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Strukturelle Probleme beseitigen statt ESM weiter aufstocken

Man dürfe nicht immer nur noch mehr Geld ins Schaufenster stellen wollen, warnt Unions-Haushaltsexperte Norbert Barthle mit Blick auf die Diskussion um eine weitere Aufstockung des dauerhaften Rettungsschirms ESM. Zentrale Aufgabe müsse sein, die Staatsverschuldung zu reduzieren.

Norbert Barthle im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.01.2012
    Tobias Armbrüster: ESM – es sind diese drei Buchstaben, die für die Rettung der klammen europäischen Volkswirtschaft stehen sollen. In der vergangenen Nacht haben sich die Euro-Finanzminister in Brüssel auf die Eckpunkte dieses Euro-Rettungsmechanismus verständigt. Die wichtigste lautet: dieser 500 Milliarden Euro Fonds soll schon ein Jahr früher stehen als ursprünglich geplant, nämlich schon ab dem 1. Juli dieses Jahres. Aber es bleiben auch Unklarheiten: Soll es tatsächlich bei 500 Milliarden Euro bleiben, oder könnte es am Ende auch ein bisschen mehr sein?

    Mitgehört hat Norbert Barthle, er ist der Obmann der Unions-Fraktion im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Schönen guten Tag, Herr Barthle.

    Norbert Barthle: Ich grüße Sie, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Barthle, reichen die 500 Milliarden Euro im ESM tatsächlich aus?

    Barthle: Nun, Herr Armbrüster, das kann heute noch keiner definitiv sagen. Die Finanzminister haben sich gestern beim Ecofin-Treffen darauf vereinbart, dass der Garantierahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus nicht erweitert werden soll, dass man zunächst einfach mal die Entwicklung abwarten will und zuversichtlich ist, dass dieses Volumen von 500 Milliarden ausreicht.

    Armbrüster: Aber Sie würden nicht ausschließen, dass da noch einmal nachgelegt wird?

    Barthle: Es wurde gleichzeitig vereinbart, dass man bis Ende März diese Frage nochmals prüfen will. Ich vermute, das hat den Hintergrund, dass im ersten Quartal des Jahres 2012, also bis Ende März, die großen Euroländer den größten Refinanzierungsbedarf haben. Das heißt, die müssen gemäß ihrer Emissionskalender relativ große Beträge von Staatsanleihen an den Finanzmärkten etablieren, und da wird es sich zeigen, ob dann die Risikoaufschläge so bleiben, dass sie verkraftbar sind.

    Armbrüster: Wenn jetzt also im März noch einmal geprüft wird, können wir dann davon ausgehen, dass das Wort von Finanzminister Wolfgang Schäuble nicht mehr gilt? Der hat ja mal gesagt, bei 211 Milliarden Euro wäre für Deutschland Schluss.

    Barthle: 211 Milliarden ist unsere Gewährleistungssumme, unser Rahmen beim EFSF. Der künftige ESM soll ja den EFSF ablösen und würde durch den Kapitalstock einen geringeren Gewährleistungsrahmen haben. Da sind wir dann bei, ich glaube, 168 Milliarden Gewährleistungen, die wir übernehmen müssten im maximalen Falle.

    Nun wird sicherlich hinter den Kulissen immer wieder darüber spekuliert, ob es nicht möglich wäre, im Falle eines eventuell eintretenden Notfalls, den momentan keiner sieht, aber der nicht ausgeschlossen werden kann, ob es dann möglich wäre, die beiden Volumina EFSF und ESM zusammenzuführen. Das ist eine Debatte, die hinter den verschlossenen Türen noch läuft, da gibt es nun überhaupt keine Beschlüsse dazu und da wird auch sicherlich vor Ende März keine Beschlusslage dazu entstehen. Aber das ist ein Gedankenspiel, das durchaus durchgespielt wird.

    Armbrüster: Aber klar ist ja – wir haben das gerade auch im Bericht von Volker Finthammer gehört -, dass diese beiden Fonds zunächst mal noch parallel weiterlaufen, zumindest bis Ende 2013.

    Barthle: Das ist mit Sicherheit so, denn die im EFSF laufenden Programme müssen ja weiter bearbeitet werden. Das Portugal-, das Irland-Programm, das muss noch abgewickelt werden, eventuell ein neues Griechenland-Programm, das noch in den Sternen steht. Also diese Anstalt des besonderen Zwecks, die ihren Sitz in Luxemburg hat, wird sicherlich nicht ihr Dasein beendet haben in dem Augenblick, wo der ESM wirksam wird.

    Armbrüster: Nun will ich noch mal zurückkommen auf eine mögliche Erhöhung des ESM. Gestern haben sich die Finanzminister wie gesagt auf 500 Milliarden Euro geeinigt. Jetzt gibt es einige prominente Fürsprecher, die jetzt schon sagen, das ist zu wenig, wir sollten da so schnell wie möglich noch einmal nachlegen. Unter anderem sind das der EZB-Präsident Mario Draghi und auch Christine Lagarde, die IWF-Chefin. Außerdem hat heute Morgen hier im Deutschlandfunk auch noch mal der Sachverständige Peter Bofinger nachgelegt. Das sind ja nicht gerade Leichtgewichte in der Finanzpolitik. Sollte man auf die nicht besser hören?

    Barthle: Ich wäre da sehr zurückhaltend und befinde mich da, glaube ich, in guter Gesellschaft mit der deutschen Bundeskanzlerin und dem deutschen Bundesfinanzminister – aus zwei Gründen. Erstens würde das dazu führen, dass wir eine erneute parlamentarische Debatte über den ESM grundsätzlich bekämen, die sehr schwierig zu führen wäre, wenn man das Volumen verdoppeln wollte.

    Zweitens ist der Grundansatz nicht derjenige, den wir bevorzugen. Ich glaube, man darf nicht immer nur noch mehr Geld ins Schaufenster stellen wollen, immer noch mehr Geld in die Hand nehmen, um damit die Probleme zu beseitigen, sondern es kommt darauf an, die strukturellen Probleme zu beseitigen. Das muss die zentrale Aufgabe der nächsten Wochen und Monate sein, und dazu bedarf es des Einverständnisses aller Euroländer, dass sie ernsthaft ihre Konsolidierungsbestrebungen vorantreiben, dass sie ernsthaft daran gehen, die Staatsverschuldung zurückzuführen, und dieser Punkt, der fehlt mir noch ganz massiv.

    Armbrüster: Aber, Herr Barthle, wir sehen ja gerade am Beispiel Griechenland, dass das mit der strukturellen Reform nicht so richtig klappt. Viele Leute sagen ja, viele ernsthafte Beobachter, dass Griechenland sich gerade kaputtspart, um diesen Anforderungen der Europäischen Union gerecht zu werden.

    Barthle: Man muss, glaube ich, sich vor Augen führen, dass das selbstverständlich nicht von heute auf morgen geht. Das sind immer länger währende Prozesse. Aber ich glaube, man darf auch bei Griechenland nicht von kaputt sparen reden, sondern Griechenland muss, wenn es auf Dauer seine Verhältnisse in Ordnung bringen will, herangehen an die Ausgaben, muss herangehen an die Einnahmen. Die beiden Punkte müssen behandelt werden.

    Armbrüster: Aber, Herr Barthle, das Land steckt seit drei, vier Jahren in einer tiefen Rezession und da ist kein Licht am Ende des Tunnels sichtbar. Ich würde sagen, oder, ich glaube, viele Leute würden sagen, kaputtsparen oder, davon kann man durchaus reden.

    Barthle: Nein! Es geht nicht um kaputt sparen, sondern es geht um nachhaltige Sanierung der Haushalte. Das erreicht man nicht, indem man einfach immer nur frisches Geld zur Verfügung stellt; das wird dann genauso schnell verbrannt. Das ist innerhalb eines Jahres verbraucht und die Probleme sind nicht gelöst. Also uns geht es darum, Lösungen zu finden, die dauerhaft wirksam sein können. Wenn man immer nur frisches Geld zuschießt, dann sind die Probleme nicht gelöst, sondern bleiben auf Dauer bestehen. Damit ist weder den Griechen, noch uns geholfen.

    Armbrüster: Nun setzen die Euro-Finanzminister Griechenland auch bei den Verhandlungen mit den internationalen Banken unter Druck. Griechenland soll in diesen Gesprächen, so heißt es jetzt, einen Zinssatz für Staatsanleihen von unter vier Prozent herausholen. Sollten diese Verhandlungen und solche Ziele, sollte das nicht eigentlich Sache der griechischen Regierung sein?

    Barthle: Das ist sehr wohl Sache der griechischen Regierung, die ja derzeit auch intensiv mit den Beteiligten des privaten Sektors verhandelt, um die Frage des Schuldenschnitts, und daraus resultiert dann natürlich, wie man mit den restlichen Staatsschulden Griechenlands umgeht. Ziel dieser Verhandlungen muss meiner Ansicht nach sein, einen Schuldenschnitt zu erreichen, der Griechenland die Perspektive eröffnet, mit den übrigen Schulden am Markt erfolgreich sich platzieren zu können.

    Armbrüster: Aber warum können die Euro-Finanzminister dann da so reinreden? Sollte das nicht wie gesagt Sache der griechischen Regierung sein zu sagen, welchen Zinssatz die Regierung herausholen will?

    Barthle: Das ist sicherlich als allererste Aufgabe die der griechischen Regierung. Dass die europäischen Finanzminister diesen Prozess aufmerksam verfolgen, gehört zu der Tatsache, dass ja eigentlich die europäischen Staats- und Regierungschefs schon im Oktober vergangenen Jahres beschlossen haben, ein zweites Griechenlandpaket aufzulegen, dieses aber abhängig ist von den zu erreichenden Bemühungen in Griechenland und von dem Schluss- und Abschlussbericht der Troika, die sich derzeit in Athen befindet, und auf diesen Bericht warten wir in Deutschland auch.

    Armbrüster: ... , sagt Norbert Barthle. Er ist der Obmann der Unions-Fraktion im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages. Besten Dank, Herr Barthle, dass Sie sich heute Mittag die Zeit genommen haben.

    Barthle: Bitte sehr, Herr Armbrüster.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.