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Sturmgewehr G36
"Das ist nicht mehr zu verantworten"

Rainer Arnold, Verteidigungsexperte der SPD, wirft dem Bundesverteidigungsministerium Versäumnisse bei der Überprüfung des umstrittenen Sturmgewehrs G36 vor. Bereits 2012 habe es Hinweise auf die mangelnde Präzision der Waffe gegeben, die vom Ministerium jedoch abgewiegelt worden seien, sagte er im DLF.

Rainer Arnold im Gespräch mit Jasper Barenberg | 20.04.2015
    Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold
    Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold (picture-alliance / dpa / Hannibal Hanschke)
    Sowohl Soldaten als auch der Bundesrechnungshof und der Wehrbeauftragte hätten dem Verteidigungsausschuss bereits vor drei Jahren Probleme mit dem G36 gemeldet. Er frage sich, warum diese Bedenken nicht ernst genommen wurden, so Arnold. "Warum hat man die schützende Hand über das Gewehr gehalten?"
    Das Gewehr sei nicht tauglich für Einsätze, bei den Soldaten unter Beschuss seien, so Arnold. Es sei ein deutlicher Schwachpunkt in der Bundeswehr und sein Einsatz nicht mehr zu verantworten. Die Anforderungen an das Gewehr wären vom ersten Tag an nicht erfüllt gewesen. Es sei "unumgänglich", eine neue Waffe einzuführen, besonders für Soldaten im Auslandseinsatz.
    Die Opposition solle "seriös darüber nachdenken", einen Untersuchungsausschuss zu fordern. Aber auch die SPD als Koalitionspartner habe Interesse an Aufklärung.
    Er kritisierte auch die Kommunikation des Hersteller-Unternehmens Heckler-Koch. Statt Pressemitteilungen herauszugeben, solle es sich besser mit den Prüfverfahren auseinandersetzen, so Arnold.
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    Das Interview in voller Länge:
    Jasper Barenberg: Ausrüstungsprobleme sind für die Bundeswehr beileibe nichts Neues. Jetzt aber gerät auch die Standardwaffe der Truppe immer mehr in Verruf, das Sturmgewehr G36. Jeder Soldat muss sich im Einsatz, muss sich im Gefecht darauf verlassen können. Daran aber gibt es massive Zweifel, etwa in einem umfangreichen Gutachten, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen seit Freitag auf dem Tisch liegen hat. Das Urteil der Experten klingt verheerend: Unter bestimmten Bedingungen, so die Expertise, trifft es nicht mehr genau und gefährdet damit vermutlicherweise sogar das Leben der Soldaten.
    Am Telefon hat Rainer Arnold mitgehört, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD im Bundestag. Guten Morgen.
    Rainer Arnold: Schönen guten Morgen, Herr Barenberg.
    Barenberg: Das G36 reif für den Schrott aus Ihrer Sicht?
    Arnold: Nein, für den Schrott sicherlich nicht. Aber es ist nicht tauglich für Einsätze, bei denen Soldaten unter Beschuss sind und dann nicht mehr mit präzisen Waffen die Überlegenheit herstellen können. Die Stärke der Bundeswehr ist ja nicht nur ihre Ausbildung, sondern muss auch ihre überlegene Technik sein, und das G36, so zeigt sich jetzt, ist ein ganz, ganz deutlicher Schwachpunkt und so eigentlich nicht mehr zu verantworten.
    Barenberg: Ich habe es gerade mit dem Korrespondenten in Berlin schon erörtert. Seit Jahren wird über dieses Problem gesprochen. Seit wann ist der Zeitpunkt erreicht, dass wir gesichert sagen können, das was Sie gerade gesagt haben, dass es unter bestimmten Bedingungen nicht tauglich ist?
    Arnold: Bei uns im Verteidigungsausschuss sind ab dem Jahr 2012 deutliche Hinweise eingegangen, dass zumindest einzelne Soldaten und dass der Rechnungshof Bedenken angemeldet hat, was die Verlässlichkeit des Gewehres und die Präzision anlangt. Die wurden dann aber immer wieder abgewiegelt und von Seiten des Ministeriums so dargestellt, als ob es insgesamt kein Problem gäbe, beziehungsweise eine Zeit lang die Ursachen auf die Munition ausschließlich geschoben wurden.
    Barenberg: Würden Sie sagen, wenn es tatsächlich seit 2012 konkrete Hinweise gegeben hat und den Bericht des Bundesrechnungshofes, dass es ein Fehler war, ein Versäumnis, trotzdem weiter diese Gewehre anzuschaffen?
    "Warum hat man die Dinge weich gespült?"
    Arnold: Es ist auf jeden Fall ein Versäumnis, Sorgen von Soldaten, Meldungen aus eigenen Instituten, des Rechnungshofes, des Wehrbeauftragten nicht ernst zu nehmen, den Sachen also nicht nachzugehen. Und an der Stelle fragen wir uns schon, warum hat man hier die schützende Hand über dieses Gewehr gehalten? Warum hat man die Dinge weich gespült? So einen Versuch gab es übrigens auch noch im letzten Jahr. Im Juli des Jahres 2014 wurden deutliche Hinweise, die von der wehrtechnischen Dienststelle gegeben wurden, wurde ein Versuch unternommen, diese zu korrigieren. Der Beamte dort war standhaft. Er war nicht einverstanden mit dieser Korrektur. Dieser Herr verdient Respekt. Und der Wehrbeauftragte, er, der Verteidigungsausschuss, aber auch die Ministerin haben dann am Ende gemeinsam gesehen und gehandelt und dieses Gutachten in Auftrag gegeben.
    Barenberg: Sie haben die Frage selbst aufgeworfen. Warum hat das Ministerium diese Entwicklung weich gespült, die Probleme aus dem Blick verloren?
    Arnold: Das interessiert uns als Parlamentarier auch. Dem muss man nachgehen.
    Barenberg: In einem Untersuchungsausschuss?
    Arnold: Das ist sicherlich eher Sache der Opposition, so einen zu beantragen. Aber wenn die Dinge so weiterlaufen wie in den letzten Tagen, denke ich schon, dass darüber seriös nachgedacht wird bei den Oppositionsfraktionen. Auch wir als Sozialdemokraten haben ein Interesse an Aufklärung. Das heißt: Warum wurden die Kriterien von Anfang an nicht überprüft und erfüllt? Es ist ja nicht so, dass sich nur die Einsatzszenarien verändert haben. Es hat sich verändert, dass die Bundeswehr keine Übungsarmee mehr ist und jetzt tatsächlich in Kämpfe verwickelt wurde. Aber die Anforderungen, dass ein Gewehr auch bei hohen Temperaturen, sei es von der Sonne oder vom heiß schießen, die Anforderungen, dass es auch bei Feuchtigkeit präzise funktioniert, waren vom ersten Tag an gegeben und ganz offensichtlich wurden sie nicht erfüllt. Und wir müssen uns schon fragen, warum hat dieses Ministerium dies nicht ständig geprüft und festgestellt, und als etwas festgestellt wurde, warum hat das Ministerium dann abgewiegelt. Dies würde uns interessieren.
    Barenberg: Der Hersteller, Heckler & Koch, auch das ist schon angeklungen, widerspricht ja vehement und sagt, das G36 ist hundert Prozent einsatzfähig, wirft seinerseits dem Ministerium und den Testern, den Experten vor, dass ihnen die Kompetenz fehlt, dass sie in ihrer Kritik voreingenommen sind. Nehmen Sie das ernst?
    Arnold: Nein, das nehme ich nicht ernst, weil ich bin schon der Auffassung, dass das Unternehmen insgesamt in den letzten Jahren nicht unbedingt die allerbeste Kommunikationskultur entwickelt hat, auch gegenüber dem Parlament und der Politik nicht immer so aufgetreten ist, wie es sich eigentlich für ein Unternehmen gehört. Und der Umgang mit den jetzigen Problemen, eine Pressemeldung nach der anderen rauszuhauen, statt sich um die Dinge zu kümmern, auch mal das Gespräch von sich aus zu suchen und zu sagen, zeigt uns mal das Messverfahren, lasst uns mal darüber reden, wo wir anderer Auffassung sind, das wäre der normale Weg eines Managements und nicht Pressemeldungen machen und einfach abwiegeln. Nein, das Unternehmen ist nicht klug aufgestellt aus meiner Sicht.
    Barenberg: Hans-Peter Bartels ist der Vorsitzende im Verteidigungsausschuss, ein Sozialdemokrat wie Sie. Er fordert jetzt für die Bundeswehr, eine neue Standardwaffe anzuschaffen. Stimmen Sie zu?
    "Es hat keinen Sinn, weitere Monate zu prüfen"
    Arnold: Ich denke, es ist unumgänglich. Es hat was mit der konkreten Situation, der Physik des Gewehres zu tun, aber auch was mit Vertrauen der Soldaten. Wir können ein Gewehr, bei dem sichtbar wird, dass es eben nicht tauglich ist - Ihr Berliner Korrespondent hat ja zitiert, dass ein präzises Bekämpfen eines Gegners nicht verlässlich möglich ist. Damit ist ein Gewehr untauglich und deshalb, glaube ich, sind zwei Dinge zu tun: Sehr schnell für die Soldaten, die im Auslandseinsatz auf ein gutes Gewehr angewiesen sind, eine Ersatzbeschaffung zu kaufen. Das ist möglich. Es gibt offensichtlich ja Gewehre am Markt, die die Kriterien erfüllen. Man hat auch für die Spezialkräfte, also die KSK, ja sich schon umgeschaut und Alternativen angeguckt. Und als zweites mittelfristig - mittelfristig heißt aber nicht zehn Jahre; es darf nicht so lange gehen - die Bundeswehr tatsächlich mit einem neuen Gewehr als Standardgewehr auszustatten. Beide Schritte erwarten wir jetzt zügig.
    Barenberg: Zügig, sagen Sie, denn aus dem Ministerium, was da zu hören ist, hat man ja eher den Eindruck, die wollen jetzt erst mal zwei Kommissionen tagen lassen und Monate weiter prüfen lassen. Haben wir so viel Zeit, gerade mit Blick auf die Situation der Soldaten im Einsatz?
    Arnold: Nein, man hat keine Zeit. Das hat was mit dem Befinden der Soldaten zu tun. Und es hat auch keinen Sinn, weitere Monate zu prüfen. Es ist in Ordnung, dass es noch Kommissionen gibt, die sich um andere Fragen in diesem Bereich kümmern, aber die müssen innerhalb von Wochen ihre Berichte abgeben und die Ministerin muss entscheiden. Es ist insgesamt ja so, dass seit über zwei Jahren keine wichtigen Entscheidungen im Bereich der neuen Rüstungsprojekte getroffen wurde, und es ist die Zeit da. Im Verlauf dieses Jahres muss dieses Gewehr, aber auch andere Projekte auf den Tisch des Verteidigungs- und des Haushaltsausschusses, so dass wir darüber abstimmen können.
    Barenberg: Am Mittwoch schon ist die Verteidigungsministerin, ist Ursula von der Leyen möglicherweise im Verteidigungsausschuss, um dort Rede und Antwort zu stehen. Zum Schluss, Herr Arnold: Erwarten Sie eine Entscheidung, eine Ankündigung der Ministerin schon an diesem Mittwoch?
    Arnold: Ich würde schon hoffen, dass sie sich ausdrücklich dazu bekennt, sehr schnell eine Ersatzwaffe für Soldaten im Einsatz zu beschaffen und möglichst zügig die Alternativen, die es auf dem Markt gibt, zu untersuchen und ein neues Standardgewehr einzuleiten. Das erwarte ich und erhoffe ich am Mittwoch, ja.
    Barenberg: ..., sagt Rainer Arnold von der SPD, der verteidigungspolitische Sprecher im Bundestag. Danke für das Gespräch heute Morgen.
    Arnold: Danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.