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Studie
Diversität in den Redaktionen? Ja, aber

Verantwortliche der meisten Medienhäuser bewerten die gesellschaftliche Vielfalt in Deutschland positiv. Doch das Personal spiegelt das nicht wider: In deutschen Redaktionen gibt es einer Untersuchung zufolge nur wenige Führungskräfte mit Migrationshintergrund.

Von Michael Borgers | 11.05.2020
Ein Kameramann filmt einen Mann mit Mikrofon
Journalismus in Deutschland wird in weiten Teilen noch von Menschen gemacht, die keine Einwanderungsgeschichte haben, vor allem in den Führungsetagen der Redaktionen (picture alliance / Robert B. Fishman)
"Viel Wille, kein Weg", so fassen die Neuen Deutschen Medienmacher*innen die Ergebnisse ihrer Untersuchung zusammen. Die Initiative setzt sich seit mehr als zehn Jahren dafür ein, dass die Stimmen von Menschen mit Migrationshintergrund sicht- und hörbarer werden in deutschen Medien.
Doch wer hat dort das Sagen? Wie genau setzen sich eigentlich die Chefetagen zusammen? Geschäftsführerin Konstantina Vassiliou-Enz während einer Pressekonferenz per Videoschalte.
"Die Chefredakteur*innen mit und ohne Migrationshintergrund sind zum ersten Mal erhoben worden, das ist noch nie gezählt worden. Und das Ergebnis ist einigermaßen überraschend."
Von den 126 Befragten wurden die meisten mit deutscher Staatszugehörigkeit geboren. Nur acht Verantwortliche oder mindestens eines ihrer Elternteile stammen aus Nachbar- oder anderen EU-Ländern.
"Keine Drittländer, keine strukturell benachteiligten Minderheiten, die sozusagen in den Chefredaktionen vertreten sind."
Zu wenig, finden die Neuen Deutschen Medienmacher*innen. Zumal die Antworten der Medienhäuser nicht den Eindruck erweckten, künftig an dieser Situation etwas ändern zu wollen.
Und wie viele in den Redaktionen?
Doch zumindest jenseits der Chefetagen habe sich einiges bewegt, hier zieht die Nichtregierungsorganisation ein positives Fazit. In vielen deutschen Publikationen und in vielen Programmen seien inzwischen Kolumnistinnen und Reporter, Nachrichtensprecher und Moderatorinnen zu lesen oder zu hören, die in Einwandererfamilien aufgewachsen seien.
Allerdings, schränkt Konstantina Vassiliou-Enz ein: Wie hoch genau dieser Anteil sei, habe man nicht erfassen können mit der aktuellen Studie. Denn: Solche Zahlen würden von fast keiner Redaktion in Deutschland erhoben:
"Hier sind so zwei Zitate, die repräsentieren, was am häufigsten geantwortet wurde, nämlich zum einen, dass gesagt wurde: Ja, aber es ist doch ein Zeichen von Toleranz und Fortschritt in der Sache, wenn man eben nicht nach dem Migrationshintergrund fragt und es auch nicht erhebt. Und dann, das zweite Argument: Zum einen ging‘s um Datenschutzgründe, die angeführt wurden, aber auch Anti-Diskriminierungsgründe."
Zunehmende Sensibilität
In einem weiteren Teil habe man die Medienhäuser gefragt, wie sie grundsätzlich die Frage der Diversität in Redaktionen einschätze. Die Antwort der meisten darauf: positiv. Die Arbeit von Journalistinnen aus Einwandererfamilien sei wichtig, einerseits um Diskriminierung zu überwinden, andererseits um ein besseres journalistisches Produkt zu erhalten.
Auf der einen Seite Vielfalt zu befürworten, auf der anderen aber nicht konsequent umzusetzen - wie dieser scheinbare Widerspruch zustande kommt, das zu verstehen, hat Christine Horz im Rahmen der Studie versucht. Hierzu hat die Kölner Kommunikationswissenschaftlerin Gespräche mit fünf Medienverantwortlichen geführt.
"Wir wollten, aufbauend auf der Frage, wie vielfältig die journalistischen Redaktionen besetzt sind, auch wissen, wie die Einstellungen der Chefredakteure zu diesem Thema sind. Zweitens wollten wir natürlich wissen, welche Anstrengungen unternommen werden in den institutionalisierten Medien, um diese Defizite auszugleichen?"
"Aber ich würde nicht danach casten"
Ein Ergebnis: Die Sensibilität für das Thema – auch mit Blick auf die redaktionellen Inhalte – habe grundsätzlich zugenommen. Mit Blick auf das eigene Personal habe beispielsweise ZDF-Chefredakteur Peter Frey anerkannt, dass es für Menschen mit Migrationshintergrund einen "Zugang zum journalistischen Beruf" geben müsse.
Aber was tun die Verantwortlichen dafür? Die Antwort von Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt zeige, dass "eine positive Einstellung nicht unbedingt in positiven Maßnahmen mündet", sagt Christine Horz:
O-Ton Christine Horz: "Herr Poschardt sagt, jede Diversität macht uns in der Wahrnehmung breiter und ist eine Bereicherung, aber ich würde nicht danach casten."
Positiv-Beispiel BBC
Als positives Beispiel empfehlen die Neuen Deutschen Medienmacher*innen den Blick nach Großbritannien. Von der Strategie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt dort, der BBC, könne man in Deutschland viel lernen, sagt die Geschäftsführerin des Vereins, Konstantina Vassiliou-Enz:
"Jetzt geht es nicht um einzelne Sendungen oder irgendwas, sondern dass die ziemlich umfangreich ist und umfassend, was die Ziele angeht."
So habe die BBC Quoten für seine Angestellten – auch für seine Führungskräfte.
"Und ich weiß, es gibt Vorurteile gegenüber Quoten. Aber man sollte wissen, dass Quoten nur bei gleicher Qualifikation greifen."
Ziel aller Medienhäuser müsse es doch sein, neue Zielgruppen für ihre Angebote zu erschließen. Und das sei nur möglich mit einem Personal, das die Zielgruppen verstehen und deshalb auch ansprechen kann.