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Studentenproteste gegen Kürzungen gehen weiter

Das Land Berlin ist mit unvorstellbaren 50 Milliarden Euro verschuldet. Wie Tropfen auf den heißen Stein wirken da die verzweifelten Spar-Bemühungen des rot-roten Senats. Und dennoch: Für die von den Kürzungen Betroffenen geht es häufig um ihre Existenz. Auch die 3 Berliner Universitäten sollen weniger Geld erhalten. Ihr Etat soll bis 2009 um 75 Millionen Euro sinken. Ganze Studienfächer sind bedroht. Seit mehr als drei Wochen schon streiken die Berliner Studierenden und protestieren gegen die Kürzungen. Und das machen sie ausgesprochen originell.

Von Markus Rimmele | 03.12.2003
    Und allen anderen wünsche ich noch einen wunderschönen Abend und gute Erwärmung! - Applaus

    Das Klatschen tut den steifen Fingern gut. Ein eisiger Wind fegt über den Platz vor dem Roten Rathaus in Berlin-Mitte. Es ist schon dunkel – und weit über 100 Studenten haben auf Strohballen unter freiem Himmel das Seminar über "Demokratie-Theorien" verfolgt.

    Ich friere. Es ist doch sehr kalt. Wenn man hier eine Stunde sitzt, dann fängt es doch an sehr kalt zu werden.

    Öffentliche Vorlesungen – die zur Zeit gängigste Protestform der Berliner Studenten. In der S-Bahn, auf Straßen und Plätzen – an ihren Studenten kommen die Berliner nicht mehr vorbei. Sie sind überall und zwar rund um die Uhr. Auch nachts. Direkt neben dem Politikseminar vor dem Berliner Rathaus, dem Amtssitz des Regierenden Bürgermeisters, bereiten sich sieben Studenten auf die nächste Nacht unter freiem Himmel vor. Auf Matratzen, mit Decken umhüllt, sitzen sie unter dem hohen Backsteinturm und protestieren gegen Klaus Wowereit:

    Wir wollen einfach Präsenz zeigen. Wir wollen zeigen, dass wir nicht nachlassen, dass wir auch Sitzfleisch haben, weil er ja auch angekündigt hat, er wird das einfach aussitzen, so lange wie es dauert. Und das können wir auch. vielleicht sind es die Ziele, die uns irgendwie motivieren, weiter zu machen und die uns da am Leben erhalten.

    Denn manchmal, sagt Steffi, träumt sie einfach nur von einer heißen Badewanne.

    Zur gleichen Zeit am Potsdamer Platz: die längste Physikvorlesung aller Zeiten. 72 Stunden am Stück dozieren Professoren aller drei Universitäten in einem kleinen grünen Plastikzelt mit Heizung. Und davor eine Studententraube. Peter hatte die Idee zur der Mammut-Vorlesung und fragte seine Professoren, ob sie Lust hätten mitzumachen:

    Und der erste meinte gleich. Hm, ja, wann soll ich denn? Und wir so: Na ja, wahrscheinlich wird es nachts ein bisschen eng. Und da hat er sich mal von vier bis sechs Uhr nachts eingetragen. Und da das gleich der erste war, war das schon einmal ein gutes Vorbild für die anderen. Wir haben nicht alle reingekriegt in die 72 Stunden, alle Profs, die mitmachen wollten.

    In der vergangenen Nacht dann eine Hausbesetzung: Für ein paar Stunden ist das Rote Rathaus in der Hand der Studenten. Alles verläuft friedlich.
    Und am Morgen treffen sich schon wieder an die hundert Aktive zur großen Laubsammelaktion an der Siegessäule im Tiergarten:

    Wir machen uns auf den Weg. Die Trommler nach vorne. Und: Let’s kehr for education. - Applaus

    Let’s kehr for education – so das Motto. Und schon beginnen die Studenten mit Besen und Rechen das braune Laub aus dem Gebüsch zu holen. Und sie haben richtig Spaß dabei:

    Doch die Party-Stimmung trügt ein wenig. Den Studenten ist ihr Protest sehr ernst. Den Spaß brauchen sie einfach zum Weitermachen.

    Das muss bis nach Weihnachten reichen, weil, wenn das mit Weihnachten aufhört, dann hat das alles keinen Sinn gemacht.