geschockt. IG-Metallchef Hans Mayr tobt:

    "Wir fordern die unverzügliche Freilassung von Alfons Lappas! (Applaus) Wir fordern ein Ende - das kann man nicht anders sagen - das schamlosen Schmierentheaters und wir fordern die Rückkehr zu rechtsstaatlichen und sozialstaatlichen Prinzipien unserer Verfassung!"

    Die Gewerkschaften fühlen sich von der Regierungskoalition provoziert. Auch die oppositionelle SPD vermutet hinter dem Aufklärungswillen von CDU, CSU und FDP ganz andere Motive. Denn die Bundestagswahl 1987 naht. SPD-Kanzlerkandidat Johannes Rau wettert über die Beugehaft für den Gewerkschafts-Vertreter.

    "Ich warne davor, wegen billiger und vordergründiger Wahlkampfzwecke, die beinharte Kampagne gegen die deutschen Gewerkschaften fortzusetzen, die begonnen hat
    freundlich ... ... . geführt werden. "

    Die schleppende Sanierung, der Untersuchungsausschuss, die Verhaftung des Gewerkschaftsfunktionärs - im November 1986 wird ein weiteres Skandalkapitel aufgeschlagen: Die Gläubigerbanken akzeptieren den Verkauf des Konzerns an den unbekannten Berliner Bäckerunternehmer nicht. Sechs Wochen nach dem Deal muss die Gewerkschaft die Wohnungen mit Verlust zurück kaufen. Zudem wird erstmals ein unabhängiger, gewerkschaftsfremder Liquidator bestellt: der Banker Heinz Sippel. Sippel verkauft die Sanierungsmasse nach Marktwert - vor allem an die Bundesländer. Europas größter Wohnungsbaukonzern löst sich auf.

    "Wenn hier der Schutt weggeräumt ist, ist nichts mehr aufzubauen, dann ist Ende der Arbeit. "

    Die Gläubigerbanken zwingen die Gewerkschaft, für die entstandenen Verluste aufzukommen. Dafür muss der DGB nach und nach weitere Unternehmen verkaufen - wie die Bank für Gemeinwirtschaft, die Volksfürsorge und die Büchergilde Gutenberg. Gesamtkosten der Gewerkschaft für die Sanierung: rund drei Milliarden Mark. 1988 platzt schließlich die nächste Bombe: Der gewerkschaftseigene Handelskonzern Coop ist pleite, Bilanzmanipulationen und Betrügereien durch den Coop-Vorstand werden bekannt. Ähnlich wie bei der Neuen Heimat hat auch hier eine Unternehmenskontrolle gefehlt. Beide Skandale läuten das Ende der so genannten Gemeinwirtschaft ein.

    Mehnert
    "Für die Gewerkschaften hatte es die Folgen, dass der Mitgliederschwund, der damals schon zu sehen war, sich weiter entwickelt. Sie haben alles verloren, was ihre wirtschaftliche Kraft war. Gleichzeitig waren sie so beschädigt in ihrem Ruf, dass ihnen auch keiner mehr etwas zutraute. Also ein Gewerkschafter kann gar nicht über Wirtschaft reden - die Gewerkschaften sind ziemlich am Boden. "

    Noch heute, ein Vierteljahrhundert später, sorgt der Neue-Heimat-Skandal für Diskussionen. Auffällig: Beim Deutschen Gewerkschaftsbund gibt es nach wie vor Funktionäre, die sich mehr über die damaligen Attacken des politischen Gegners erregen als über die Fehler der Ex-Gewerkschaftsspitze. Hans-Joachim Schabedoth etwa, der Leiter der DGB-Grundsatzabteilung, macht das konservative Lager für das Hochkochen der Affäre verantwortlich.

    "Geärgert hat uns, dass der Ruf der Gewerkschaften pauschal dort gelitten hat. Wir hatten damals auch eine politische Konstellation, wo wir ziemliche Schwierigkeiten mit der neuen Regierung von Helmuth Kohl hatten und die haben sich daran geweidet, den Gewerkschaften als unbequemer Kritiker ihrer Arbeit über diese Affäre, über diese Krise, neue Schwierigkeiten machen zu können. "

    Die Bilanz des Ex-Pressesprechers John Siegfried Mehnert sieht anders aus. Für den 67-jährigen Aufklärer, der heute in Frankfurt am Main lebt, hat der Ruf der Gewerkschaften vor allem durch folgende Dinge gelitten: Größenwahn, Missmanagement, Manager-Betrügereien und Sanierungsfehler. All dies, so Mehnert, sei bis heute nicht richtig aufgearbeitet.

    "Ich glaube, dass es auch Leute gibt, die denken, dass Fremde, also zum Beispiel ich, die Neue Heimat kaputt gemacht hätten. Und das ist so eine Dolchstoßlegende. Die Gewerkschaften wären immer noch so oben, wenn nicht böse Kräfte, missgünstige bürgerliche Lager, ein Verräter wie ich und johlende Medien sie zu Fall gebracht hätten. Solche Gruppen gibt es glaub ich auch. "