Archiv

Studierende der Sozialarbeit
Praxiserfahrung sammeln in der Jugendstrafanstalt

Studierende der sozialen Arbeit treffen Insassen eines Jugendgefängnisses, um sie auf das Leben in Freiheit vorzubereiten. Die inhaltlichen Schwerpunkte setzen die Seminarteilnehmer selbst. Es soll nicht nur um Praktisches gehen, sondern auch um Themen wie Migration oder Klimaschutz.

Von Jens Falkowski | 27.01.2020
Blick auf die JVA Plötzensee in Berlin
Studierende sprechen mit Häftlingen über Themen wie die Vermeidung von Schulden oder Drogenkonsum (www.imago-images.de)
Die Studierenden der sozialen Arbeit der Hochschule Merseburg verschwinden hinter verschlossenen Türen in den Hafthäusern der Jugendanstalt Raßnitz. Sie treffen Insassen, die ähnlich alt sind wie sie und deren Zeit im Gefängnis bald vorüber ist. Weshalb sie im Gefängnis sitzen, spielt hier keine Rolle – wichtig ist vor allem, dass sie vorbereitet werden auf das Leben in Freiheit, findet zum Beispiel Jasmin Pfeffer, die in diesem Semester an dem Seminar teilnimmt:
"Heute reden wir noch mal über Schulden und vor allem darüber was man machen kann, wenn man Schulden hat, wie man Schulden vermeiden kann und was es für Beratungsstellen gibt."
Betreut werden die Studierenden von Jens Borchert, Professor für Sozialarbeitswissenschaft und Kriminologie an der Hochschule Merseburg. Im Rahmen seines Seminars wird die Arbeit mit den Häftlingen vorbereitet. Die Studierenden setzen die inhaltlichen Schwerpunkte selbst. Mit seinen Schützlingen ist er hochzufrieden:
"Sie sind von außen, kommen sie rein in die Jugendanstalt und sind da sehr engagiert, sehr interessiert an den Jugendlichen und haben dadurch auch einen sehr, sehr guten Zugang. Und können gleichzeitig aber auch klar machen, wo ihre persönlichen und individuellen Grenzen sind und ziehen diese auch sehr deutlich. Dadurch gibt es nicht eine oberlehrerhafte Belehrung oder so etwas, sondern einen Austausch."
Defizite im Strafvollzug
Doch nicht nur praktische Dinge wie die Vermeidung von Schulden oder Drogenkonsum stehen während des Seminars im Fokus. Eine unter der Mitarbeit von Borchert entstandene Studie, herausgegeben von der Anne-Frank-Stiftung, zeigt, dass es im Strafvollzug deutliche Defizite gibt, obwohl sich die Häftlinge durchaus für Themenbereiche wie Migration oder Klimaschutz interessieren. Hier möchte Borchert ansetzen, allerdings nicht um jeden Preis:
"Uns ist es besonders wichtig, die Jugendlichen nicht zu überrumpeln und denen irgendeine Ideologie aufzupfropfen, sondern tatsächlich mit ihnen zu sprechen und mittels bestimmter Methoden auf Themen wie Demokratie zu sprechen zu kommen. Das gelingt eigentlich immer sehr gut."
In einem Aufenthaltsraum in der Jugendanstalt Raßnitz sitzen Gefangene und Studierende im Kreis zusammen. Das Thema ist heute: der Konflikt im Iran. Die Studentin Anna Hadrys moderiert das Rollenspiel:
Anna Hadrys: "Es können eure privaten Meinungen mit der Rolle in Verbindung stehen"
Gefangener: "Dürfen wir sagen, was unsere Rolle ist?"
Hadrys: "Ich glaube, es ist interessant es nochmal im Nachhinein zu besprechen."
Gefangener: "Okay, also ich finde, was Konflikte angeht , was Krieg angeht, hat immer etwas mit Aktion und Reaktion zu tun. Der eine macht etwas, der andere findet es nicht gut, droht mit irgendetwas oder lässt dann irgendeine Aktion folgen."
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Gute Vorbereitung, Einfühlungsvermögen und gegenseitiger Respekt sind für die Studierenden elementar, damit die Arbeit mit den Gefangenen auch gelingen kann. Erschöpft, aber zufrieden kommt Anna Hadrys aus dem Seminar:
"Heute war ich tatsächlich unsicher, wie die das wahrnehmen würden und trotzdem fanden die das richtig gut. Ich bin jetzt auch wieder ein bisschen erschöpft, weil das ist ja auch eineinhalb Stunden Entertainment. Man muss das ja auch ein bisschen moderieren und muss dabei sein, man muss aufmerksam sein. Das ist anstrengend."
Für die einen ist es wertvolle Praxiserfahrung auf dem Weg zu ihrem späteren Berufsleben, für die anderen bedeutet es Hilfe dabei, sich ein Leben in Freiheit aufzubauen. Studierende und Gefangene, die sich auf Augenhöhe begegnen und sich dabei gemeinsam weiterbilden – wenn das klappt, hat Jens Borchert sein Ziel erreicht.