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Strom aus der Nordsee

Alpha Ventus war der erste Offshore-Windpark Deutschlands. Er sollte herausfinden, wie effektiv sich Windstrom in der Nordsee ernten lässt und welche Auswirkungen die Rotoren auf die Tierwelt haben. In dieser Woche ziehen die Experten auf einer Konferenz in Bremerhaven eine erste Zwischenbilanz.

Von Frank Grotelüschen | 09.05.2012
    "Alpha - das erste. Ventus - Wind. Das erste Windfeld in der Deutschen Bucht. Weitab von der Küstenlinie entfernt und in relativ tiefem Wasser."

    Claus Burkhardt ist der Geschäftsführer der DOTI GmbH. Hinter dem Kürzel stecken die Energieversorger E.ON, Vattenfall und EWE - die Betreiber von Alpha Ventus, dem ersten deutschen Offshore-Windpark. Er steht 45 Kilometer vor Borkum und ist mit seinen zwölf Rotoren relativ überschaubar. Das erste Windrad ging - nach einigen Verzögerungen - im August 2009 ans Netz. Gleich am Anfang gab's eine Panne: Bei sechs der Anlagen mussten die Betreiber die Getriebelager austauschen, offenbar ein Konstruktionsfehler. Seitdem aber, sagt Burkhardt, drehen sich die Rotoren, und zwar zuverlässig.

    "Jetzt laufen die Anlagen seit fast zwei Jahren komplett konstant durch. Wenn wir die zwei Jahre komplett durchnehmen, haben wir zwischen 10 und 15 Prozent mehr Strom produziert, als wir ursprünglich kalkuliert haben. Das ist sehr erfreulich für uns alle."

    Dank der deutlich besseren Windausbeute leistet ein Rotor auf hoher See rund doppelt soviel wie eine gleichgroße Anlage im Binnenland. Soweit die gute Nachricht. Doch es gibt auch eine weniger gute: Die harschen Bedingungen auf der Nordsee machen den Betreibern offenbar stärker zu schaffen als erwartet. Burkhardt:

    "Wir haben jetzt im Winter einen Zeitraum von zwei Monaten gehabt, wo wir die Anlagen mit dem Schiff überhaupt nicht erreichen konnten. Mit dem Helikopter kam man ab und zu dorthin. Die Anlagen haben dort mehr oder weniger allein gestanden."

    Das bedeutet: Geht ein Windrad auf hoher See kaputt, muss man unter Umständen Tage oder sogar Wochen auf besseres Wetter warten, bis man es reparieren kann. An Land dagegen lässt sich ein defekter Rotor praktisch jederzeit erreichen und umgehend reparieren.

    "Offshore ist das definitiv nicht der Fall. Da müssen Sie viel aufwendigere Logistik planen. Und das macht das Ganze natürlich sehr, sehr teuer. Als Quintessenz kann man festhalten, dass der Offshore-produzierte Strom relativ teuer ist. Dass er auf Dauer auf jeden Fall günstiger werden muss."

    Derzeit ist die Erzeugung von Offshore-Windstrom zwei- bis dreimal teurer als die von herkömmlichem Windstrom. Um die Sache billiger zu machen, müsste die Herstellung der Windräder stärker automatisiert werden. Momentan ist noch zu viel Handarbeit im Spiel. Ähnliches gilt für den Aufbau der Anlagen und ihren Transport. Alles noch zu ineffektiv, meint Claus Burkhardt:

    "Da sind wir gerade am Anfang dieses Weges. Da müssen wir noch viel, viel weitergehen, als wir heute sind."

    Eine durchaus ernüchternde Erkenntnis. Und sie lässt daran zweifeln, dass die Bundesregierung ihr ehrgeiziges Ziel erreicht. Im Jahr 2020, so der Plan, sollen sich 2000 Rotoren auf der Nordsee drehen.

    "Ich glaube, es ist nicht realistisch. Wir haben jetzt vielleicht 30 Anlagen in der Deutschen Bucht stehen. In 2020 sollen es 10.000 Megawatt sein, das wären 2000 Anlagen. Ich persönlich glaube, das wird nicht mehr möglich sein."

    Doch bei Alpha Ventus geht es nicht nur um ökonomische, sondern auch um ökologische Fragen. Wie etwa beeinflussen die Windräder den Vogelzug? Das Problem: Um von Schiffen und Flugzeugen gesehen zu werden, sind die Anlagen nachts beleuchtet. Diese Lichter locken bei schlechtem Wetter Zugvögel an, die dann mit den Anlagen kollidieren können. Das jedenfalls legen Erfahrungen mit FINO 1 nahe. So heißt eine Messstation neben dem Windpark. Im Laufe von acht Jahren zählten Fachleute wie Reinhold Hill rund 1000 verendete Vögel auf der Station. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.

    "Es sind auch viele vom Wind verweht worden, von Möwen gefressen worden. Eigentlich sind an FINO 1 ein Vielfaches dieser dort gefunden 1000 Vögel kollidiert."

    Meist fanden die Experten häufige, also nicht gefährdete Arten, zum Beispiel Drosseln. Doch ab und zu waren unter den Kadavern auch seltene Vögel. Um sie zu schützen, schlägt Hill eine Reihe von Gegenmaßnahmen vor.

    "Es wäre sicherlich sinnvoll, Lampenfarben zu verwenden, die eher dem kurzwelligen Lichtspektrum entsprechen. Die haben in Feldversuchen ergeben, dass weniger Vögel angelockt werden. Und nach Vorhersagemodellen könnte man in besonders betroffenen Nächten die Beleuchtung abschalten oder die Rotoren aus dem Wind drehen, um so das Kollisionsrisiko zu vermindern."

    Die Rotoren würden dann keinen Strom liefern. Aber sie müssten nur dann abgeschaltet werden, wenn starker Vogelzug herrscht - und das passiert in wenigen Nächten im Jahr. Der wirtschaftliche Schaden wäre, zumindest aus Sicht der Vogelschützer, wohl zu verschmerzen.