Freitag, 19. April 2024

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Sturm auf das US-Kapitol
Meuthen (AfD): Nicht mit Vorgang im Bundestag vergleichbar

Im November 2020 halfen AfD-Bundestagsabgeordnete dabei, die Arbeit des Deutschen Bundestags zu stören. Mit dem Sturm auf das US-Parlament sei dies aber nicht zu vergleichen, sagte AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen im Dlf. Dort sei eine Grenze zivilisierter Gesellschaften überschritten worden.

Jörg Meuthen im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.01.2021
Jörg Meuthen, AfD-Bundessprecher und Mitglied des Europaparlaments
Jörg Meuthen, AfD-Bundessprecher und Mitglied des Europaparlaments (dpa/Rolf Vennenbernd)
Im US-Kongress sollten die Abgeordneten das Ergebnis der Präsidentschaftswahl bestätigen, als am 6. Januar Anhänger von Donald Trump die Polizeiabsperrungen vor dem Gebäude durchbrachen und das Gebäude stürmten. Der abgewählte US-Präsident, der seine Niederlage nicht anerkennen will, hatte seinen Anhänger zuvor in einer Rede dazu aufgerufen, vor dem Sitz des Kongresses gegen das Wahlergebnis zu protestieren. Erneut sprach er von Wahlbetrug, den er und sein Team aber bislang nicht beweisen konnte.
Sigmar Gabriel (SPD), Vorsitzender der Atlantik-Brücke e.V.
"Das ist eine Riesengefährdung der Institutionen"
Nach dem Sturm auf das Kapitol gehöre in den USA die Bedrohung von Verfassungsorganen auf einmal zum politisch Möglichen, warnte Ex-Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) im Dlf. Die Republikaner trügen große Verantwortung.
Trump sei offensichtlich ein "extrem schlechter Verlierer", kommentierte Jörg Meuthen, einer der beiden Bundessprecher der AfD und Europaparlamentarier, im Gespräch mit dem Dlf das Verhalten des US-Präsidenten. Dieser habe sich durch sein Verhalten in den vergangenen Wochen nachhaltig disqualifiziert, Erfolge Trumps verblassten angesichts der Ereignisse.
Einige Unterstützer Trumps, wie Mitglieder der QAnon-Bewegung oder auch die rechtsextremen Proud Boys seien "im Grunde genommen das, was wir hier in Deutschland gerne als Aluhüte oder Verstrahlte bezeichnen". "Das sind sonderbare Zeitgenossen, und da rate ich auch immer an, zu solchen Menschen Distanz zu halten", sagte Meuthen.
"Für die gesamte Nation beschämend"
Der US-amerikanische Politikwissenschaftler Jackson Janes ist bestürzt über die Unruhen in Washington. Die Frage sei nun, wie man Trumps Unberechenbarkeit in den letzten zwei Wochen seiner Amtszeit kontrollieren könne, sagte Janes im Dlf.
Christoph Heinemann: Herr Meuthen, was haben Sie gedacht, als Sie die Bilder aus Washington gesehen haben?
Jörg Meuthen: Ich war, wahrscheinlich wie alle anderen auch, ich war geschockt, weil das sind ja Bilder, die stellt man sich aus Washington nicht vor. Ich habe erst gedacht: Was ist das denn, das ist verstörend – also das Kapitol gestürmt, diese massive Gewalt von Menschen da. Das hätte ich mir überall vorstellen können, aber nicht in Washington. Ich glaube, da ging es mir nicht anders als Millionen Menschen weltweit auch.

"In der Dimension nicht ansatzweise vergleichbar"

Heinemann: Weckt das Eindringen von Menschen, die die Parlamentsarbeit behindern, bei Ihnen Erinnerungen?
Meuthen: Nein. Welcher Art?
Heinemann: Auch AfD-Bundestagsabgeordnete haben versucht, die Arbeit des Deutschen Bundestages zu stören, indem sie Besucherinnen und Besucher einschleusten, die Bundestagsabgeordnete beschimpft haben. Diese Leute gehören nach wie vor der AfD-Bundestagsfraktion an. Inwiefern – wäre jetzt meine Frage – unterscheidet sich der Politikstil dieser AfD-Politiker von dem Donald Trumps und seiner Anhänger?
John Christian Kornblum, ehemaliger US-Botschafter in Berlin
"Sogar Trump hat gemerkt, dass er es zu weit getrieben hat"
In einer Videobotschaft hat Donald Trump den Angriff auf das Kapitol in Washington verurteilt. Die versöhnlichen Töne, zeigten, dass der US-Präsident nun wirklich in der Klemme sitze, sagte der ehemalige US-Botschafter in Berlin John Kornblum im Dlf.
Meuthen: Ich glaube, hier werden zwei Dinge miteinander vermengt, die einfach nicht zusammenpassen. Was wir da in Washington erlebt haben, das ist der Sturm von vielen Hundert Menschen, die gehen wahrscheinlich in die Tausende, auf ein Parlament. Das können Sie nicht vergleichen mit dem, was da geschehen ist. Ich meine, der Vorgang, den wir da hatten – am 18. November war es, wenn ich mich recht erinnere –, ist auch ein unguter Vorgang gewesen, aber in der Dimension doch nicht ansatzweise vergleichbar.
Im Übrigen hat sich Herr Gauland dazu klar geäußert, hat seine Beschämung über diesen Vorgang zum Ausdruck gebracht. Es hat Sanktionen gegen diese Abgeordneten in der Fraktion gegeben, das ist ein fraktionsinterner Vorgang, aber sonst eine völlig andere Geschichte als Washington jetzt.
Trump-Anhänger, mit wehenden US-Fahnen, vor dem Kapitol in Washington.
"Die Beschmutzung republikanischer Ideale"Die Erstürmung des Kapitols durch Trump-Anhänger erschüttert Menschen weltweit. "Es ist ein Skandal, dass niemand vorbereitet war auf diese Gewalttat" sagte Simon Wendt, Professor für Amerikanistik.
Heinemann: Herr Meuthen, es ging darum, die Arbeit des Parlaments zu stören. Inwiefern kann man das nicht miteinander vergleichen?
Meuthen: Entschuldigung, aber das sind doch völlig unterschiedliche Vorgänge. Gucken Sie sich doch mal an, was da in Washington geschehen ist! Ich dachte auch, ehrlich gesagt, wir würden nun darüber sprechen, was sich da zugetragen hat, das ist der aktuelle Vorgang. Hier sind einige wenige Menschen eingeschleust worden als Besucher, die ein paar Bundestagsabgeordnete in der Tat in unflätiger und flegelhafter Weise angegangen sind. Das ist ein beschämender Vorgang, für den hat sich der Vorsitzende der Bundestagsfraktion in aller Form entschuldigt, aber das können wir nicht mit den Vorgängen jetzt vergleichen, die wir aktuell in Washington erleben.

"Trump hat sich nachhaltig disqualifiziert"

Heinemann: Für Donald Trump kann eine Wahl, die er verliert, nur gefälscht sein. Wie bewerten Sie Donald Trumps Demokratie- und Amtsverständnis?
Meuthen: Ja, das ist eine wirklich schwierige Geschichte. Donald Trump hat sich leider mit dem, was er in den letzten Wochen gemacht hat, ich möchte es mal so sagen, historisch ins Off geschossen, er hat sich nachhaltig disqualifiziert. Er hatte ja durchaus beträchtliche Erfolge seiner Politik, innen- wie außenpolitisch, aber angesichts solcher Ereignisse, wie wir sie in den letzten Wochen erlebt haben, verblasst das natürlich alles.
Offensichtlich ist Herr Trump ein extrem schlechter Verlierer, konnte sich wohl gar nicht vorstellen, dass er nicht gewonnen hat, und hat sich mit seinem Verhalten hier wirklich völlig ins Off geschossen. Das ist unentschuldbar, was er da gemacht hat, weil es kann kein Zweifel bestehen – ich habe mir das x-fach angeschaut –, dass er selbstverständlich diese Menschen angestachelt und aufgeheizt hat, mit den Konsequenzen, die wir dann gesehen haben.
United States President-elect Joe Biden delivers remarks from the Queen Theatre in Wilmington, Delaware on the unrest in and around the US Capitol in Wilmington, Delaware on Wednesday, January 6, 2021. In his remarks Biden condemned Trump for inciting the violence. Credit: Biden Transition via CNP
"Joe Biden hat die Aufgabe, die Nation zu befrieden"
Die Publizistin Constanze Stelzenmüller ist sich sicher, dass die Unruhen in den USA noch nicht vorbei sind. Donald Trump zeige keine Einsicht und Teile der republikanischen Partei stünden noch immer hinter ihm, sagte sie im Dlf.
Heinemann: Liegen Ihnen Beweise für Wahlfälschung bei der US-Präsidentschaftswahl vor?
Meuthen: Nein, wie auch?

"Ich kann Aussagen von Trump zur Wahl nicht beurteilen"

Heinemann: Lügt Trump also, wenn er von einer gestohlenen Wahl spricht?
Meuthen: Das kann ich nicht beurteilen aus Deutschland, ich weiß es schlicht nicht. Die Tatsache, dass mir als deutscher Politiker keine Beweise vorliegen, heißt ja nicht, dass es da nichts gibt. Das weiß ich nicht. Trump hat das juristisch angefochten, er ist juristisch unterlegen. Wenn wir in den Rechtsstaat in den Vereinigten Staaten noch ein Vertrauen und einen Glauben haben, dann ist die Sache damit geklärt. Und das ist übrigens auch legitim, solche Anfechtungen vorzunehmen, so weit so gut, aber das muss rechtsstaatlich geklärt sein und doch nicht durch einen Sturm auf das Parlament. Das ist der eigentlich Skandal.
Heinemann: Wie bewerten Sie es also, wenn der Präsident von einer gestohlenen Wahl spricht?
Meuthen: Ich halte das für reichlich überzogen.
Heinemann: Der AfD-Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier twitterte nach der US-Präsidentschaftswahl: "Keine Glückwünsche für den globalistischen Wahlbetrüger Joe Biden. Bei keiner US-Präsidentschaftswahl hatten wir bisher so massive Unregelmäßigkeiten und statistische Zufälle, die scheinbar ausschließlich die Kandidaten der Demokraten begünstigen." Herr Meuthen, wieso macht sich Ihr Parteifreund Frohnmaier hier die Sprache von Donald Trump zu eigen?
Meuthen: Das müssen Sie mit Herrn Frohnmaier klären, mit Verlaub. Ich hatte übrigens auch zunächst da keine Glückwünsche erbracht. Deswegen, weil das Ganze offen schien. Mittlerweile ist das aber geklärt. Und wir wissen, das ist auch kein singulärer Vorgang, das hat es schon mal gegeben 2000 bei der Bush-Wahl, da hat das auch bis in den Dezember hinein gedauert, bis das abschließend geklärt war, weil es da Nachzählungen gab. Das ist so weit alles legitim. Aber wenn es dann geklärt ist, dann muss man das auch akzeptieren, und hier erweist sich eben Herr Trump als ausgemacht schlechter Verlierer, der sich offensichtlich damit nicht abzufinden im Stande ist, bis jetzt jedenfalls nicht war.
Heinemann: Wieso kann ein AfD-Bundestagsabgeordneter den nächsten US-Präsidenten als "globalistischen Wahlbetrüger" beschimpfen?
Meuthen: Ich halte das für eine sehr, sehr kritische Wortwahl, aber wie gesagt, da müssen Sie mit Herrn Frohnmaier selbst sprechen. Das Zitat ist mir unbekannt. Ich halte es für nicht klug, sich so zu artikulieren, wenn die dahinterstehenden Zusammenhänge noch nicht abschließend bekannt sind. Aber bitte, sprechen Sie mit Herrn Frohnmaier selbst, der wird das wohl erklären.

Trumps Ausscheiden aus dem Amt völlig indiskutabel

Heinemann: Ihr Parteifreund Armin-Paul Hampel hatte sich nach der Präsidentschaftswahl im November selbst als heiter und gelassen bezeichnet, denn der nächste Präsident werde Donald Trump heißen. Inwiefern ist Trump Vorbild für die AfD?
Meuthen: Auch die Äußerungen von Herrn Hampel, das ist seine eigene Sache, das so zu sehen. Dass es nicht stimmte, hat sich nun herausgestellt. Das gibt es, dass man sich irrt. Trump hat – um wirklich das differenzierte Bild auch zuzulassen –, Trump hat durchaus politische Erfolge gehabt, gerade in den ersten Jahren seiner Amtszeit. Denken Sie an den "Tax Cuts and Jobs Act", mit dem er wirklich das Steuersystem unglaublich erleichtert hat in den Vereinigten Staaten, mit dem er auch Wachstum ausgelöst hat: sieben Millionen neue Jobs, historischer Tiefstand der Arbeitslosenquote, Arbeitslosenquote der schwarzen Bevölkerung historischer Tiefststand, Löhne der Geringverdiener um 16 Prozent gestiegen.
Nehmen Sie außenpolitisch den großen Erfolg, der da war, der Beendigung der diplomatischen Isolation Israels in der arabischen Welt - die haben jetzt diplomatische Beziehungen zu den Arabischen Emiraten und Bahrain. Das ist alles nicht wenig. Also der hat seine Erfolge gehabt, aber man muss einfach sagen, er macht dadurch, was er da jetzt in jüngerer Zeit gemacht hat, alles kaputt. Die großen Niederlagen von Donald Trump liegen am Ende seiner Amtszeit. Er hat eine katastrophale Corona-Politik gemacht, auch das gehört zur Gesamtbilanz, und das Scheiden aus dem Amt jetzt ist eben ein völlig indiskutables, da gibt es für meine Begriffe auch keine zwei Meinungen.
Heinemann: Noch mal kurz die Frage: Inwieweit ist Trump Vorbild für die AfD?
Meuthen: Andere Politiker sind keine Vorbilder für die AfD, das gilt für Herrn Trump wie für andere.

Distanz halten zu "sonderbaren Zeitgenossen"

Heinemann: Besteht ein Zusammenhang zwischen seiner Nähe zu Rechtsextremisten, wie den sogenannten Proud Boys, und zu Vertretern der QAnon-Bewegung und der Randale, die man jetzt gesehen hat?
Meuthen: Das mag sein, auch das ist schwer aus der Ferne zu beurteilen. Aber wenn Sie sich eben diese QAnon-Bewegung anschauen und auch diese Proud Boys – ich kenne es auch nur aus Fernsehbildern, muss ich Ihnen ehrlich sagen –, dann ist das im Grunde genommen das, was wir hier in Deutschland gerne als Aluhüte oder Verstrahlte bezeichnen. Das sind sonderbare Zeitgenossen, und da rate ich auch immer an, zu solchen Menschen Distanz zu halten. Tun wir ja auch.
Heinemann: Im Gegensatz zu Herrn Gauland, der die ja gerne miteinbeziehen möchte und der sagt …
Meuthen: Ich wüsste jetzt nicht, dass sich Herr Gauland zu QAnon geäußert hat.
Heinemann: … dass die AfD auch eine Bewegungspartei sein solle. Die Frage kommt jetzt: Wie viel Mobilisierung auf der Straße benötigt die AfD?

"Da wurde eine Grenze überschritten"

Meuthen: Wir benötigen das gar nicht, aber es ist natürlich so, dass wenn Sie friedliche Demonstrationen auf der Straße haben, die Gründe haben in der Befindlichkeit der Bevölkerung, und das ist völlig legitim, dass man da auch mitgeht. Wenn zum Beispiel bei der Demonstration am 29.08. auch Vertreter der AfD mitgegangen sind, dann ist das legitim, solange das Demonstrationen sind und friedlicher Protest gegen was auch immer.
Das sind unveräußerliche Rechte in der freiheitlichen Demokratie. Das aber, was wir jetzt gesehen haben, da in Washington, das hat nun mit friedlichem Protest absolut gar nichts mehr zu tun. Da wurde eine Grenze überschritten, die in zivilisierten Gesellschaften niemals überschritten werden darf. Das gilt überall. Und es macht mir Sorge, wenn so etwas in einem Land wie den Vereinigten Staaten passiert.
Heinemann: Wie eng stellen Sie sich den Schulterschluss mit der Straße vor?
Meuthen: Es ist legitim, wenn Abgeordnete oder Mitglieder der AfD an friedlichen Demonstrationen teilnehmen – gilt übrigens auch für Vertreter aller anderen Parteien. So weit, so gut. Es ist aber Distanz eben zu halten da, wo da Menschen über die Stränge schlagen, das ist doch völlig logisch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.