Dienstag, 16. April 2024

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Studie des Medizinischen Dienstes
Noch immer hohe Dunkelziffer bei Behandlungsfehlern

OP-Werkzeug im Körper vergessen, falsches Medikament verabreicht, Körperteile verwechselt: 120 schwerwiegende Behandlungsfehler hat der Medizinische Dienst der Krankenversicherung im vergangenen Jahr gezählt. Insgesamt hat er mehr als 13.500 Fehlervorwürfe untersucht - mit ernüchternder Bilanz.

Von Panajotis Gavrilis | 05.06.2018
    OP-Team im Behnadlungsaal bei einer Operation
    Die Zahl der Behandlungsfehler insgesamt ist gesunken, die Dunkelziffer nach wie vor hoch, teilt der Medizinische Dienst mit. (picture alliance / Rolf Kremming)
    Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung hat über 13.500 Fehlervorwürfe untersucht. Bei 3.337 Behandlungsfehlern sind Patientinnen und Patienten zu Schaden gekommen.
    "Bei jedem vierten Fall konnte der Verdacht auf einen Behandlungsfehler bestätigt werden. Bei jedem fünften Fall konnte auch die für mögliche Schadensersatzansprüche so wichtige Kausalität festgestellt werden. Das bedeutet, dass nachgewiesen wurde, dass der Fehler auch tatsächlich Ursache für den eingetretenen Schaden war", sagt Stefan Gronemeyer. Er ist leitender Arzt und stellvertretender Geschäftsführer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen.
    "Fehler, die eigentlich nie passieren dürfen"
    Er stellt weiter fest: "Nach nun mehr sieben Jahren Berichterstattung fällt unsere Bilanz ernüchternd aus: Wir sehen immer wieder die gleichen Fehler. Auch Fehler, die eigentlich nie passieren dürften, sogenannte 'Never Events' gibt es immer wieder. Das sind Fehler, die besonders folgenschwer sind und eigentlich sehr gut zu vermeiden wären."
    Unter "Never Events" wird verstanden, dass zum Beispiel OP-Werkzeug im Körper vergessen, Patienten oder Körperteile verwechselt oder das falsche Medikament verabreicht wurde. Von diesen schwerwiegenden Fehlern zählt der Medizinische Dienst 120 Fälle.
    In der Orthopädie und Unfallchirurgie wurden die meisten Fehler – über 1.100 festgestellt. Damit bestätigten sich knapp über ein Viertel der Vorwürfe. In der Pflege, Zahnmedizin und in der Frauenheilkunde war es am häufigsten so, dass ein Fehler festgestellt werden konnte. Bei der Pflege zum Beispiel seien die Fehler bei den Patienten auch von Angehörigen einfacher zu erkennen.
    Gronemeyer: Konkrete Maßnahmen fehlen
    Wie viele Fehler tatsächlich in Deutschland passieren und Menschen zu Schaden kommen – wissen wir nicht, betont Astrid Zobel, leitende Ärztin vom MDK Bayern: "Diese Statistik gibt das Behandlungsgeschehen wieder, das wir in den Medizinischen Diensten begutachten. Die Zahlen sind nicht repräsentativ für die Behandlung allgemein und deswegen kann man auch aus diesen Zahlen nicht rückschließen, dass beispielsweise eine gynäkologische Behandlung risikobehafteter wäre als ein unfallchirurgischer Eingriff."
    Es wird mit einer hohen Dunkelziffer um die 100.000 gerechnet. Stefan Gronemeyer fordert deshalb mehr Transparenz: "Was fehlt, sind konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Patientensicherheit, um möglichst viele Patienten vor Schäden zu schützen. Eine nationale "Never Event"-Liste und eine Meldepflicht für diesen kritischen Ereignisse wären wichtige Schritte."
    Bundeszentralregister gefordert
    Auch Eugen Brysch vom Vorstand der "Deutschen Stiftung Patientenschutz" fordert von der Politik, hier nachzubessern: "Alarmierend sind die Fakten deshalb, weil die Dunkelziffer viel, viel höher ist. Auch die Bundesregierung geht von mehr als 100.000 Fehlern aus. Und so wäre es die Pflicht des Bundesgesundheitsministers endlich dafür zu sorgen, dass wir ein Bundeszentralregister bekommen für diese Fehler in der Behandlung und in der Pflege. Aber darüber hinaus auch endlich einen Entschädigungsfond, der die schwersten Fälle ablindert, die wir haben. Die Menschen müssen zum Teil über Jahre prozessieren, das ist unwürdig."
    Die Zahl der tatsächlichen Fehler bleibt unbekannt. Was wir aber wissen: Laut statistischem Bundesamt gab es 2016 19,5 Millionen Behandlungsfälle in Krankenhäusern und es gibt etwa eine Milliarde Arztkontakte im Jahr.