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Stuttgart
Erweiterte Diesel-Fahrverbote zu Jahresbeginn

Das Jahr 2020 beginnt in Stuttgart mit Verschärfungen für Autofahrer. Die bereits vor einem Jahr eingeführten Diesel-Fahrverbote gelten jetzt auch für Autos der Abgasnorm Euro 5. Ob die Maßnahme zielführend ist - darüber gehen die Meinungen vor Ort aber auseinander.

Von Thomas Wagner | 02.01.2020
Autos fahren schnell vorbei, ein Wischeffekt entsteht. Ein Schild über der Cannstatter Straße in Stuttgart weist auf kommende Fahrverbote hin.
In Stuttgart gibt es schon seit 2019 Fahrverbote für alte Dieselautos (Arnulf Hettrich / imago-images)
Stuttgart Neckartor, 2. Januar, Tag zwei der neuen Dieselfahrverbote. Die betreffen erstmals nicht nur Fahrzeuge der Schafstoffklasse Euro 4, sondern auch der wesentlich schärferen Abgasnorm Euro 5. Allerdings nicht flächendeckend. Sie betreffen vielmehr vier auf jeweils mehrere hundert Meter beschränkte Streckenabschnitte der Bundesstraßen 14 und 27 im Stuttgarter Stadtgebiet. Die Kreuzung rund ums Neckartor gehört dazu: Also genau jene Stelle, die immer wieder durch die höchsten Feinstaubwerte der Republik unrühmliche Bekanntheit erlangte. Kein Wunder, erhoffen sich Passanten gerade dort durch die neue Verbotszone ein Stück weit reinere Luft als bisher.
"Ja wunderbar, je weniger Autos, desto besser, vor allem Diesel halt. Dreckschleudern – die so genannten Dreckschleudern. Die Leute sollen mit Öffentlichen fahren. Finde ich absolut okay. Begrüße ich sehr."
"Zur Luftreinigung ist das nicht schlecht. Ich wohne an einer Hauptstraße. Da darf man mit 50 vorbeidonnern. Und wenn Sie morgens das Fenster sauber machen und abends wieder, da bleibt jede Menge Dreck. Und das ist Feinstaub. Und der kommt aber nicht nur vom Diesel. Auch von den LKW und vom Bremsenabrieb. Ist schon nötig. Ist aber auch schon Aktionismus dabei."
Sinnvolle Ergänzung oder Aktionismus?
Und genau dieses Argument, nämlich dass sich hinter der neuen Regelung viel Aktionismus verbirgt, hört man in Stuttgart eben auch immer wieder.
"Ich finde es ein bisschen übertrieben. Man sollte die Maßnahmen, die man getroffen hat, jetzt erst mal abwarten und dann vielleicht ein bisschen später nochmals entscheiden."
Vor allem von Einzelhändlern, die ihre Geschäfte an Straßen in den neuen Verbotszonen betreiben, kam noch vor dem Jahreswechsel reichlich Protest dagegen, dass nun auch Euro-5-Diesel nicht mehr fahren dürfen. Immerhin sind 20.000 davon alleine in Stuttgart zugelassen. Schätzungen der Kfz-Innung zufolge pendeln zusätzlich täglich etwa 40.000 Euro-5-Diesel Richtung Stuttgarter Innenstadt ein, darunter auch viele, die zum Einkaufen kommen, und die sich das zukünftig anders überlegen könnten, so die Befürchtung, die aber nicht alle Einzelhändler teilen.
"Wir persönlich sind nicht dagegen, weil wir eine U-Bahn-Station direkt vor der Tür haben und jede Minute eine U-Bahn unter uns hält und unsere Kunden generell umweltbewusst sind."
"Lasst uns eine City-Maut machen"
Was damit zusammenhängt, dass Philipp Scheffbuch direkt am Neckartor ein Bekleidungsgeschäft mit Fair-Trade-Waren betreibt. Große Einbußen durch die Euro-5-Dieselfahrverbote direkt vor seiner Haustür sieht er nicht. Bringen werden diese neuen Verbote seiner Ansicht nach aber auch nicht viel. An was es fehle: visionäre Verkehrspolitik gerade dort, wo die Schadstoffbelastung so hoch ist wie am Stuttgarter Neckartor.
"Nicht zuletzt bin ich der Meinung, es wäre besser, wir würden eine Spur machen ausschließlich für Fahrzeuge, wo mindestens zwei Personen drin sitzen, wie das Los Angeles und andere Großstädte in den USA schon seit 30, 40 Jahren machen – viel visionärer. Auch wir in Stuttgart, wir Einzelhändler leiden darunter, dass die Leute, wenn sie parken, bestraft werden, also wenn sie den Motor abstellen. Diejenigen, die nur durchfahren, die Stuttgart nur als Transit benutzen, werden nicht bestraft. Also lassen Sie uns eine City-Maut machen."
Davon ist die baden-württembergische Landeshauptstadt mit einem grünen Oberbürgermeister und einem grünen Ministerpräsidenten aber noch weit entfernt. Denn schon bei der Einführung der Euro-4-Dieselverbotszonen vor einem Jahr war die Verärgerung der betroffenen Diesel-Fahrer groß. Und nun müssen in manchen Bereichen auch noch Euro-5-Fahrzeuge draußen bleiben – bei der Stadt Stuttgart bemüht man sich um Schadensbegrenzung und verweist auf großzügige Ausnahmeregelungen für Anlieger. Und Anlieger gibt es aus Sicht der Stadt Stuttgart gar reichlich viele.
"Wenn Sie zum Bäcker wollen, wenn Sie einen Brief einwerfen wollen, wenn Sie eine bestimmte Adresse nachschauen wollen, weil sie da beispielsweise ein Mietangebot in der Zeitung gelesen haben, all das macht Sie zum Anlieger. Und das bedeutet, dass jeder, der bereits ein Anliegen hat, bereits von der Ausnahme profitiert", sagte Dorothea Koller vom Ordnungsamt der Stadt Stuttgart im SWR.
Hohe Bußgelder bei Nichtbeachtung der Verbotszonen
Hinzu kommt: Gezielte Kontrollen, die nur auf die Einhaltung der Dieselfahrverbote zielen, wird es nicht geben. Allerdings: Wird jemand mit einem älteren Diesel in einer der Verbotszonen erwischt, wird ein saftiges Bußgeld fällig. Nicht nur wegen der großzügigen Ausnahmeregelungen für Anlieger befürchten viele in Stuttgart, dass sich der Schadstoffgehalt auch durch die neuen Euro-5-Dieselfahrverbote nicht wesentlich verbessern wird. Da die Euro-5-Verbote nur auf bestimmten Strecken erlassen wurden, könnten betroffene Autofahrer mit ihren Euro-5-Diesel-PKW im Slalom über Ausweichstraßen einfach drum herum fahren und sogar noch mehr Emissionen verursachen. Für Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, der mit seiner Organisation die Einführung der Euro-5-Verbotszonen gerichtlich durchsetzt hat, kommt es dabei auf ein entscheidendes Kriterium an:
"Bei den 40-Mikrogramm-Grenzwerten der EU liegen wir in Stuttgart mit am meisten darüber."
Ändert sich das nicht durch die neuen Verbotszonen, dann droht in Stuttgart neues Ungemach:
"Relevant ist, dass die Maßnahmen so im Jahr 2020 umgesetzt werden, dass wir eine sichere Einhaltung der Grenzwerte für saubere Luft haben. Und wenn nicht muss eben das Fahrverbot weiter ausgedehnt werden."