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Studie
DDR-Dopingopfer häufiger psychisch krank

DDR-Dopingopfer sind häufiger von psychischen und psychosomatischen Krankheiten betroffen als die Normalbevölkerung - das geht aus einer Studie von Forschern aus Mecklenburg-Vorpommern hervor. Dopingopfer hoffen, dass die Studie zur weiteren Aufklärung der DDR-Dopingpraxis helfen kann.

Von Silke Hasselmann | 17.03.2019
Anabolikum - Oral Turinabol (Tablettenpackung der VEB Jenapharm)
Hersteller des am häufigsten verwendeten Anabolikums im DDR-Leistungssport war der VEB Jenapharm [*] (imago/Steinach)
Entsetzen bei den etwa 300 Besuchern des Symposiums in Schwerin, als sie Originalfilmaufnahmen aus den 70er-Jahre sehen: Eine recht brutal durchgeführte Leber- und Muskelbiopsie, vorgenommen am Leipziger Forschungsinstitut für Körperkultur und Sport an einem zuvor eigens zu Testzwecken gedopten jungen Ausdauerläufer. Man wollte erkunden, welche biochemischen Methoden zur sportlichen Leistungssteigerung wohl am besten wirken. Für die Zeit der aktiven Karriere, versteht sich. Langzeitfolgen für Körper und Seele? Egal.
Auch das flächendeckende Verabreichen aller möglichen Hormonpräparate, Beta-Blocker und Schmerzmittel an mitunter sogar noch minderjährige Leistungssportler war ein großangelegter Menschenversuch. Und zwar auch mit Folgen auch für die seelische Gesundheit der damaligen Sportler, sagt Dr. Jochen Buhrmann und erläutert die Studienergebnisse.
"Das, was wir dort festgestellt haben, hat uns selbst auch erstaunt. Das Ausmaß an posttraumatischen Belastungsstörungen, das Ausmaß an depressiven Störungen und eben das Ausmaß der Einschränkung der subjektiv empfundenen Lebensqualität von Zuversicht bis Lebensfreude und so weiter und so fort im Vergleich zu dieser repräsentativen Allgemeinbevölkerungsstichprobe."
Von Kindheitstraumatisierungen bis zu Depressionen
Dabei handelt es sich um die international anerkannte "Study of Health in Pomerania" (SHiP), bei der 2.400 Probanden aus der Querschnittsbevölkerung exakt jene Fragen beantwortet hatten, die nun auch den ehemaligen DDR-Hochleistungssportlern vorlagen. 78 Prozent derer, die geantwortet hatten, klagten über depressive Symptome. In der Vergleichsgruppe der Normalbevölkerung war es nur knapp ein Viertel.
Auch im Bereich Kindheitstraumatisierung sei ein besonders großer Unterschied festzustellen, so der Chefarzt der Psychosomatik bei den Helios Kliniken in Schwerin. Das zeige sich bei allen Antworten auf einer Skala von 1 bis 5 zu Fragen nach dem Grad körperlicher und seelischer Vernachlässigung, nach Gewalterfahrungen, nach Hunger - Letzteres keine Seltenheit vor allem in gewichtsrelevanten Sportarten wie Eiskunstlaufen und Turnen bis Wasserspringen und Boxen. Jochen Buhrmann über die Methodik der 2016 begonnenen Studie:
"Der Ansatz ist folgender, dass wir 13 Selbstbeurteilungsfragebögen zusammengestellt haben, die international für entsprechende Forschung im Einsatz sind. Wir haben an sämtliche Betroffenen, die sich zu dem Zeitpunkt an die Dopingopferhilfe gewendet haben, so ein Fragebogenpaket mit 13 Selbstbeurteilungsfragebögen geschickt - das waren im Ergebnis über tausend -, und haben davon ungefähr 270 zurückbekommen, die vollumfänglich verwertbar waren."
Werner Franke kritisiert Aussagekraft der Studie
"Ich gehöre zu denen, die mitgemacht haben. Ich habe lange gebraucht. Zwischendrin kamen wieder neue Diagnosen. Das weiß man auch nicht: Kommt das vom Doping oder nicht?", sagt Katy Pohl, eine frühere Volleyballerin beim Sportclub Traktor Schwerin. Sie wurde bereits vor einigen Jahren im Alter von nur 45 frühverrentet und ist inzwischen auch als DDR-Dopingopfer anerkannt. Nicht jeder Ex-Spitzenathlet sei heute schwer krank oder früh gestorben, sagt sie. Doch es sei auffällig, dass bei sehr vielen spätestens ab 45, 50 Jahren teils massive gesundheitliche Probleme auftreten - auch psychische. Die Studie könne helfen, möglichen Zusammenhängen zur früheren Dopingpraxis auf die Spur zu kommen.
"Wiedergutmachen kann man diesen Schaden nicht. Niemals. Und ich trete dafür ein, dass wir zum Beispiel eine politische Rente erreichen können, so dass wir gesundheitliche Probleme kompensieren können, indem wir uns Behandlungen ermöglichen, die so nicht möglich sind."
Doch mit Professor Werner Franke kritisiert ausgerechnet jener Mann Methodik und Aussagekraft der Studie, der unmittelbar nach der Wiedervereinigung das DDR-Dopingsystem mitaufgedeckt hatte. Inzwischen behauptet der Molekularbiologe, jeder Sportler hätte damals eine Wahl gehabt, zuzugreifen oder abzulehnen. Die vom Bund geplante Verlängerung des Dopingopferentschädigungsgesetzes über 2019 hinaus sei unnötig. Unverständlich für Jochen Buhrmann:
"Erstens hätte Herr Franke, bevor er diese Äußerung tut, mit uns ja Kontakt aufnehmen können, um sich im kollegialen Austausch erst einmal zu informieren, bevor er solche Schlussfolgerungen zieht. Und zweitens: Wir haben doch auch heute wieder in allen Grußworten und Vorträgen darüber gesprochen, dass die Datenlage, die Beweislage eindeutig ist, dass es staatliches Doping in der DDR nach dem bekannten Staatsplan 14.25 gegeben hat ab 1974, und die damals beteiligten Planer schon wussten, dass wenigstens 20 Prozent der Betroffenen krank werden würden. Und wir wissen, dass wenigstens 10.000 davon betroffen waren."

[*] In der ursprünglichen Bebilderung des Textes wurden Präparate westeuropäischer Firmen gezeigt. Den Fehler haben wir korrigiert.