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Stummes Glück

"The Artist" ist ein moderner Stummfilm in Schwarz-Weiß, der so stilsicher, unterhaltsam und klug inszeniert ist, dass dem Zuschauer die gewohnten Worte und Farben kaum fehlen. Bei den Golden Globe Awards sorgte der französische Film für Furore. Bei der Oscarverleihung könnte es die nächste Überraschung geben.

Von Josef Schnelle | 21.01.2012
    "Wo ist der Hund? Kann der Hund sich mal verbeugen." – "Sicher kann er das." – "Und weil Sie alle – ich sag schon mal voraus sie gewinnen auch den Oscar – wird der Hund mit auf die Bühne gehen bei den Oscars und wie heißt er überhaupt." – "Uggie."

    Ein Drahthaarfoxterrier war der Star der Verleihung des Golden Globe Awards vor ein paar Tagen. "Uggie" ist ein Filmzitat auf vier Beinen, so sehr ähnelt er seinem Vorgänger "Mr. Asta" aus den Krimis um den "Dünnen Mann" von William S. van Dyke nach dem Roman von Dashiell Hammett aus den 30er Jahren. Und auch Fred Astaire und Ginger Rodgers scheinen wieder herum zu hüpfen in diesem französischen Film, der eine Hommage an das klassische Hollywood-Kino sein will. Die Film-Zitat-Beispiele stammen aus frühen Tonfilmen, doch "The Artist" von Michel Hazanavicius ist ein lupenreiner Stummfilm, allerdings einer der in den Zeiten des schon seit mehr als 80 Jahren das Kino beherrschenden sprechenden bis laut lärmenden Films entstanden ist. Die verrückte Idee parallel zur 3-D-Hysterie einen Stummfilm in Schwarz-Weiß zu drehen war riskant. Ähnliche Projekte unter anderem von Aki Kaurismäki sind immer wieder kläglich gescheitert. Doch "The Artist" wurde schon bei der Premiere in Cannes ausgezeichnet und wird spätestens nach seinem Triumph bei den Golden Globes als heißer Oscar-Kandidat gehandelt. Regisseur Michel Hazanavicius, bisher eher mit gängiger Unterhaltungsware bekannt geworden, zeigte sich verblüfft.

    "Wir dachten, das sei kein kleiner Film, aber ein Film, der vor allem für Festivals etwas wäre, ein Film, den Filmkritiker lieben würden. Das, was jetzt passiert ist, haben wir natürlich nicht erwartet, auch wenn ich einen populären Film machen wollte."

    Der Regisseur hat seine Vorbilder gut studiert und so ist "The Artist" nicht einfach ein Stummfilm vom Werden und Vergehen des Ruhmes, sondern eine Hommage an die Zeit als die Syntax des Mimischen und der Gesten und die Grammatik der pantomimischen Körperkunst das Kino in seinen ersten 30 Jahren zum bedeutendsten aller Massenmedien machte. Dialoge wurden gelächelt, karge Merksätze und Ortsbeschreibungen wurden auf Dialogtafeln nachgeliefert. Mit der Tonfilmrevolution änderte sich alles und zunächst verschwand zugunsten der filmischen Guckkastenbühne jegliche Poesie aus dem Kino. "The Artist" erzählt die Geschichte von George Valentin, dem der Tonfilm auf dem Höhepunkt seiner Karriere als springender und grimassierender Narziss in die Quere kommt. Neben der melodramatischen Story erzählt "The Artist" sehr ausdrücklich eine der bis dahin größten Medienrevolutionen. Eben noch war alles Jazz: das Kino, der Stepptanz, das Lebensgefühl:

    Kurze Zeit später bricht nicht nur für Valentin, dessen Name nicht von ungefähr an den großen Stummfilmstar Rodolfo Valentino erinnert, eine Welt zusammen. Auch für den hatte der Tonfilm keine Verwendung mehr. Valentin versucht sich zu wehren, dreht wie Erich von Stroheim in der tatsächlichen Kinogeschichte einen letzten Stummfilm, der dem ungeliebten Tonfilm ein für alle Mal seine künstlerische Überlegenheit zeigen soll. Natürlich scheitert er damit und kann sich eine ganze Weile nur noch an den Hund Uggie klammern. Doch gleichzeitig mit seinem Abstieg steigt Peppy Miller zum Revuestar auf. Und weil sie Valentin zufällig liebt, muss er nur ein bisschen seinen Stolz überwinden bis zum Happy End.

    "The Artist" ist so stilsicher, unterhaltsam und klug inszeniert, dass dem heutigen Betrachter die Worte kaum fehlen, was auch daran liegt, dass Hauptdarsteller Jean Dujardin mit aufgerissenen Augen und betörendem Errol-Flynn-Draufgänger-Lächeln seine Rolle ganz ausfüllt. Eleganz, Leichtigkeit und melodramatischer Herzschmerz machen diesen Film zu einer betörenden Reise in das goldener Zeitalter der Kinopoesie. Und so ist der Erfolg dieses Films gerade jetzt, wo das Kino der Traumfabrik mit Fortsetzungsfilmen, Materialschlachten und Remakes seinen emotionalen Kern vernachlässigt, vielleicht ein Hilferuf. Irgendwo in der Filmgeschichte, das ist sicher, wartet die Antwort auf die ungelösten Probleme des Formelkinos Marke Hollywood. Und das ist vielleicht tatsächlich einen Oscar Wert. Auf jeden Fall aber einen Kinobesuch.