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Sturm im britischen Blätterwald

Wenn Medienmacher in Konkurrenzsituationen geraten, ist sofort vom Krieg die Rede. Eine Schlacht tobt zur Zeit in London, die der Gratisblätter. Die umkämpfte Zielgruppe sind die 18- bis 35-Jährigen, die sich ihre Nachrichten kostenlos aus dem Netz holen, statt eine Tageszeitung zu abonnieren.

Von Ruth Rach | 28.04.2007
    Der Mann auf dem Plakat trägt Brille, Trenchcoat und schwarze Lederhandschuhe. Vor dem Bauch hält er ein Boulevardblatt: "thelondonpaper". Er blickt anklagend in die Kamera. Hinter ihm, eine Videocollage - auf dem Internet abrufbar: dunkle Typen mit Bart und Kapuze in zwielichtigen Gassen. Sie werfen ungeöffnete Zeitungspacken in den Müll. Der Tatort heißt Frying Pan Alley - Bratpfannengasse.

    Kein surrealistischer Film und auch kein Krimi. Sondern das jüngste Kapitel im erbitterten Krieg der Londoner Gratiszeitungen "thelondonpaper" und "London Lite".

    Ihre Verlagshäuser : Associated Newspapers und New International liegen schon lange im Clinch. Im Herbst vergangenen Jahres waren ihre Abend-Titel fast zeitgleich erschienen - mit einer Auflage von jeweils 400 000. Vor kurzem erhöhte "thelondonpaper" seine Auflage auf 500 000, in der Hoffnung, die Werbeeinahmen zu steigern. Der Rivale londonlite sprach daraufhin von einem "glatten Betrug und startete eine Posterkampagne, um die Werbebranche zu warnen: Das sei eine Gratiszeitung, die sich nicht mal verschenken lasse.

    Beweisführer: eben jener Herr im Trenchoat, ein ehemaliger Scotland Yard Detektiv. Er habe mithilfe von Überwachungskameras beobachtet, wie "thelondonpaper" packenweise in Mülltonnen entsorgt wurde.

    Schmutzige Tricks kontert "thelondonpaper". Hinter ihm steht ein Verlagshaus, das nicht mit sich spaßen läßt. News International gehört dem Medienschwergewicht Rupert Murdoch, der auch Titel wie "The Times" und "The Sun" herausgibt. Die Konkurenz - Associated Newspapers - kann lediglich mit der "Daily Mail" auftrumpfen. Und mit der schon seit Jahren etablierten Gratiszeitung "Metro", die jeden Morgen an Ubahnstationen ausliegt. "Metro" ist ein Erfolgstitel, dem Medienmoghul Rupert Murdoch wahrscheinlich ein Dorn im Auge: Auflage rund eine Million; Jahresprofite aus Werbeeinnahmen: umgerechnet 18 Millionen Euro. Aber Associated Newspapers hat auch ein Sorgenkind: der "Evening Standard", eine Abendzeitung mit langer Tradition und schwindender Leserschaft, sie kostet umgerechnet 75 Cent. Ihr Niedergang hat sich seit dem Start der abendlichen Gratiszeitungen beschleunigt.

    Die meisten Londoner haben keine Ahnung von dem Sturm der in ihrem abendlichen Gratisblätterwald wütet. Sie könnten wahrscheinlich nicht einmal zwischen den beiden grell aufgemachten Titeln unterscheiden, in denen Celebrities und Boulevardstories den Ton angeben.

    An jeder Ubahnstation im Londoner Zentrum versuchen junge Leute mit verzweifeltem Eifer, Pendlern für den Feierabend ein ‚Freesheet' mitzugeben. Hinter ihnen stapelweise Zeitungen, alle müssen sie loswerden. Manche wandern in Aktentaschen, andere in den Papierkorb. Viele enden auf der Straße. Was wiederum die Kommunen erzürnt. Ein Viertel des gesamten Abfalls besteht schon aus Gratisblättern, sie zu entsorgen kostet über 750 tausend Euro. Nun überlegen sich Londoner Kommunen ein Verbot. Es sei denn, die Zeitungshäuser beteiligen sich an den Reinigungskosten. Damit droht "London Lite" und "thelondonpaper" eventuell der Ruin: beide Gratisblätter schreiben bereits jetzt rote Zahlen.