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Studie des Europarates
Journalisten zensieren sich selbst

Journalisten haben mit psychischer Gewalt, Verleumdung und Einschüchterungsversuchen bei ihrer Arbeit zu tun, besagt eine aktuelle Studie des Europarates. Sogar die Erfahrung von Kollegen würde Angst verursachen und zur Selbstzensur führen.

Von Thomas Otto | 20.04.2017
    Zettel mit der Aufschrift "Presse" sind in einem Gerichtssaal an Stühlen angebracht.
    Der Druck auf Journalisten führt in manchen europäischen Ländern zur Selbstzensur, kritisiert der Europarat. (dpa)
    Demütigung, Herabsetzung, Einschüchterungsversuche, Verleumdung, Schmutzkampagnen: Vor allem von psychischer Gewalt berichteten die 940 Journalisten, die in der Studie des Europarates befragt wurden. Weit mehr als jeder zweite Befragte habe das in den vergangenen drei Jahren erlebt. Ebenfalls mehr als die Hälfte berichtete von Angriffen im Netz: Vorwürfe der Parteilichkeit, persönliche Angriffe und Beleidigungen. Erst danach folgten Einschüchterungen durch Interessenvertreter oder Politik, Gewalt, Überwachung oder Diebstahl.
    "Es gibt einen Trend dahin, dass Journalisten häufiger bedroht werden. Selbst in Ländern, in denen man glaubte, dass Journalisten sicher arbeiten könnten, beobachten wir nun offene, physische Bedrohung von Journalisten" stellt Thorbjørn Jagland, der Generalsekretär des Europarates, fest.
    Journalisten sind in Europa psychischer Gewalt ausgesetzt
    Befragt wurden Journalisten aus den 47 Staaten des Europarates plus Weißrussland. In die fünf Regionen EU und Westeuropa, Osteuropa, Südosteuropa, Türkei und Südkaukasus aufgegliedert zeigen sich deutliche Unterschiede, hat Studienleiterin Marilyn Clark von der University of Malta festgestellt: "Die üblichen Verdächtigen wie die Türkei haben hier hohe Werte, auch Osteuropa. Aber auch in Westeuropa stellen wir signifikant hohe Werte bei der Einflussnahme fest. Es sind also nicht nur die üblichen Verdächtigen."
    In den Staaten Westeuropas hätten es Journalisten vor allem mit psychischer Gewalt und Cyber-Mobbing – etwa Beschimpfungen in sozialen Netzwerken - zu tun. Ähnliches gelte für die Türkei, wo außerdem Einschüchterungsversuche der Polizei hinzukämen. In den Ländern des Südkaukasus sei hingegen die Androhung von Gewalt und deren tatsächliche Anwendung das Hauptproblem. Dabei seien freie Journalisten laut Studienergebnis prinzipiell häufiger von Einschüchterungsversuchen betroffen als Festangestellte.
    Etwa ein Viertel der Befragten gab an, schon einmal durch die Justiz eingeschüchtert worden zu sein, so Studienleiterin Marilyn Clark: "Wir haben auch starke Einflussnahme durch die Justiz festgestellt, durch Strafverfahren, Verhaftungen oder deren Androhung. Vor allem werden dafür Gesetze gegen Verleumdung genutzt. Das beobachten wir vor allem in Westeuropa."
    Angst führt zur Selbstzensur
    Ähnlich sehe die Situation in Südosteuropa aus. Anders in Osteuropa, der Südkaukasus-Region und der Türkei: Hier müssten Journalisten vor allem fürchten, aufgrund von Anti-Terror-Gesetzen oder Gesetzen zur öffentlichen Ordnung angeklagt zu werden.
    Und all diese Versuche, auf Journalisten Einfluss zu nehmen, blieben nicht ohne Erfolg, erklärt Clark:
    "Viele Journalisten erzählen, sie hätten kritische Berichte abgemildert und dass sie bestimmte Dinge anders schreiben, um weniger anzuecken."
    Selbstzensur sei das Ergebnis. Dazu kämen Sorgen um die eigene Sicherheit und die der Angehörigen, Angst vor körperlicher Gewalt und Sorge um den Schutz von Informanten.
    Aber nicht nur eigene Erlebnisse hätten einen Einfluss auf Journalisten – schon die Angst davor, zum Beispiel ausgelöst durch Erfahrungen von Kollegen, könne Journalisten laut Studie zur Selbstzensur bringen.
    Doch dass Journalisten zwangsläufig zurückhaltender berichten, wenn sie Einschüchterungsversuche erleben, widerlegt diese Studie auch: Manche Medienvertreter, die online bedroht werden, zeigten eine "Jetzt erst recht"-Haltung und fühlten sich in ihrer Arbeit bestätigt.
    Studie ist möglicherweise nicht akkurat
    Ganz unproblematisch sind die Ergebnisse nicht, dessen ist sich auch Marilyn Clark bewusst. Die in dem Papier genannten Zahlen sagen lediglich etwas über die befragten 940 Journalisten aus: "Wir müssen vorsichtig sein, die Ergebnisse nicht auf alle Journalisten zu generalisieren. Es könnte sein, dass schikanierte Journalisten den Fragenbogen mit höherer Wahrscheinlichkeit ausgefüllt haben, weil sie das Thema selbst betrifft."
    Es könnte also eine Verzerrung geben, die Ergebnisse sind nicht repräsentativ. Deshalb ermöglicht die Studie auch keine Aussage dazu, wie groß der Anteil der betroffenen Journalisten insgesamt ist.
    Der Europarat plane bereits die nächste Studie, erklärt Studienleiterin Clark. Dann soll genauer untersucht werden, wie Journalisten mit Einflussnahme umgehen und welche Strategien sie dafür entwickeln.