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Stürme in England
"Allererste Auswirkungen der globalen Erwärmung"

Viele aktuelle Wetterextreme wie die warmen Temperaturen in der Arktis und in Kanada hingen mit dem El-Niño-Phänomen zusammen, sagte Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel im DLF. Die Stürme in England passten aber nicht in dieses Bild. Er fürchte deshalb, dass es erste Auswirkungen der globalen Erwärmung seien.

Mojib Latif im Gespräch mit Martin Zagatta | 30.12.2015
    Der Klimaforscher Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel.
    Der Klimaforscher Mojib Latif vom GEOMAR Helmholtz-Zentrums für Ozeanforschung in Kiel. (Imago / Rüdiger Wölk)
    Latif betonte, der Sturm über dem Nordatlantik, der für die überdurchschnittlich hohen Temperaturen in der Arktis sorge, sei ein kurzfristiges Wetterereignis und in ein paar Tagen wieder vorbei. Es könne einer der stärksten Stürme bisher werden. Allerdings: "Es kommt schon vor, dass wir solche Plusgrade auch am Nordpol haben." Neben der Erderwärmung spielten auch das El-Niño-Phänomen und das "normale Wetterchaos" eine Rolle.
    "Der Sturm in England passt aber nicht ins Bild", betonte der Klimaforscher. "Ich fürchte, das sind schon die allerersten Auswirkungen der globalen Erwärmung." Die Modelle zeigten zudem, dass es in Zukunft häufiger Wetterextreme, insbesondere Starkniederschläge, auf den Landregionen zu erwarten seien.
    Der Klimaforscher mahnte, es sei dringend notwendig, die Beschlüsse des Klimabkommens von Paris umzusetzen. Es sei jetzt an den nationalen Regierungen, das Heft in die Hand zu nehmen.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Martin Zagatta: Professor Mojib Latif ist Klimaforscher am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel und jetzt am Telefon. Guten Tag, Herr Latif!
    Mojib Latif: Guten Tag!
    Zagatta: Herr Latif, extreme Wärme am sonst so kalten Nordpol. Da liegt ja für Laien wie mich die Frage nahe: Ist das schon eine sich abzeichnende Klimakatastrophe, wie wir dann gern so ganz auf der Hand liegend fragen. Oder ist das einfach noch eine Laune der Natur diesmal?
    Latif: Na ja, sowohl als auch. Also, wenn man sich Jahrzehnte anguckt, dann sehen wir einfach, dass die Arktis die Region auf der Welt ist, die sich am stärksten von allen Regionen erwärmt hat. Wir sehen auch, dass das Eis mit einer extremen Geschwindigkeit sich zurückzieht, die selbst schneller ist, als wir es in unseren Klimamodellen simulieren können. Auf der anderen Seite ist dieser Sturm, der jetzt über den Nordatlantik tobt, natürlich ein Wetterextrem, ein kurzfristiges Ereignis, das in einigen Tagen auch wieder vorbei sein wird. Und dieser Sturm, der ist aber sehr, sehr stark. Er könnte einer der stärksten Stürme in dieser Region überhaupt werden. Und der pumpt eben im Moment gewaltige Wärmemengen aus den Tropen Richtung Norden.
    Zagatta: Hat es solche extremen Temperaturen am Nordpol schon einmal gegeben oder ist das jetzt etwas völlig Neues?
    Latif: Na ja, es kommt schon vor, dass wir solche Plusgrade auch am Nordpol haben, insbesondere, wenn das Eis aufbricht und dann sozusagen das offene Wasser zum Vorschein kommt. Dann kann man sich ja gut vorstellen, dass es da nicht so kalt ist wie über Eisflächen, die dann auch noch mit Schneeflächen bedeckt sind. Aber noch mal, es handelt sich hier erst einmal um ein kurzfristiges Ereignis, aber der Sturm ist schon sehr, sehr stark. Und wer weiß, wenn die Vorhersagen stimmen, dann könnte er sich möglicherweise sogar zum stärksten Sturm dieser Region überhaupt entwickeln. Aber wir haben aus dieser Region nicht sehr viele Messungen, deswegen sind die Wettervorhersagen auch ein bisschen unsicher.
    Zagatta: Gibt es dafür irgendwelche Erklärungen, Vermutungen? Wir lesen ja immer wieder über dieses Wetterphänomen El Nino. Hängt es damit zusammen oder ist das jetzt reine Spekulation?
    Latif: Ja, also, ein Teil Erwärmung in der Arktis, der geht auch auf das El-Nino-Phänomen zurück. Das ist ja eine Klimaanomalie, die sich im tropischen Pazifik ereignet und dann weltweite Auswirkungen hat. Dann, wie gesagt, die hintergrundsglobale Erwärmung kommt auch noch dazu. Und dann noch das normale – in Anführungsstrichen – Wetterchaos. All das kulminiert im Moment zu dieser extremen Situation, die ja nicht nur die Arktis betrifft, sondern fast alle Regionen auf der Welt.
    Zagatta: Das wollte ich Sie gerade fragen: Wir hören da, dass es in Kanada und in so kalten Orten wie Sibirien, dass es da auch 20 Grad wärmer sein soll im Moment als gewöhnlich. Sind das die Folgen, ja?
    Latif: Ja, genau. Also, das sind die Folgen, insbesondere Kanada hat bei diesen El-Nino-Ereignissen sehr, sehr hohe Temperaturen. Und das ist schon auch vorherzusehen gewesen, denn diese Vorhersagen für El Nino sind einige Monate im Voraus schon sehr, sehr brauchbar. Und deswegen überrascht zumindest das nicht. Auch das, was in Amerika passiert, hat mit El Nino zu tun, in Nordamerika wie auch in Südamerika.
    Zagatta: Sind damit jetzt auch – weil wir den Bericht gerade gehört haben –, sind damit jetzt auch diese Überschwemmungen, dieser extreme Sturm im Norden Englands zu erklären?
    Latif: Nein, also, das passt nicht ins Bild von El Nino, sondern das ist einfach schon auffällig, denn es ist mehrfach passiert in den letzten Jahren gerade in England. Und unsere Modelle zeigen einfach, dass Wetterextreme, insbesondere starke Niederschläge auf den Landregionen weiter zunehmen werden. Sie haben ja schon zugenommen in den letzten Jahrzehnten. Und ich fürchte, das sind schon die allerersten Auswirkungen der globalen Erwärmung.
    Zagatta: Herr Latif, jetzt haben wir alle noch in den Ohren diese Klimakonferenz von Paris, wo sich die Staaten darauf geeinigt haben, die Erderwärmung oder die Erwärmung auf 1,5 Grad oder zwei Grad in den nächsten Jahren zu begrenzen. Dem Nordpol ist das ziemlich egal. Also, wie ... Müssen wir uns da richtig Sorgen machen jetzt oder hält sich das alles noch im Rahmen der Planung?
    Latif: Ja, wie gesagt, auch vor dem Sturm hätten wir uns Sorgen machen müssen. Wir haben ja wirklich fast 30 Prozent der mit Eis bedeckten Flächen in den letzten Jahrzehnten verloren. Das Eis wird auch immer dünner, deswegen kann es auch durch starke Winde immer wieder auseinandergerissen werden. Die nächsten Jahre beziehungsweise Jahrzehnte wird die Entwicklung weitergehen, denn das Klima ist träge. Wir haben sehr viele Treibhausgase in der Atmosphäre entlassen, die werden ihre Wirkung noch entfalten. Und deswegen ist es höchste Eisenbahn, dass die Politik beginnt, jetzt das umzusetzen, was man in Paris beschlossen hat. Und in Paris hat man ja nur gesagt, dass man die Erderwärmung begrenzen möchte unter zwei, möglicherweise 1,5 Grad. Aber es ist eine Riesenherausforderung, das ist nicht im Handumdrehen zu schaffen. Und insofern ist es jetzt an den nationalen Regierungen, das Heft in die Hand zu nehmen und wirklich ernsthaften Klimaschutz zu betreiben.
    Zagatta: Professor Mojib Latif, Klimaforscher in Kiel. Ganz herzlichen Dank für Ihre Einschätzungen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.