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Studieren in einem nicht anerkannten Staat

Auslandssemester gehören für viele zum Studium dazu. Es sieht gut im Lebenslauf aus, macht Spaß und erweitert den Horizont. Dafür gibt es Stipendien und Austauschprogramme. Was aber ist, wenn eine Universität davon ausgeschlossen ist? Bei der Universität von Berg-Karabach ist das so.

Von Gesine Dornblüth | 16.08.2007
    Abends im Zentrum von Stepanakert, der Haupstadt von Berg-Karabach. Junge Leute trinken Bier, essen Eis oder kauen Sonnenblumenkerne. Die ganze Stadt scheint auf den Beinen. Auch David Gabrielian. Der 20jährige studiert Französisch und nutzt jede Gelegenheit, um die Sprache zu üben. Ausländer spricht er einfach an.


    "Zum Beispiel habe ich Freunde in den Hotels, ich habe hier sehr viele Freunde. Sie wissen, dass ich ein absoluter Fan des Französischen bin, und sobald in einem der Hotels Franzosen absteigen, rufen sie mich zuhause an und sagen mir das. "

    David ist auf die seltenen Besucher in Berg-Karabach angewiesen, wenn er mit Muttersprachlern französisch sprechen will. Denn Berg-Karabach ist international isoliert. Austauschprogramme gibt es nur mit dem Mutterland Armenien. Aus Armenien kommen auch die Lehrbücher, Lehrpläne, Unterrichtsmaterial. Der Rektor der Universität von Berg-Karabach, Hamlet Grigorian, sitzt bei geöffneten Fenstern in einem altmodisch getäfelten Büro.

    "(...) Mit anderen Hochschulen sind wir nur über das Internet in Kontakt. Wir haben versucht, Verbindung zu den Hochschulen Russlands aufzunehmen, zum Beispiel zur Moskauer Staatlichen Universität; wir hatten sogar schon Verträge über eine Zusammenarbeit abgeschlossen; aber leider hat dann die aserbaidschanische Seite protestiert, wie immer."

    Die Aserbaidschaner stehen auf dem Standpunkt, dass Berg-Karabach eigentlich zu Aserbaidschan gehört und sämtliche internationalen Kontakte deshalb über sie gehen müssen. Das funktioniert. Universitätsrektor Grigorian hat wegen dieser Blockade sogar schon mal einen offenen Brief an die Vereinten Nationen geschrieben.

    Per Telefon bittet er seine Sekretärin, das Schreiben auszudrucken. Es stammt von 2003, und Grigorian appelliert darin an die internationalen Organisationen, die Bildungseinrichtungen in Berg-Karabach zu unterstützen. Der Brief blieb ohne Wirkung.

    "Das zeugt von einem totalen Unverständnis von Bildung und Wissenschaft. Wissenschaft und Bildung dürfen nicht in die Politik hineingezogen werden. Jedes Kind hat das Recht auf eine vollwertige Bildung, unabhängig davon, wo es geboren wurde - in Jerewan, Baku oder Stepanakert, in Mosambique oder in Paris."

    Grigorian schüttelt verärgert den Kopf. Tatsächlich haben die Bewohner in den 13 Jahren seit Ende des Krieges erstaunlich viel aufgebaut. In der Hauptstadt Stepanakert sind kaum noch Kriegsspuren zu sehen. Die Universität hat gerade ein zweites Gebäude hinzubekommen. 5.000 Studenten sind immatrikuliert. Das ist, umgerechnet auf die Gesamtbevölkerung, vergleichsweise viel. Neben Sprachen - Französisch, Englisch, Deutsch und Russisch - können sie Geschichte und Naturwissenschaften studieren, meist auf Lehramt. Außerdem gibt es Jura, Wirtschaft und Medizin.

    Der Französischstudent David Gabrielian sitzt mittlerweile mit einem Freund in einem Cafe. Zu der Schwierigkeit, völlig isoliert zu studieren, kommt, dass man mit einem Fremdsprachenstudium in Berg-Karabach wenig anfangen kann.

    "Frzstud: Solange unser Staat nicht von der Welt anerkannt wird, zieht das Probleme in allen Bereichen nach sich automatisch - auch in der Bildung. Ich finde aber: Bildung erhält der Mensch zuallererst für sich selbst. Das reicht. (...) es ist dann gar nicht so wichtig, ob du eine Arbeit findest oder nicht. Die Hauptsache ist, dass du klug bist. Selbst wenn du arbeitslos bist."

    Sein Freund protestiert. Er heißt Boris Garamian und studiert Zahnmedizin.

    "Ich finde nicht, dass es reicht, klug zu sein. Und keine Arbeit zu haben.
    Das geht nicht zusammen. Geld spielt eine Rolle im Leben. Geld und Beziehungen.
    Übrigens auch, wenn es darum geht, eine Stelle zu finden. Es wäre unehrlich, das zu verschweigen. Das ist hier so."

    David Gabrielian träumt vorerst weiter, von einem Studium in Paris. Nur: Wie soll er dort hin kommen?

    " Wenn ich darauf eine Antwort wüsste... Ich habe keine Ahnung. Aber es ist mein größter Traum."