Freitag, 19. April 2024

Archiv

Studienwerk Avicenna
Muslimische Begabtenförderung startet mit ersten Stipendiaten

65 Stipendiaten zählt das neue muslimische Studienwerk Avicenna. Beim Bundespräsidenten erfolgte gestern ein Empfang in der Villa Hammerschmidt in Bonn. Wie bei allen konfessionellen Stiftungen gehören auch Glaubensseminare zum Betreuungsprogramm.

Von Henning Hübert | 19.11.2014
    Hatefa Jadran:
    "Also Brücken bauen – darauf freut man sich. Dass man jetzt durch Avicenna die Möglichkeit hat, hier als Stipendiat ein Zeichen zu setzen. Einfach zu zeigen, dass wir Teil Deutschlands sind. Dass wir dazu gehören. Wir sind nicht angekommen. Wir waren schon immer hier. Und wir wollen auch hier bleiben und hier etwas bewegen."
    Zwei Drittel Frauen, ein Drittel Männer
    Hatefa Jadran ist eine Medizinstudentin aus Hamburg, 3. Semester. Lange hat sie auf den Start des explizit muslimischen Studienwerks gewartet. Jetzt im ersten Avicena-Jahrgang mit dabei. Ein Drittel sind Männer, zwei Drittel Frauen. Diese Elite-Gruppe von 65 Stipendiaten stellt der Professor für islamische Religionspädagogik und Avicenna-Vorsitzende Bülent Ucar beim Stehempfang in der Villa Hammerschmidt vor:
    "Herr Bundespräsident, Sie sehen hier 65 Talente, es sind Physiker, Historiker, Mediziner, Juristen, Pädagogen aber auch Theologen unter ihnen - eine bunte Mischung. Wir haben eine gute geografische Verteilung aus dem gesamten Bundesgebiet. Ich gebe zu, Bayern ist ein bisschen unterrepräsentiert. Wir haben eine gute konfessionelle Mischung. Wir haben eine gute ethnische Mischung. Also die Fächervielfalt, die gesamte Pluralität der muslimischen Landschaft in Deutschland lässt sich hier abbilden."
    Sie sind und empfinden sich auch als eine Art Vorhut. Es sind Zeiten, an denen das Image des Islam gelitten hat. Durch Terrorbilder, durch Attentate in Synagogen. Die hier in Bonn versammelt sind, wollen aber für ihr Leben in Deutschland stehen, wollen zeigen, dass sie hier leben, studieren und glauben. Stipendiat Ziat Elgendy, darf kurz ans Mikrofon, zitiert den Propheten Mohamed und spricht Joachim Gauck an:
    "Die Aufnahme des ersten Stipendiatenjahrganges und unser Besuch bei Ihnen, Herr Bundespräsident, zeigt die wachsende Wertschätzung der Muslime in Deutschland. Und genau das ist ein Schritt in die richtige Richtung zur Chancengleichheit und zur Einbürgerung des Islams in Deutschland."
    Glaubensseminare Teil des Stipendiums
    Glaubensseminare werden auch zum Betreuungsprogramm des Studienwerks gehören. Neben Gesellschafts- und Fachwissens-Seminaren, auf die sich die Medizinstudentin Hatefa Jadran auch schon freut:
    "Man muss sich schon bekennen, dass man sagt: Wir wollen uns mit dem Islam auseinandersetzen. Es gibt ja auch einige Deutsche, die sind zum Beispiel konvertiert. Aber es ist jedem selbst überlassen, wie tief er in diese Religion geht und wie tief er sie auch auslebt. Also da gibt es keine Richtlinien bei Avicenna."
    Vieles beim neuen Studienwerk orientiert sich an den bereits etablierten drei katholischen, evangelischen beziehungsweise jüdischen Studienwerken. Die Fördergelder für die muslimische Studierendenelite kommen vom Bundesbildungsministerium. Es gibt 300 Euro Büchergeld im Monat und je nach Einkommen der Eltern bis zu 670 Euro Stipendium entsprechend den BAföG-Richtlinien. Bundespräsident Joachim Gauck zeigte Freude darüber, dass jetzt im Einwanderungsland Deutschland eine Lücke im System der Begabtenförderung geschlossen sei.
    "Wir riefen Arbeitskräfte, aber es kamen Menschen. Das heißt, also auch Menschen mit Familien mit Kindern, die dann hier die Schule besuchen und von denen immer noch zu wenige den Sprung auf die Universität, auf die Hochschule geschafft haben. Dies vielleicht auch gar nicht gewagt haben, weil es in ihren Familientraditionen nicht angelegt war. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass es – man muss fast sagen – endlich dieses Avicenna-Studienwerk gibt und dass Sie die Ersten sind, die gefördert werden durch Stipendien und von denen wir alle hoffen, dass sie einen guten Weg machen."
    Ziel ist es, den Anteil junger Muslime nicht nur unter den Abiturienten, sondern auch unter Uniabsolventen deutlich zu steigern. Deshalb werden ab sofort nicht nur Studierende, sondern auch Doktoranden gefördert: Fürs Promovieren gibt es bis zu 1150 Euro im Monat vom muslimischen Studienwerk Avicenna.
    Das Studienwerk Avicenna ist mit lateinischem Namen benannt nach dem persischen Gelehrten Ibn Sina. Dieser lebte vor eintausend Jahren und lehrte Medizin, Philosophie und Naturwissenschaften.