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Studie über Bischof in der NS-Zeit
"Nationalreligiös, nicht nationalsozialistisch"

Der frühere Erzbischof von Paderborn Lorenz Jaeger mobilisierte in Predigten für den angeblich gerechten Krieg Hitlers. Eine neue Studie im Auftrag des Erzbistums entlastet den Kardinal von dem Verdacht, er sei ein rassistischer Nationalsozialist gewesen - und bemüht sich um Differenzierung.

Von Michael Hollenbach | 11.08.2020
(L-r): Der päpstliche Nuntius Bischof Aloysius Muench, NN, Kardinal Joseph Frings und Erzbischof Lorenz Jaeger. Am 01.09.1949 wurde in Bochum der bis zum 04.09.1949 dauernde 73. Deutsche Katholikentag eröffnet.
Unterstützte Hitlers Krieg im Osten, aber aus anderen Motiven als die Nationalsozialisten: der Paderborner Erzbischofs Lorenz Jaeger (Picture Alliance / dpa)
"Lorenz Jaeger. Ein Erzbischof in der Zeit des Nationalsozialismus": So der Titel der rund 450 Seiten starken Studie, die die katholische Theologische Fakultät Paderborn im Auftrag des Erzbistums erstellt hat. Dabei mussten sich die Theologen, Historiker und Journalisten mit Zitaten von Lorenz Jaeger auseinandersetzen, die in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder für Irritation und Kritik gesorgt haben. So erklärte Jaeger, der bis 1941 Divisionspfarrer im Rang eines Majors war, bei seiner Bischofsweihe am 19. Oktober 1941:
"Alles Große muss durch Kampf errungen werden, auch das Gottesgeschenk des Friedens. Das kostet Kampf gegen sich selbst, Kampf gegen die Welt, die sich von Gott getrennt hat. Jeder Kampf bringt Opfer und Wunden. Aber was tut das? Der wahre Christ trägt das Kreuz Christi, die Siegel seiner Auserwählung, mit demselben Stolz wie der Soldat sein eisernes Kreuz."
Bischofskreuz und Eisernes Kreuz
Auf Porträtfotos sieht man Jaeger tatsächlich mit Bischofskreuz, zwei Eisernen Kreuzen und dem Hohenzollernorden, Auszeichnungen, die er für seinen soldatischen Einsatz im Ersten Weltkrieg erhalten hat.
"Es ist unstrittig, dass die Erfahrung des Krieges, die Erfahrung Soldat zu sein, für ihn ganz wichtig gewesen ist. Und seine Haltung und sein Denken, sogar sein Sprechen, geprägt hat."
Sagt Josef Meyer zu Schlochtern, Paderborner Professor für Fundamentaltheologie und Herausgeber der Studie. "Eine nationale Prägung ist in seinem Denken und Sprechen ganz offenkundig."
Der Frieden von Versailles sorgte für Unmut
Allerdings möchte Meyer zu Schlochtern dies nicht als "nationalistisch" gewertet wissen. Und Dietmar Klenke, Historiker für Neueste Geschichte in Paderborn und einer der Autoren der Studie, verweist auf die prägenden Erfahrungen Jaegers im und nach dem Ersten Weltkrieg. Die Ablehnung der Versailler Friedensordnung habe sich bis ins liberale und linke Lager erstreckt:
"Das spielte bei Jaeger eben auch selber eine sehr große Rolle. Er hat immer wieder betont, auch nach 1945 gegenüber Besatzungsoffizieren, dass er in der verfehlten Nachkriegsordnung nach dem Ersten Weltkrieg eine der Hauptursachen sehe für den Aufstieg des Nationalsozialismus."
Blick auf die Menschenmenge während einer Massendemonstration gegen die Friedensbedingungen des Versailler Vertrages im August 1919 im Berliner Lustgarten.
Der Versailler Vertrag wurde von vielen Deutschen als ungerecht empfunden (picture-alliance / dpa-Bildarchiv)
Eine Sicht, die von der modernen Geschichtsschreibung durchaus gedeckt werde, meint Klenke:
"Christopher Clark und die neueren Einsichten der letzten zwei Jahrzehnte über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges haben dazu geführt, dass die seit Jahrzehnten etablierte These von der reichsdeutschen Hauptverantwortung für den Ausbruch des Ersten Weltkrieges so nicht mehr haltbar ist."
"Der Untergang des Abendlandes"
Aber kann dieser neue Blick auf die Ursachen des Ersten Weltkrieges und die Nachkriegsordnung 1919 die kirchliche Unterstützung der Hitler'schen Angriffskriege relativieren, ja rechtfertigen? Zu den verstörenden Äußerungen des damaligen Erzbischofs Lorenz Jaeger gehört auch sein Hirtenwort vom 25. Februar 1942 – gut ein halbes Jahr nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion:
"Eine tödliche Gefahr für unsere ganze Kultur ist dicht an uns vorübergegangen, beinahe wäre er Wirklichkeit geworden, der so oft beschriebene und beschrieene Untergang des Abendlandes. Vom Osten her drängten ungeheure Massen heran, bereit, die Welt unserer Kultur zu zerstören. Im kraftvollen Gegenstoß sind sie abgewiesen worden."
Katholische Bischöfe in der NS-Zeit - "Ich würde es Kriegsbeihilfe nennen"
Die Deutsche Bischofskonferenz hat ein Schuldbekenntnis abgelegt – 75 Jahre nach Kriegsende. Ihre Vorgänger seien in den nationalen Zeitgeist verstrickt gewesen.
"In seinen öffentlichen Verlautbarungen, also Hirtenbriefen, Predigten und ähnlichem haben wir so eine eigenartig widersprüchliche Gemengelage: Auf der einen Seite eine deutliche Unterstützung der Kriegsführung - also Appell an die vaterländische Opferbereitschaft der Wehrmachtsoldaten, das erscheint mir über jeden Zweifel erhaben zu sein. Auf der anderen Seite aber zugleich auch die für uns heute eigenartige Vorstellung, es müsse doch auch eine christlich gerechte Kriegsführung über den Bolschewismus geben können. Also eine Mahnung: Wenn ihr schon den antichristlichen Feind bekämpft, dann bitte nach christlichen Grundsätzen."
Ein Bischof als Kriegstreiber
Christliche Grundsätze in einem barbarischen Vernichtungskrieg mit rund 30 Millionen Toten? Darunter mehr als 15 Millionen sowjetische Zivilisten und 2,7 Millionen deutsche Wehrmachtssoldaten. Dietmar Klenke geht davon aus, dass der deutsche Episkopat, also auch Jaeger, von deutschen Kriegsverbrechen und der Judenermordung Kenntnis hatte:
"Das halte ich für unstrittig, dass ihm und anderen spätestens 1942 bekannt gewesen ist, was sich da hinter der Front, gerade im Osten abspielte."
Doch die Autoren der Studie legen Wert darauf, dass Erzbischof Jaeger zwar unverblümt Hitlers Krieg unterstützt habe, aber aus anderen Motiven als die Nationalsozialisten:
"Da haben wir festgestellt, dass wir deutlich unterscheiden müssen. Auf der einen Seite zwischen den rassenbiologischen und zwischen den sozialdarwinistischen imperialistischen Motiven der Nationalsozialisten auf der einen Seite und diesen Anti-Versailles-Nationalismus und auch der christlich-konservativen Angst vor dem Atheismus der Bolschewisten, dass wir also zwischen diesen Motivbereichen deutlich unterscheiden müssen."
Foto aus dem Jahr 1941 zeigt russische Kriegsgefangene auf dem Weg zur Exekution im russischen Kriwoj Rog (vermutlich aufgenommen am 15.10.1941). Das Foto wird in der neuen Wehrmachtsausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht zwischen 1941 und 1944 zu sehen sein.
Erzbischof Jaeger sah in Russland einen Ort des "Christushasses" (dpa / picture alliance / Institut für Sozialforschung Hamburg)
Wobei Zitate von Jaeger deutlich machen, dass er zumindest auf eine rassistische Wortwahl zurückgegriffen hat, wenn er beispielsweise im Fastenbrief vom 8.Februar 1942 mit Blick auf die Sowjetunion schreibt:
"Ist jenes arme unglückliche Land nicht der Tummelplatz von Menschen, die durch ihre Gottfeindlichkeit und durch ihren Christushass fast zu Tieren entartet sind? Erleben unsere Soldaten dort nicht ein Elend und ein Unglück sondergleichen? Und warum? Weil man die Ordnung des menschlichen Lebens dort nicht auf Christus, sondern auf Judas aufgebaut hat."
"Pflichtethos und national übersteigerter Glauben"
Mit seiner kompromisslosen Unterstützung des nationalsozialistischen Angriffskrieges war Jäger in der katholischen Kirchenspitze Deutschlands keine Ausnahme, immerhin gab es einen Bischof, den Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing, der nicht demonstrativ nicht in Jubel und Rechtfertigung einstimmte. Auch Jaeger machte, als er noch Militärpfarrer war, bei einem Heimaturlaub 1941 die Erfahrung, dass viele Katholiken – selbst auf den Höhepunkt der deutschen militärischen Erfolge - sehr kriegskritisch waren. Aus dem Nachlass Jaegers werde deutlich:
"Dass er entsetzt ist, wie kritisch zum Teil in seinem Ruhrgebietsumfeld Pfarrer und auch manche Gläubige, wie kritisch sie diesem Krieg Hitlers gegenüberstehen. Er ist der Meinung, dass es zu einem Siegfrieden kommen wird. Ein Siegfrieden auf einer legitimen Grundlage, weil er befürwortete, dass ein Krieg geführt worden ist, gegen die Siegermächte des Ersten Weltkriegs, die den Deutschen Unrecht schweres Unrecht angetan hätten", sagt Dietmar Klenke.
Beim Einmarsch deutscher Truppen in Polen am 01.09.1939 reißen Soldaten der deutschen Wehrmacht einen rot-weißen Schlagbaum an der deutsch-polnischen Grenze nieder.
Die Kirchen im Zweiten Weltkrieg - Glöckengeläut und Gebete für den Sieg
Bischöfe beider Konfessionen forderten die Gläubigen zu treuer Pflichterfüllung an Front und "Heimatfront" auf. Bis heute wird eher an den Widerstand erinnert als an die Unterstützung der Propaganda.
Anders als ein weltumspannender katholischer Glaube nahelegt, war der soldatisch sozialisierte Lorenz Jaeger nationalreligiös geprägt. Der Historiker Dietmar Klenke:
"Erst das soldatische Pflichtethos im Zusammenhang mit diesem nationalreligiös übersteigerten Glauben an den deutschen Verteidigungskrieg und an die Abwehr gegenüber missgünstigen fremdländischen Mächten - erst das erklärt auch diese hohe Bereitschaft, warum er relativ weit ging in der Unterstützung dieses Krieges."
"Er muss von KZs gewusst haben"
So sehr Jaeger mehrmals öffentlich den Hitler'schen Krieg unterstützte, so intensiv hat er auch zur Verfolgung der Juden geschwiegen. Der Herausgeber der Studie, der Paderborner Fundamentaltheologe Josef Meyer zu Schlochtern:
"Es wird gelegentlich gefragt, warum hat er sich nicht geäußert, hat er es nicht gewusst? Er muss von Vernichtungen und KZs gewusst haben, aber in den Untersuchungen und Nachforschungen ist nie etwas deutlich geworden, wo er Protest eingelegt hätte."
Die Autoren der Paderborner Studie betonen, dass Jaeger zwar ein nationalreligiöser Kriegsbefürworter, aber kein rassistischer Nationalsozialist gewesen ist. Diese Differenzierung liest sich wie der Versuch einer Ehrenrettung. Ob die Studie das Erzbistum Paderborn bewegen wird, Lorenz Jaeger nun anders zu bewerten, wird sich wohl frühestens in drei Jahren zeigen. Denn eine zweite Kommission unter Leitung der Paderborner Kirchenhistorikerin Nicole Priesching will 2023 die Ergebnisse ihrer umfangreichen Untersuchungen vorlegen.