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Strom aus der Hosentasche

Technik. - Elektronische Implantate für die Medizin werden immer wichtiger: Herzschrittmacher gibt es schon lange, und in Zukunft sollen eingepflanzte Nanosensoren Körperfunktionen überwachen und Mikrochips zerstörte Nervenzellen ersetzen. Doch all diese Geräte brauchen natürlich Strom. Bislang laufen sie mit Batterie. In der heutigen Ausgabe von "Nature" stellen US-Forscher eine Methode vor, wie es auch anders gehen könnte – und zwar mit Textilien, die Energie erzeugen, sobald sie bewegt werden.

Von Frank Grotelüschen | 14.02.2008
    Stellen Sie sich vor, Sie machen ein paar Schritte über den Flur – und ihre Hose erzeugt Strom! Genau das schafft das neue Spezialgewebe, das Materialforscher vom Georgia Institute of Technology in Atlanta entwickelt haben. Chef des Teams ist Zhong Lin Wang.

    "”Als Grundlage verwenden wir Kunstfasern aus Kevlar. Diese Fasern sind nur einen fünftel Millimeter dick. Das ist so fein, dass sie mit bloßem Auge kaum zu sehen sind. Auf diesen Kunstfasern lassen wir dann dünne Borsten aus Zinkoxid wachsen. Sie haben nur einen Durchmesser von 50 Nanometern, sind also sehr, sehr winzig.""

    Unterm Mikroskop sieht ein derart präparierter Kevlarfaden aus wie eine Flaschenbürste. Als nächstes haben die Forscher diese Fäden zu einem Stoff verwebt – und zwar so engmaschig, dass die Borsten benachbarter Fäden dicht ineinander greifen. Jetzt erinnert das Gebilde an die Bürsten einer Autowaschanlage. Die sind ja ebenfalls so dicht gestaffelt, dass ihre Borsten ineinander greifen. Eines aber fehlt noch, damit die Nanobürsten Strom erzeugen können. Wang:

    "”Jede zweite Nanobürste ist mit Gold beschichtet. Wird das Gewebe nun verformt oder gebogen, reiben sich die Goldborsten an den Zinkoxid-Borsten ihrer Nachbarn. Und dadurch lädt sich das Gewebe elektrisch auf.""

    Die bisherigen Prototypen sind noch nicht auf maximale Energieausbeute getrimmt. Aber Wang schätzt, dass eine Leistung von 20 bis 80 Milliwatt pro Quadratmeter Textilgewebe drin ist – genug, um eine gewöhnliche Leuchtdiode aufleuchten zu lassen.

    "Ich denke wir brauchen noch drei Jahre, bevor das Ganze serienreif ist. Denn noch sind einige technologische Fragen offen: Wie lassen sich die vielen tausend Fasern miteinander verschalten, ohne dass es Kurzschlüsse gibt? Und wie schützt man das Gewebe vor Umwelteinflüssen, insbesondere vor Feuchtigkeit?"

    Immerhin: Der Preis für das Strom spendende Textil soll sich in Grenzen halten, sagt Wang. Denn Kevlar ist eine handelsübliche Kunstfaser. Und:

    "Das Aufwachsen der Zinkoxid-Borsten auf den Kevlarfäden passiert mit einem einfachen chemisches Verfahren. Man braucht dazu nicht mal hohe Temperaturen. 70 Grad reichen, also nicht wärmer als der Kaffee in Ihrer Tasse. Und statt mit Gold könnte man die Nanobürsten auch mit billigeren Metallen beschichten. Also: Die Kosten sind ziemlich niedrig."

    Allerdings liefert der neue Stoff nicht genug Power, um das Handy quasi im Vorübergehen aufzuladen oder beim Joggen einen MP3-Player laufen zu lassen. Stattdessen hat Wang ganz andere Anwendungen im Sinn.

    "Wenn Sie ein Implantat tragen, etwa einen Herzschrittmacher, braucht der natürlich Energie. Diese Energie könnte künftig unser Spezialgewebe liefern. Dann bräuchte man keine Batterien mehr zu wechseln."

    Die allerersten Anwender aber dürften wieder mal die Militärs sein. Wang:

    "”Wenn ein Soldat irgendwo steckt, wo es keinen Strom gibt, und er braucht Energie für seine Kommunikationselektronik – dann könnte er sie mit unserem Spezialstoff als Uniform ganz einfach mechanisch erzeugen.""

    Ein paar zackige "kehrt Marsch!", vielleicht noch ein paar Liegestütz dazu – und das Funkgerät hat genug Saft. Und dann dürfte auch dem letzten Gefreiten klar werden, warum er ständig auf dem Kasernenhof exerzieren muss.