Freitag, 29. März 2024

Archiv


Struck: Anhebung des Krankenkassen-Beitrags notwendig

Der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Peter Struck, hat die vom Koalitionsausschuss beschlossene Anhebung des Beitragssatzes für die gesetzlichen Krankenkassen auf 15,5 Prozent als notwendig verteidigt. Die Kosten im Gesundheitswesen seien auch wegen der demographischen Entwicklung gestiegen, sagte Struck. Daher wäre eine Erhöhung der Sätze auch ohne den geplanten Gesundheitsfonds notwendig geworden.

Peter Struck im Gespräch mit Silvia Engels | 06.10.2008
    Silvia Engels: Die erneute Zuspitzung der Situation beim deutschen DAX-Wert Hypo Real Estate - kurz HRE - überschattete gestern auch schon die lange angesetzte Sitzung des Koalitionsausschusses. Mit dabei war SPD-Fraktionschef Peter Struck. Er ist nun am Telefon. Guten Morgen, Herr Struck.

    Peter Struck: Guten Morgen, Frau Engels.

    Engels: Wie war die Stimmung in der Runde angesichts dieser neuen aufbrechenden Finanzmarktkrise in Form von Hypo Real Estate?

    Struck: Wir waren alle sehr empört über das Verhalten von Hypo Real Estate, denn vor einer Woche hieß es noch, es geht um ein Risiko von zirka 30 Milliarden. Jetzt auf einmal reden wir über ein Risiko von 50 Milliarden und kein Mensch weiß, ob dies das Ende der Fahnenstange ist. Also man muss schon über die Qualität solcher Manager deutlich reden. Ich halte überhaupt nichts von denen, weil wir inzwischen merken, dass man sich auf ihr Wort nicht verlassen kann.

    Engels: War es eine Option in der Runde, die Hypo Real Estate zusammenbrechen zu lassen?

    Struck: Nein, das war keine Option. Die Gründe, die vor einer Woche noch dagegen gesprochen haben, sprechen auch jetzt noch dagegen. Das hätte unabsehbare Konsequenzen auf den gesamten Bankenbereich in Deutschland gehabt. Deshalb war klar, dass wir bei unserer Grundsatzentscheidung bleiben: Es gibt eine staatliche Garantie oder einen Schirm, der auch diese Bank dann vor dem Absturz bewahrt. Nur es ist ja auch entschieden worden, dass wir diesen Schirm nicht ausweiten müssen, weil die privaten Banken noch ihren Anteil ja erhöht haben oder sogar verdoppelt haben.

    Engels: Die Bundesregierung in Form von Angela Merkel hat gestern erstmals eine Garantie für alle privaten Spareinlagen der Bürger übernommen. Hat sie dafür die komplette Rückendeckung der SPD-Fraktion?

    Struck: Ja. Das war dann auch eindeutig vereinbart, dass die Kanzlerin mit einer solchen Äußerung genau wie der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück an die Öffentlichkeit gehen sollte, weil wir den Eindruck haben, dass je mehr Meldungen über diese katastrophale Situation im gesamten europäischen Bankenbereich veröffentlicht werden doch die Unsicherheit bei der Bevölkerung sehr groß wird. Es muss klar sein, dass in Deutschland niemand Angst um seine Spareinlagen haben muss.

    Engels: Kann sich der Staat das leisten?

    Struck: Ich denke schon, dass wir eigentlich im Grunde davon ausgehen können, dass mindestens durch unser Bankensystem, das ja vor allen Dingen auch auf der Säule der Sparkassen und Volksbanken beruht, nicht so dramatisch betroffen sein wird wie in manchen anderen europäischen Staaten. Deshalb haben wir auch gesagt, wir wollen eine eigene nationale Lösung gegebenenfalls finden und nicht in einen europäischen Krisenfonds einzahlen müssen, wo wir dann auch für andere europäischen Banken auf einmal mit haften müssten.

    Engels: So viel zu diesem Thema bis zu diesem Punkt. Alles weitere zur Hypo Real Estate fragen wir in einer halben Stunde den Finanzminister Peer Steinbrück selbst. Herr Struck, kommen wir deshalb noch zu den anderen, den eigentlichen Themen des Koalitionsausschusses. Stichwort Gesundheitsfonds. Ab kommendem Jahr muss künftig jeder gesetzlich Krankenversicherte einen einheitlichen Beitrag von 15,5 Prozent zahlen, nach bisher durchschnittlich 14,9 Prozent. Das soll gegenfinanziert sein durch die Absenkung des Beitrages zur Arbeitslosenversicherung. Aber erst mal im Kern: Warum muss das Gesundheitswesen auf einen Satz so viel teuerer werden?

    Struck: Es ist eigentlich klar, wenn man heute mit Vertretern der Krankenkassen redet, dass alleine durch den medizinischen Fortschritt, Frau Engels, die Kosten im Gesundheitswesen immer steigen, auch durch die demographische Entwicklung. Die Menschen werden immer älter und gerade im Alter werden die Krankheitskosten auch immer höher. Insofern hätten wir auch ohne den Fonds eine Erhöhung bei den Krankenversicherungsbeiträgen fast aller Krankenkassen gehabt. Der Gesundheitsfonds ist jetzt die Grundlage dafür, dass die Bundesregierung einen Vorschlag für einen einheitlichen Satz macht. Das kann auch bedeuten, wenn wir auf die 15,5 gehen, dass es auch Krankenkassen gibt, die bisher darunter gelegen haben, zum Beispiel Betriebskrankenkassen mit besonderen Risiken oder mit jüngeren Versicherten, die dann in der Lage sind, bei diesem GKV-Beitragssatz dann auch etwas an ihre Versicherten zurückzugeben. Wir gehen schon davon aus, dass nicht jeder jetzt bei diesen 15,5 Prozent bleibt, sondern dass manche von der Krankenkassen Boni zurückerhalten.

    Engels: Auf der anderen Seite soll nun der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung gesenkt werden, damit unter dem Strich der Bürger jedenfalls nicht zu viele Zusatzbelastungen hat. Sie wollten von der SPD ja eigentlich nur auf drei Prozent absenken. Die Union hat sich mit der Absenkung auf 2,8 Prozent durchgesetzt. Ist damit die Bundesagentur demnächst unterfinanziert?

    Struck: Nein, das nicht. Wir haben den Arbeitsminister Scholz ausdrücklich vorher dann auch gefragt und auch den Chef der Agentur, den Herrn Weise, ob sie auch mit 2,8 Prozent zurecht kommen. Das kommen sie. Es werden keine wesentlichen Maßnahmen der Bundesagentur zu kürzen sein. Im Gegenteil: Wir werden auch noch - das haben wir durchgesetzt - einen Rechtsanspruch auf den Abschluss einer Hauptschule für alle diejenigen bekommen, die einen solchen Abschluss bisher nicht haben. Auch die gezielten Maßnahmen, die wir für die Vermittlung dann einsetzen wollen, werden weiter fortgesetzt. Wir gehen davon aus, dass auch die Anzahl der Vermittler verbessert oder erhöht werden können. So wie es gestern bei uns im Koalitionsausschuss vereinbart worden ist, gehe ich davon aus, dass wir bis Mitte 2009 auf jeden Fall einen Beitragssatz von 2,8 Prozent halten können.

    Engels: Bis Mitte 2009. - Angesichts der Finanzkrise erscheint es doch blauäugig, davon auszugehen, dass die Arbeitslosigkeit hierzulande so niedrig bleibt wie bisher. Wann steigen dann die Arbeitslosenversicherungsbeiträge wieder?

    Struck: Darüber streiten sich die Geister, Frau Engels, ob wir wirklich aufgrund der Finanzkrise Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt haben werden. Bisher ist Deutschland ja, was die Arbeitsmarktsituation angeht, davon überhaupt nicht betroffen gewesen. Im Gegenteil: Wir haben sehr positive Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt. Man muss auch aufpassen, dass man sich sozusagen nicht selbst in eine Krise hineinredet, sondern wir gehen einfach davon aus, dass wir mit einem ordentlichen Wachstum auch im nächsten Jahr noch mit den 2,8 Prozent Arbeitslosenversicherungsbeitrag, vielleicht auch noch im übernächsten Jahr über die Runden kommen.

    Engels: Sie sagen aber, bis Mitte 2009 bleiben die Arbeitslosenbeiträge in dieser Höhe. Das heißt, die Entlastung für den Bürger ist vielleicht nur ein halbes Jahr alt.

    Struck: Nein, ich habe mich versprochen. Es sollte "bis Mitte 2010 auf jeden Fall" heißen. Und wir werden dann sehen, wie es weitergeht. Ich persönlich glaube, dass wir eine Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt haben, auch beim wirtschaftlichen Wachstum, die es erlaubt, auf jeden Fall auch noch bis über das Jahr 2009, Ende 2009 bis Mitte 2010 hinaus diesen Beitragssatz von 2,8 Prozent halten zu können.

    Engels: In Ordnung. - Herr Struck, noch ein anderes Thema. Sie haben tatsächlich zugestimmt, dass die Bundeswehr unter bestimmten Umständen im Inneren eingesetzt wird. Damit gibt die SPD ja ein ganz zentrales Thema auf.

    Struck: Nein, das wäre ein Missverständnis. Es ist ein Vorschlag der SPD beschlossen worden. Es geht um die Frage, wie kann die Bundesmarine ganz konkret helfen bei Unglücksfällen auf See, wo eigentlich die Wasserschutzpolizei zuständig wäre. Wir haben dafür einen Änderungsvorschlag für die Änderung des Artikels 35 Absatz 3 und 4 des Grundgesetzes vorgelegt. Das ist nun endlich akzeptiert worden von der Union, die das bisher immer damit verknüpft hat, dass sie einen anderen Verteidigungsbegriff im Artikel 87a Grundgesetz installieren wollte. Das haben wir immer abgelehnt, Frau Zypries und ich gegenüber Herrn Schäuble. Hier geht es eigentlich um eine Klarstellung, dass auch die Bundesmarine bei Notfällen auf See helfen darf.

    Engels: Aber ist das nicht ein Einfallstor dann später auch für andere Einsätze der Soldaten im Inneren?

    Struck: Nein. Nach meiner Einschätzung überhaupt nicht, weil wir klar gemacht haben, mehr geht nicht. Wir müssen immer damit rechnen, dass eine andere Konstellation in der Regierung vielleicht doch einen solchen Vorstoß unternimmt. Solange die SPD regiert, wird es das nicht geben. Beim Artikel 87a muss man ja eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat haben. Die sehe ich zurzeit noch nicht.

    Engels: Aber hatte die Union damit dann indirekt nicht doch Recht, dass die bisherigen Regelungen überholt werden müssen? Das heißt, wird es weitere Änderungen geben?

    Struck: Es gibt keine weiteren Änderungen. Aber die Tatsache, dass die Marine nicht helfen kann, jedenfalls nach den bisherigen rechtlichen Regelungen, wenn es Unglücksfälle, schwere Notfälle auf hoher See gibt, das ist natürlich eine Tatsache, die man so nicht akzeptieren kann. Darum haben wir gesagt, auch in diesem Fall wollen wir, dass die Marine helfen darf und helfen kann. Das ist schon ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren, allerdings nicht so, wie sich die Union das vorstellt zur Bekämpfung des allgemeinen Terrorismus, sondern bei der Bewältigung von Katastrophen und Notsituationen.

    Engels: Der SPD-Fraktionschef Peter Struck. Ich bedanke mich für das Interview.