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Studie
Modeindustrie kehrt vermehrt nach Europa zurück

Laut einer Studie wird der Standort Europa für die Modeindustrie wieder interessant. Hier lassen sich Transport- und Importkosten sparen. Fairer wird die Mode dadurch aber nicht unbedingt - auch in der Türkei oder Großbritannien sind die Arbeitsbedingungen mitunter schlecht.

Sandra Pfister im Gespräch mit Mario Dobovisek | 17.10.2018
    Näherinnen in einer Textil-Manufaktur in der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Hier werden Herrenhosen für Deutschland und Skandinavien hergestellt.
    Die Studie spricht von einer Renaissance der Modeproduktion in Europa (Leila Knüppel)
    Mario Dobovisek: Gestern haben wir über C&A geredet, an dieser Stelle, und heute bleiben wir bei der Modeindustrie. Es gibt eine neue Studie, und zwar von der Unternehmensberatung McKinsey und der RWTH Aachen. Und diese Studie behauptet etwas ganz Erstaunliches: dass nämlich die Modeproduktion vermehrt nach Europa zurückkehrt. Sandra Pfister ist hier aus unserer Wirtschaftsredaktion. Wie kommt das?
    Sandra Pfister: Ja, seit den 80er, 90er Jahren wurde die Produktion verlagert, fast alle west-europäischen Spinnereien und Nähereien sind den Bach runtergegangen, in Manchester, in Liverpool, bei uns in Ostwestfalen. Und damals sind die Modefirmen erst nach Osteuropa gezogen, und dann nach Asien.
    Und jetzt das: eine Renaissance der Modeproduktion in Europa. Ich bin ein bisschen skeptisch, denn China und Bangladesch sind nach wie vor die Haupt-Lieferländer, das geben die Autoren zu – aber anscheinend verschiebt sich gerade was.
    Asien bekommt Konkurrenz aus der Türkei
    Dobovisek: Warum? Was macht denn auf einmal Asien weniger attraktiv?
    Pfister: Die Konkurrenz aus der Türkei. In Ostanatolien sind die Arbeitslöhne immer noch niedrig – während sie in China zum Beispiel steigen. Und wenn man dann die Transport- und Importkosten noch hinzunimmt, dann kostet eine Jeans aus der Türkei in der Herstellung drei Prozent weniger als eine Jeans aus China. Es ist nicht etwa so, dass die Unternehmen nach all den Skandalen in Bangladesch sagen: Wir wollen ethisch bessere Mode machen. Billiglöhne in der Türkei rechnen sich.
    Dobovisek: Wegen der gestiegenen Löhne in China.
    Pfister: Ja, und weil die Modekonzerne heute unglaublich schnell ihre Kollektionen wechseln müssen. Zara hat da den Takt vorgeben, spätestens alle zwei Wochen. Und wenn dann ein Mantel oder eine Bluse 20 bis 30 Tage mit dem Schiff unterwegs ist hierher, dann läuft das nicht. Deswegen lässt Zara die schnelllebigen Sachen, mehr als die Hälfte der Waren, in Spanien, Portugal, der Türkei und Marokko nähen.
    Arbeitsbedingungen oft auch in Europa schlecht
    Dobovisek: Kann es denn dann sein, dass es in Europa demnächst wieder eine Renaissance der Textilindustrie geben wird?
    Pfister: Ich glaube nicht, dass da wieder viele Leute beschäftigt sein werden. Nicht, so lange Europäer wenig Geld für Mode ausgeben wollen. Vielleicht wird viel von Maschinen genäht und gestrickt werden, danach sieht es aus. Oder die Löhne sind so niedrig und die Sicherheitsstandards so mies wie bislang oft in Asien. Wer arbeitet unter den Bedingungen? Türken in Anatolien, oder Rumänen und Bulgaren. Oft für Hungerlöhne und unter schlechten Bedingungen. Nur, weil "Made in Europe" drauf steht, bedeutet das noch lange nicht, dass es fair hergestellt ist.
    In Großbritannien, zum Beispiel, da gibt es so eine Renaissance von Nähereien in der alten Textilstadt Leicester, die beliefern Online-Modeläden wie Boohoo oder Missguided. Aber die Uni Leicester hat dort mal die Arbeitsbedingungen untersucht und sagt: Da arbeiten vor allem Migrantinnen, die superschlecht Englisch sprechen, die finden sonst keine Jobs; oder die haben keine gültigen Papiere, sind also illegal. Und die können sich nicht wehren, wenn sie keine Verträge kriegen, oder keinen Urlaub, oder in Cash bezahlt werden, oft so um die drei Pfund pro Stunde, etwa vier Euro. Das sind quasi Sweatshops in der ersten Welt.