Freitag, 29. März 2024

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Strom als Kulturphänomen
Von der Glühbirne zum Stopfpilz

Eine Ausstellung im nordrhein-westfälischen Lindlar beleuchtet, wie der Strom vor rund 100 Jahren aufs Land kam. Ein Jahrhundert später gibt uns die Energie aus der Steckdose immer noch Rätsel auf, denn was da fließt - eine Kraft, ein Impuls, eine Naturgewalt - wissen wir immer noch nicht genau.

Von Peter Backof | 28.03.2014
    Lindlar, das liegt eine Stunde Busfahrt von Köln entfernt, heute eine typische Kleinstadt auf dem Land, mit Dörfern darum herum. Aber die Geschichte beginnt nicht hier, sie beginnt 25 Jahre vor 1914, ganz weit weg, in New York. Thomas Edison und Nicola Tesla fechten dort den "Stromkrieg" aus. Ihr Ziel: Strom für alle!
    Aber wie? AC gegen DC: Edison wollte ganz New York mit Gleichstrom versorgen. Dafür hätte er aber in jede zweite Straßenzeile ein Kraftwerk stellen müssen. Ein Modell, das heute nach Selbstversorgung klingt. Solarzellen, Elektrowindmühlen? Gab es noch lange nicht, und einen Steinkohlemeiler im Garten? Och nö! So gewann Nicola Tesla den Stromkrieg, mit seinem Vier-Phasen-Wechselstrom, der über große Entfernungen transportiert werden kann. Also auch: vom Großkraftwerk bei Köln nach Lindlar.
    "Wir stehen jetzt Freilicht, vor dem Trafoturm aus Hückeswagen-Herweg."
    Thomas Trappe vom Landschaftsverband Rheinland. Hier kam der Strom an: der zwölf Meter hohe Trafoturm von 1913 wurde letzten November in drei Teile zersägt und mit einem Tieflader verfrachtet. Ein paar Kilometer weiter steht er jetzt als Attraktion im Freilichtmuseum. Innen Technik, außen: ein Schieferdach, grüne Fensterrahmen. Bergischer Heimatstil, ein Stil, den es eigentlich gar nicht gab. Man erfand ihn im Zuge der Elektrifizierung: in den Nuller Jahren des 20. Jahrhunderts war das "Gesetz gegen die Verunstaltung der Landschaft" erlassen worden. Heimatvereine und einflussreiche Konservative hatten Druck gemacht und sich durchgesetzt.
    "Das war tatsächlich die bewusste optische Verschönerung einer technischen Einheit, damit das ins Landschaftsbild passt."
    Natürlich hatte man das alles schon gesehen, als Oberbergischer Bauer, bei einem Besuch in Köln: Kühlschrank, Elektroherd, Fön, diese damals "brandneuen" Artikel, wie sie jetzt im Schauraum des Museums ausgestellt sind. Rund 200 Exponate vom beleuchteten Stopfpilz, den Konrad Adenauer erfand, über das Werkeplakat: „Strom, dein bester Geselle!" bis zum Hochfrequenzstrahlapparat, dem man medizinische Heilkräfte andichtete und der für die Elektromanie stand, die inzwischen in den Städten ausgebrochen war. Derlei Schnickschnack war für Bauern nicht drin. Höchstens und vielleicht: ein Elektro-Bügeleisen. Elektrischer Strom, der Schritt in die Moderne für die Landbevölkerung?
    Museumsleiter Michael Kamp:"Also die Kilowattstunde Kraftstrom kostete damals roundabout 25 Pfennig. Wenn man das umrechnet heute, vergleichsweise ist das ein Wert von einer Kilowattstunde um die zehn Euro."
    Strom war vor hundert Jahren ungefähr zehn Mal so teuer wie heute. Man kann sagen: die Energieversorger - RWE, das Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerk, damals im Bergischen Land - haben sich deutschlandweit den Aufbau der Stromversorgung auf dem Land von den Abnehmern bezahlen lassen.
    "Nach dem ersten Weltkrieg gab es Bestrebungen, in der Weimarer Zeit, die ganzen Stromkonzerne zu verstaatlichen. Das ist nicht gelungen, da haben sich die Stromkonzerne, Lobbykonzerne darf man ja sagen bis auf den heutigen Tag, haben sich einfach durchgesetzt. Da hat die Politik keine Chance gehabt: es ging ums Geldverdienen."Die Bauern, Schmiede, Bäcker um 1914 konnten nicht anders: Landflucht der Arbeitskräfte, die Verknappung von Petroleum, also Erdöl, das man vom Kriegsgegner Russland importiert hatte, das waren die entscheidenden Faktoren, die den Strom aufs Land brachten."So, und dann kommt die Elektrizitätsindustrie und sagt: guck mal hier, der Motor kostet 200 Mark. Wir tun dir hundert Mark dabei, wenn du den Motor kaufst. Wie die das ja heute auch noch machen."Subvention als Kaufanreiz. Dieser Elektromotor, Highlight der Schau, versteckt sich in einem kleinen hölzernen Wägelchen, eine Art Bergbaulore, die damals mit Ochsen auf die Äcker geschleppt wurde. Daraus ragt ein Kabel mit einem Enterhaken. Der wurde dann auf die Stromleitung geworfen – wenn man das konnte – oder mühsam mit einem Steigeisen den Holzmasten hinauf, auf die Leitung gehievt. Das trieb dann eine kleine Dreschmaschine an, die den Knecht ersetzte, der gerade im Weltkrieg kämpfte.Die Verkabelung der Äcker mussten die Bauern selbst organisieren – und bezahlen. Die Energieversorger stellten nur die Trafotürme an die Dörfer. Man versteht, nach einem Besuch dieser sehr plastischen Schau, warum noch 1959 Landwirtschaftsminister Lübke einen „Grünen Plan" auflegte, zur Angleichung der Lebensverhältnisse in Stadt und Land. Und warum sich viele Bauern um 1914 noch lange Jahre nicht mit dem Trafoturm vernetzen wollten: Ohne Strom, heute fast unmöglich, dass das ging.