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Studie
Religion schützt womöglich vor Depressionen

Mehrere Studien zeigen, dass Menschen, denen ihre Religion wichtig ist, besser mit ihren Krankheiten klar kommen. Eine neue Studie legt auch nahe, dass sich bei religiösen Menschen bestimmte Hirnstrukturen so verändern, dass die Patienten weniger anfällig für Depressionen sind.

Von Lucian Haas | 24.03.2014
    Auf die Idee, die Zusammenhänge zwischen Religiosität und Gesundheit zu erforschen, kam der US-Mediziner Harold Koenig schon vor 30 Jahren. Damals war er noch Krankenpfleger und machte immer wieder ähnliche Beobachtungen.
    "Religion war für einige meiner Patienten sehr wichtig. Sie nutzten ihre religiösen Überzeugungen, um besser mit ihren Krankheiten zurechtzukommen. Und das taten sie dann auch. Damals dachte ich, dass das, was ich im klinischen Alltag erlebe, erforscht werden müsste. Vielleicht wirkt Religion ja auch allgemein positiv auf die Gesundheit."
    Heute ist Harold Koenig von der Duke University in Durham einer der weltweit führenden Wissenschaftler, wenn es um Fragen rund um Religion, Spiritualität und Gesundheit geht. Dutzende Studien hat er schon selbst durchgeführt und hunderte Arbeiten anderer Forscher zu diesem Themengebiet ausgewertet. Die Ergebnisse sind in den meisten Fällen recht eindeutig.
    "Wenn ich die üblichen Folgerungen zusammenfasse, so zeigt sich, dass Menschen, die religiös sind, sowohl eine bessere geistige als auch eine bessere körperliche Gesundheit haben. Das ist jetzt sehr allgemein gesagt, aber es scheint zuzutreffen: Religiöse Menschen tendieren dazu, gesünder zu sein."
    Besonders deutlich zeigen sich solche positiven Zusammenhänge bei psychischen Krankheiten, vor allem bei Depressionen. Nach Angaben von Harold Koenig gibt es schon mehr als 180 ernstzunehmende Studien über die Zusammenhänge von Spiritualität und Depression. Zwei Drittel von ihnen lassen erkennen, dass religiöse Menschen seltener von depressiven Stimmungen geplagt werden. Dabei ist es nicht von Bedeutung, welcher Religion die Studienteilnehmer angehörten.
    "In den meisten Fällen hängen Depressionen ja mit schwierigen Lebensumständen zusammen. Menschen sind überwältigt von einem Verlust. Und nach einiger Zeit geben sie auf, weil es für sie keinen Unterschied macht, egal was sie tun. Hier hilft der Glaube, in dem er negativen Erlebnissen im Leben einen Sinn gibt. Da gibt es Gedanken wie: Gott hat das zugelassen, damit es mich stärker macht. Da kann noch etwas Gutes daraus werden, denn Gott hat das in der Hand. Solche Überzeugungen geben einem Verlust, geben Stress und Trauma eine Bedeutung. Das hilft, die Depression abzuwenden, die sich ansonsten daraus ergeben würde."
    Folgt man diesen Vorstellungen, dann ist es die Kraft der positiven Gedanken, die den religiösen Menschen dabei helfen, seltener Depressionen zu entwickeln. Aber: Es könnte auch noch mehr sein. Kürzlich sorgte eine andere Forscherin aus den USA mit einer außergewöhnlichen Studie für Aufsehen. Myrna Weissman von der Columbia University in New York betreut als Psychiaterin schon seit Jahren eine Gruppe von Probanden, von denen einige – erblich bedingt – ein besonders hohes Risiko aufweisen, in ihrem Leben Depressionen zu entwickeln. Doch die Langzeitdaten zeigen: Bei jenen Risikopatienten, die sich als religiös bezeichnen, ist das Risiko, innerhalb von zehn Jahren eine Depression zu entwickeln, um 90 Prozent reduziert. Und das hinterlässt offenbar sogar Spuren im Gehirn. Myrna Weissman:
    "Im Rahmen der Studie haben wir auch das Gehirn der Patienten mit bildgebenden Verfahren untersucht. Dabei zeigte sich, dass Probanden mit einem hohen Depressionsrisiko im Vergleich zu anderen mit einem geringen Risiko in manchen Bereichen des Gehirns einen dünneren Cortex, also eine dünnere Hirnrinde besitzen. Wir haben dann die Hypothese aufgestellt, dass Patienten, die einen starken Glauben besitzen, der ihnen einen schützenden Effekt beschert, einen dickeren Cortex haben müssten. Und genau das haben wir gefunden."
    Auf die Frage, wie es zu solchen Einflüssen des Glaubens auf Gehirnstrukturen kommen kann, sagt Myrna Weissman: Sie habe keine Ahnung. Allerdings hält sie diesen Fund für so spannend, dass sie schon eine neue, prospektive Studie mit rund 100 Probanden gestartet hat.
    "Wir wollen über Jahre hinweg Gehirnscans wiederholen. So können wir sehen, ob bei Menschen, die ihre religiöse Einstellung ändern, sich auch Veränderungen in den Hirnstrukturen zeigen. Genauso möchte ich untersuchen, ob bei Menschen, die mit der Zeit spiritueller werden, auch irgendwelche Änderungen im Gehirn auftreten."
    Harold Koenig ist von der Arbeit Myrna Weissmans sehr angetan.
    "Das ist eine sehr wichtige Studie. Zum ersten Mal wird gezeigt, dass es Unterschiede im Gehirn von Menschen gibt, denen Religion etwas bedeutet, im Vergleich zu Menschen, denen Religion weniger wichtig ist. Und diesen Unterschied kann man im Gehirn sogar messen."
    Das ist in diesem Forschungszweig ein Novum. Bisher basierten Studien zu Religion und Depression allein auf Befragungen. Die Antworten waren deshalb subjektiv. Etwas objektiv Messbares gab es nicht. Harold Koenig glaubt, dass die neuen Erkenntnisse helfen könnten, Ärzte davon zu überzeugen, die Religiosität ihrer Patienten verstärkt auch bei klinischen Behandlungen zu berücksichtigen.
    "Wenn man religiöse Patienten hat und vor allem solche, die mit schwierigen Lebensumständen zu kämpfen haben, dann sollte man sie nach ihrem Glauben fragen und das auch vom klinischen Standpunkt her unterstützen, anstatt es zu ignorieren. Es geht darum, die Religion als eine Ressource für den Patienten zu sehen und sie für die Therapie einzusetzen."
    Harold Koenig selbst arbeitet derzeit an einer ersten großen randomisierten Studie in diese Richtung. Es geht darum, den Erfolg einer religiös basierten kognitiven Verhaltenstherapie bei Patienten mit Depression zu messen. Erste Ergebnisse könnten in ein bis zwei Jahren vorliegen.