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Strom aus der Hose
Textilien könnten Herzschrittmacher aufladen

Tragbare Geräte brauchen bekanntlich Strom. Wenn der Akku leer und keine Steckdose in der Nähe ist, sitzt man auf dem Trockenen. Da klang das Konzept, das US-Forscher 2008 vorstellten, überaus verlockend: Die Wissenschaftler hatten einen Prototyp für ein textiles Material vorgestellt, das bei Bewegung Strom erzeugt. Was ist aus dem Strom aus der Hose geworden?

Von Frank Grotelüschen | 13.09.2016
    Der Demonstrater des triboelektrischen Generators hat etwa die Ausmaße einer Scheckkarte. Dieser ist mit grünen LEDs bestückt.
    Demonstrator eines triboelektrischen Nanogenerators (Inertia)
    Ein kleiner Spaziergang, ein paar Schritte um den Block, und schon hat das Handy wieder ein wenig mehr Saft. Die Vision einer Hose, die bei Bewegung Strom erzeugt und dadurch portable Elektronik aufladen kann, ist alles andere als neu. Einen vielversprechenden Ansatz präsentierte im Jahre 2008 das Georgia Institute of Technology in den USA: Als Grundlage dienten Kevlarfasern mit dünnen Borsten aus Zinkoxid – Gebilde, die unter dem Mikroskop aussahen wie Flaschenbürsten. Diese verwebten die Forscher so zu einem Stoff, dass die Nanobürsten ineinandergriffen. Bei Verformung des Gewebes bewegten sich die Nanobürsten gegeneinander, das Gewebe lud sich elektrisch auf. Seit die Wissenschaftler das Konzept 2008 vorgestellt hatten, sei einiges passiert, sagt Zhong Lin Wang, der Chef des Forscherteams.
    "Wir haben gelernt, wie man Elektroden baut, die den erzeugten Strom effektiv abgreifen. Anfangs gab es zwischen den Elektroden und dem Material noch eine Lücke, einen gewissen Abstand. Dann fanden wir einen Weg, wie man Material und Elektroden direkt verbinden kann. Das hat die Zuverlässigkeit und die Leistungsfähigkeit sehr erhöht."
    Schematische Darstellung von zylinderförmigen Nanobürsten. Die Borsten greifen in einander.
    Zuerst benutzten die Forscher um Wang Nanobürsten aus Zinkozid. Aber die Energieauzsbeute war zu gering. (GeorgiaTech)
    Zu wenig Leistung, um ein Smartphone aufzuladen
    Mit diesen Verbesserungen erreichten Wang und seine Leute um das Jahr 2011 eine Leistung von 10 Milliwatt pro Quadratmeter - gehofft hatten die Forscher auf mindestens das Doppelte. Zwar würden wenige Milliwatt im Prinzip reichen, um einen Herzschrittmacher-Akku aufzuladen. Doch zum Aufladen eines Smartphones bräuchte es wenigstens das Hundertfache an Leistung. Zumindest ein anderes Problem konnten die US-Forscher aber lösen. Nämlich das empfindliche Gewebe vor Korrosion und Feuchtigkeit zu schützen.
    "Wir konnten das Ganze so verpacken, dass es dicht eingeschlossen ist. Dazu verwenden wir Kunststoffe, die kein Wasser durchlassen und das Material vor Umwelteinflüssen schützen."
    Das Gewebe war damit im Prinzip waschbar – ein wichtiges Kriterium für die Alltagstauglichkeit. Dann aber, im Jahr 2012, gerieten die Arbeiten ins Stocken. Der Grund: Wang und seine Kollegen waren auf eine neue Sache gestoßen.
    "Wir haben schlicht eine bessere Technologie gefunden. Wir nennen sie triboelektrische Nanogeneratoren. Bereits ein Stückchen von der Größe eines Notizzettels kann eine Leistung bis zu 0,7 Watt liefern."
    Triboelektrischen Nanogeneratoren liefern mehr Strom
    Das ist deutlich mehr als bei dem alten Patent mit den Nanobürsten. Doch wie funktionieren diese triboelektrischen Nanogeneratoren? Zu tun haben sie mit jenen Funken, die man manchmal nachts beobachtet, wenn man an der Bettdecke reibt. Verursacht werden sie durch statische Aufladungen.
    "Unsere Technik basiert auf zwei verschiedenen Materialien, die sich bei Reibung unterschiedlich aufladen - das eine stärker, das andere weniger stark. Sorgt man dann dafür, dass beide Materialien einen kleinen Abstand voneinander halten, kann sich eine Spannung zwischen ihnen entwickeln. Damit wirken sie wie ein elektrischer Kondensator. Wird der dann entladen, kann ein Strom fließen."
    Immer wenn die Nanogeneratoren bewegt werden, entsteht Reibung und damit Strom. Als Materialien kommt vieles in Frage nicht nur Textilien, sondern auch Plastikfolien oder Papier.
    "Mit dieser Technik lässt sich Energie im Watt-Bereich erzeugen. Das sollte reichen, um beim Gehen ein Handy aufzuladen oder einen Herzschrittmacher."
    Im Sommer erreichten Wang und seine Leute einen weiteren Meilenstein: Sie schufen eine Variante ihrer stromspendenden Nanogeneratoren, die sich nach Belieben dehnen und biegen lässt, eine wichtige Voraussetzung für den Einsatz am Körper.
    Auch andere Forscherteams sind an der Sache dran. Sie setzen allerdings auf alternative Konzepte. So entwickeln chinesische Wissenschaftler eine Art Solarfaser, die sich zu einem Gewebe verarbeiten lässt und Strom für elektronische Kleingeräte liefern soll. Wobei man sich dafür draußen aufhalten sollte und möglichst bei Sonnenschein. Die Technik von Wang und seinen Leuten aber sollte zu mehr taugen als zur textilen Stromquelle.
    "Man könnte die Technik auch für Sensoren verwenden, die den Herzschlag messen oder den Zustand von Brücken überwachen. Sie sehen: Es gibt eine ganze Reihe von Anwendungsideen."
    In ein oder zwei Jahren sollen erste Produkte auf dem Markt sein, hofft Zhong Lin Wang, der von manchen bereits als künftiger Nobelpreisträger gehandelt wird. Gleich mehrere Firmen jedenfalls seien schon an der Sache dran.